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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

anstimmte, als wolle er uns damit necken, ist mir zum Teil noch im Gedächtnis
hängen geblieben. Es hörte sich im Munde des Dechanten, der eine wohl¬
lautende Tenorstimme besaß, etwas melancholisch vorgetragen, ganz allerliebst
an. Viel Poesie steckt freilich nicht darin. Hier ist es:


D's Obends, wenn ich sana gib,
Thut mer, e>, mei Zieh su wis!
O, mei Zieh
Thut mer wis,
D'S Obeuds, wenn ich sana gib.
D's Obends, wenn ich sana gib,
Thut mer, v, mei Knie su wis.
O, mei Zieh,
O, mei Knie,
Villier Mih,
Thut mer lois,
D's Obends, wenn ich sana gib,
D's Obends, wenn ich sana gib,
Thut mer, o, mei Brust su wis.
O, mei Brust,
Vuller Lust,
O mei Knie,
Vuller Mih,
O mei Zieh
Thut mer wis
D's Obends, wenn ich sana gib ze.

Fand ich einerseits den Verkehr mit diesem andersgläubigen Dechanten
ungleich angenehmer und gemütlicher als mit unsern steifen, pedantischen und
gewöhnlich auch stark rechthaberischen protestantischen Predigern, die abwechselnd
bei uns einsprachen, so geriet ich anderseits in Zwiespalt mit den religiösen
Satzungen, die mir von Jugend auf eingeprägt worden waren und an denen
zu deuteln mir umso weniger einfallen konnte, als der Vater, ein eifriger Hort
der Lehre, für die er lebte und kämpfte, selbst mein Gewährsmann war. Ich
hörte immer und immer von Luthers gereinigter Lehre sprechen, welche das
wahre Evangelium von Christo predigen sollte, wobei die Katholiken mit ihrer
Heiligenverehrung, ihrem Formelwesen und Zeremonien übel genug wegkamen.
Auch wurde mir nicht verschwiegen, daß die Katholiken uns Protestanten ins¬
gesamt für Abgefallene vom rechten Glauben betrachteten und sogar für ewig
verdammt hielten.

So lautete die Lehre. Wie nun gestaltete sich diese im praktischen Leben?
Es war ja mit Händen zu greifen, und ich machte wiederholt selbst die Er¬
fahrung, daß Lehre und Leben sich schnurstracks widersprachen. Konnte ein
Mann wie der milde, gemütvolle Dechant L., der mich selten ohne ein kleines
Geschenk entließ, so vertraulich und herzlich mit uns umgehen, wenn er uns


Zugenderinnerungen.

anstimmte, als wolle er uns damit necken, ist mir zum Teil noch im Gedächtnis
hängen geblieben. Es hörte sich im Munde des Dechanten, der eine wohl¬
lautende Tenorstimme besaß, etwas melancholisch vorgetragen, ganz allerliebst
an. Viel Poesie steckt freilich nicht darin. Hier ist es:


D's Obends, wenn ich sana gib,
Thut mer, e>, mei Zieh su wis!
O, mei Zieh
Thut mer wis,
D'S Obeuds, wenn ich sana gib.
D's Obends, wenn ich sana gib,
Thut mer, v, mei Knie su wis.
O, mei Zieh,
O, mei Knie,
Villier Mih,
Thut mer lois,
D's Obends, wenn ich sana gib,
D's Obends, wenn ich sana gib,
Thut mer, o, mei Brust su wis.
O, mei Brust,
Vuller Lust,
O mei Knie,
Vuller Mih,
O mei Zieh
Thut mer wis
D's Obends, wenn ich sana gib ze.

Fand ich einerseits den Verkehr mit diesem andersgläubigen Dechanten
ungleich angenehmer und gemütlicher als mit unsern steifen, pedantischen und
gewöhnlich auch stark rechthaberischen protestantischen Predigern, die abwechselnd
bei uns einsprachen, so geriet ich anderseits in Zwiespalt mit den religiösen
Satzungen, die mir von Jugend auf eingeprägt worden waren und an denen
zu deuteln mir umso weniger einfallen konnte, als der Vater, ein eifriger Hort
der Lehre, für die er lebte und kämpfte, selbst mein Gewährsmann war. Ich
hörte immer und immer von Luthers gereinigter Lehre sprechen, welche das
wahre Evangelium von Christo predigen sollte, wobei die Katholiken mit ihrer
Heiligenverehrung, ihrem Formelwesen und Zeremonien übel genug wegkamen.
Auch wurde mir nicht verschwiegen, daß die Katholiken uns Protestanten ins¬
gesamt für Abgefallene vom rechten Glauben betrachteten und sogar für ewig
verdammt hielten.

So lautete die Lehre. Wie nun gestaltete sich diese im praktischen Leben?
Es war ja mit Händen zu greifen, und ich machte wiederholt selbst die Er¬
fahrung, daß Lehre und Leben sich schnurstracks widersprachen. Konnte ein
Mann wie der milde, gemütvolle Dechant L., der mich selten ohne ein kleines
Geschenk entließ, so vertraulich und herzlich mit uns umgehen, wenn er uns


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[0190] Zugenderinnerungen. anstimmte, als wolle er uns damit necken, ist mir zum Teil noch im Gedächtnis hängen geblieben. Es hörte sich im Munde des Dechanten, der eine wohl¬ lautende Tenorstimme besaß, etwas melancholisch vorgetragen, ganz allerliebst an. Viel Poesie steckt freilich nicht darin. Hier ist es: D's Obends, wenn ich sana gib, Thut mer, e>, mei Zieh su wis! O, mei Zieh Thut mer wis, D'S Obeuds, wenn ich sana gib. D's Obends, wenn ich sana gib, Thut mer, v, mei Knie su wis. O, mei Zieh, O, mei Knie, Villier Mih, Thut mer lois, D's Obends, wenn ich sana gib, D's Obends, wenn ich sana gib, Thut mer, o, mei Brust su wis. O, mei Brust, Vuller Lust, O mei Knie, Vuller Mih, O mei Zieh Thut mer wis D's Obends, wenn ich sana gib ze. Fand ich einerseits den Verkehr mit diesem andersgläubigen Dechanten ungleich angenehmer und gemütlicher als mit unsern steifen, pedantischen und gewöhnlich auch stark rechthaberischen protestantischen Predigern, die abwechselnd bei uns einsprachen, so geriet ich anderseits in Zwiespalt mit den religiösen Satzungen, die mir von Jugend auf eingeprägt worden waren und an denen zu deuteln mir umso weniger einfallen konnte, als der Vater, ein eifriger Hort der Lehre, für die er lebte und kämpfte, selbst mein Gewährsmann war. Ich hörte immer und immer von Luthers gereinigter Lehre sprechen, welche das wahre Evangelium von Christo predigen sollte, wobei die Katholiken mit ihrer Heiligenverehrung, ihrem Formelwesen und Zeremonien übel genug wegkamen. Auch wurde mir nicht verschwiegen, daß die Katholiken uns Protestanten ins¬ gesamt für Abgefallene vom rechten Glauben betrachteten und sogar für ewig verdammt hielten. So lautete die Lehre. Wie nun gestaltete sich diese im praktischen Leben? Es war ja mit Händen zu greifen, und ich machte wiederholt selbst die Er¬ fahrung, daß Lehre und Leben sich schnurstracks widersprachen. Konnte ein Mann wie der milde, gemütvolle Dechant L., der mich selten ohne ein kleines Geschenk entließ, so vertraulich und herzlich mit uns umgehen, wenn er uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/190>, abgerufen am 17.09.2024.