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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

Eigentümlichkeit, sind aber gute Engländer, wie die Vlamingen gute Belgier,
während auf der grünen Insel bei den Einheimischen nur irisches National¬
gefühl besteht. Das Beispiel Frankreichs, Spaniens, Italiens, Großbritanniens
zeigt aber auch, daß ein Stamm der kräftigere oder vom Glück mehr begünstigte
sein muß, um der Nation das Gepräge zu geben; dasselbe läßt sich von Un¬
garn sagen, wogegen die österreichischen Wirren sich aus der ungenügenden
Kraft und Entschiedenheit, vielleicht auch dem geringen Glücke der dortigen
Deutschen erklären. Dafür, daß mehrere ungemischte Nationalitäten in voller
Gleichberechtigung und in Frieden miteinander leben können, wird stets, auch
von Du Bois, die Schweiz als Beweis angeführt; aber wir wissen, daß die
glücklichen Tage auch dort vorüber sind, daß das Franzosentum vom Genfer-
nnd Neuenburgcrsce gewaltig gegen Osten vordringt und Splügen und Gott-
hard keine Schutzmauern gegen die Ausbreitung des italienischen National-
gefühls sind. Und endlich verweilt, zum Teil bei anderen Anlaß, Du Bois
selbst bei deu zwei sprechendsten Beispielen dafür, daß eine Nationalität in einer
Nation fremden Stammes aufgeht, eine zweite nicht, weil immer nur einzelne
Angehörige derselben ihr besondres Nationalgefühl zu opfern vermögen. Die
ihm wahlverwandten Hugenotten in Berlin waren längst gute Preußen, als
sie noch gleich den wallonischen Kürassierer sich abgesondert in ihrem Lager
hielten, niemand zuließen; und als gute Preußen sind sie gute Deutsche ge¬
worden, wenn auch nur selten einer es angemessen fand, den französischen
Namen mit einem deutschen zu vertauschen, wie Alexis-Hüring. Und nun
hören wir folgendes scharfe Urteil. "Eine ganz andre Gestalt als bei den
indogermanischen Vätern unsrer Bildung nimmt das Nationalgefühl bei den
Semiten an. Die Juden sind sich das auserwählte Volk Gottes. Ihrer
Meinung nach im Besitz des allein wahren Glaubens, der Kenntnis des mäch¬
tigsten Gottes und der allein ihm gefälligen Opfer und heiligen Gebräuche,
verabscheuen sie alle übrigen Völker als Götzendiener, gegen welche jede Ge¬
waltthat ihnen nicht nur erlaubt beinahe (l. dünkt), sondern sogar durch Priestcr-
mund ausdrücklich befohlen wird. Ohne Staatsleben, ohne Kunst und Wissen¬
schaft, gehen sie auf in einer ans besondre Zustände kleinlich zugeschnittenen
Ethik. Geistliche Hoffahrt und Unduldsamkeit waren das ursprüngliche semi¬
tische Nationalgefühl, welches die bittere Schule der Unterdrückung freilich viel¬
fach gemildert, ja in Nathanische Weisheit umgewandelt hat." Solche Aus¬
nahmen willig zugegeben: wie kann aber jemand, der so klar erkennt, weshalb
das Judentum, so lange es bleibt, was es war und im großen und ganzen
ist, in einer indogermanischen Nation nicht aufgehen kann, wie kann der die
Notwehr gegen eine auf allen Lebcnsgebieteu geschlossen vordringende fremde
Nationalität mit der Albigenscrverfolgung vergleichen? Da steht Nationalgefühl
gegen Nationalgefühl, die Frage ist, ob in dem deutschen Staatswesen der von
Du Bois in den obigen Sätzen gekennzeichnete Geist die Oberhand gewinnen soll


Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

Eigentümlichkeit, sind aber gute Engländer, wie die Vlamingen gute Belgier,
während auf der grünen Insel bei den Einheimischen nur irisches National¬
gefühl besteht. Das Beispiel Frankreichs, Spaniens, Italiens, Großbritanniens
zeigt aber auch, daß ein Stamm der kräftigere oder vom Glück mehr begünstigte
sein muß, um der Nation das Gepräge zu geben; dasselbe läßt sich von Un¬
garn sagen, wogegen die österreichischen Wirren sich aus der ungenügenden
Kraft und Entschiedenheit, vielleicht auch dem geringen Glücke der dortigen
Deutschen erklären. Dafür, daß mehrere ungemischte Nationalitäten in voller
Gleichberechtigung und in Frieden miteinander leben können, wird stets, auch
von Du Bois, die Schweiz als Beweis angeführt; aber wir wissen, daß die
glücklichen Tage auch dort vorüber sind, daß das Franzosentum vom Genfer-
nnd Neuenburgcrsce gewaltig gegen Osten vordringt und Splügen und Gott-
hard keine Schutzmauern gegen die Ausbreitung des italienischen National-
gefühls sind. Und endlich verweilt, zum Teil bei anderen Anlaß, Du Bois
selbst bei deu zwei sprechendsten Beispielen dafür, daß eine Nationalität in einer
Nation fremden Stammes aufgeht, eine zweite nicht, weil immer nur einzelne
Angehörige derselben ihr besondres Nationalgefühl zu opfern vermögen. Die
ihm wahlverwandten Hugenotten in Berlin waren längst gute Preußen, als
sie noch gleich den wallonischen Kürassierer sich abgesondert in ihrem Lager
hielten, niemand zuließen; und als gute Preußen sind sie gute Deutsche ge¬
worden, wenn auch nur selten einer es angemessen fand, den französischen
Namen mit einem deutschen zu vertauschen, wie Alexis-Hüring. Und nun
hören wir folgendes scharfe Urteil. „Eine ganz andre Gestalt als bei den
indogermanischen Vätern unsrer Bildung nimmt das Nationalgefühl bei den
Semiten an. Die Juden sind sich das auserwählte Volk Gottes. Ihrer
Meinung nach im Besitz des allein wahren Glaubens, der Kenntnis des mäch¬
tigsten Gottes und der allein ihm gefälligen Opfer und heiligen Gebräuche,
verabscheuen sie alle übrigen Völker als Götzendiener, gegen welche jede Ge¬
waltthat ihnen nicht nur erlaubt beinahe (l. dünkt), sondern sogar durch Priestcr-
mund ausdrücklich befohlen wird. Ohne Staatsleben, ohne Kunst und Wissen¬
schaft, gehen sie auf in einer ans besondre Zustände kleinlich zugeschnittenen
Ethik. Geistliche Hoffahrt und Unduldsamkeit waren das ursprüngliche semi¬
tische Nationalgefühl, welches die bittere Schule der Unterdrückung freilich viel¬
fach gemildert, ja in Nathanische Weisheit umgewandelt hat." Solche Aus¬
nahmen willig zugegeben: wie kann aber jemand, der so klar erkennt, weshalb
das Judentum, so lange es bleibt, was es war und im großen und ganzen
ist, in einer indogermanischen Nation nicht aufgehen kann, wie kann der die
Notwehr gegen eine auf allen Lebcnsgebieteu geschlossen vordringende fremde
Nationalität mit der Albigenscrverfolgung vergleichen? Da steht Nationalgefühl
gegen Nationalgefühl, die Frage ist, ob in dem deutschen Staatswesen der von
Du Bois in den obigen Sätzen gekennzeichnete Geist die Oberhand gewinnen soll


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[0180] Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden. Eigentümlichkeit, sind aber gute Engländer, wie die Vlamingen gute Belgier, während auf der grünen Insel bei den Einheimischen nur irisches National¬ gefühl besteht. Das Beispiel Frankreichs, Spaniens, Italiens, Großbritanniens zeigt aber auch, daß ein Stamm der kräftigere oder vom Glück mehr begünstigte sein muß, um der Nation das Gepräge zu geben; dasselbe läßt sich von Un¬ garn sagen, wogegen die österreichischen Wirren sich aus der ungenügenden Kraft und Entschiedenheit, vielleicht auch dem geringen Glücke der dortigen Deutschen erklären. Dafür, daß mehrere ungemischte Nationalitäten in voller Gleichberechtigung und in Frieden miteinander leben können, wird stets, auch von Du Bois, die Schweiz als Beweis angeführt; aber wir wissen, daß die glücklichen Tage auch dort vorüber sind, daß das Franzosentum vom Genfer- nnd Neuenburgcrsce gewaltig gegen Osten vordringt und Splügen und Gott- hard keine Schutzmauern gegen die Ausbreitung des italienischen National- gefühls sind. Und endlich verweilt, zum Teil bei anderen Anlaß, Du Bois selbst bei deu zwei sprechendsten Beispielen dafür, daß eine Nationalität in einer Nation fremden Stammes aufgeht, eine zweite nicht, weil immer nur einzelne Angehörige derselben ihr besondres Nationalgefühl zu opfern vermögen. Die ihm wahlverwandten Hugenotten in Berlin waren längst gute Preußen, als sie noch gleich den wallonischen Kürassierer sich abgesondert in ihrem Lager hielten, niemand zuließen; und als gute Preußen sind sie gute Deutsche ge¬ worden, wenn auch nur selten einer es angemessen fand, den französischen Namen mit einem deutschen zu vertauschen, wie Alexis-Hüring. Und nun hören wir folgendes scharfe Urteil. „Eine ganz andre Gestalt als bei den indogermanischen Vätern unsrer Bildung nimmt das Nationalgefühl bei den Semiten an. Die Juden sind sich das auserwählte Volk Gottes. Ihrer Meinung nach im Besitz des allein wahren Glaubens, der Kenntnis des mäch¬ tigsten Gottes und der allein ihm gefälligen Opfer und heiligen Gebräuche, verabscheuen sie alle übrigen Völker als Götzendiener, gegen welche jede Ge¬ waltthat ihnen nicht nur erlaubt beinahe (l. dünkt), sondern sogar durch Priestcr- mund ausdrücklich befohlen wird. Ohne Staatsleben, ohne Kunst und Wissen¬ schaft, gehen sie auf in einer ans besondre Zustände kleinlich zugeschnittenen Ethik. Geistliche Hoffahrt und Unduldsamkeit waren das ursprüngliche semi¬ tische Nationalgefühl, welches die bittere Schule der Unterdrückung freilich viel¬ fach gemildert, ja in Nathanische Weisheit umgewandelt hat." Solche Aus¬ nahmen willig zugegeben: wie kann aber jemand, der so klar erkennt, weshalb das Judentum, so lange es bleibt, was es war und im großen und ganzen ist, in einer indogermanischen Nation nicht aufgehen kann, wie kann der die Notwehr gegen eine auf allen Lebcnsgebieteu geschlossen vordringende fremde Nationalität mit der Albigenscrverfolgung vergleichen? Da steht Nationalgefühl gegen Nationalgefühl, die Frage ist, ob in dem deutschen Staatswesen der von Du Bois in den obigen Sätzen gekennzeichnete Geist die Oberhand gewinnen soll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/180>, abgerufen am 17.09.2024.