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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

welche die eine bestimmten, der andern den Krieg zu erklären, gerecht und hin¬
reichend waren. Gerade aber das ist der einzige Punkt, worüber die fran¬
zösische Deklaration -- denn dafür soll jener Bericht doch gelten -- ein tiefes
Stillschweigen beobachtet."

Gentz mußte bis Anfang Dezember in Prag verbleiben, dann wurde er
ins Hauptquartier gerufen, welches sich bereits am Main befand. Am 1ö. kam
er in Freiburg an. Die Verhandlungen, an welchen er hier zunächst teilnahm,
bezogen sich meist auf die damaligen politischen Verhältnisse der Schweiz und
den Durchmarsch der Armee Schwarzenbergs durch ihr Gebiet, gegen welchen
die Tagsatzung -- noch unter dem Einfluß französischer Agenten stehend
protestirte. Eben über dieser Angelegenheit hatte er namentlich mit dem später
so oft genannten Grafen Capodistria Unterredungen. Obwohl seine Ansichten
von denen der russischen Staatsmänner sehr stark abwichen, erfuhr er doch
Vonseiten des Zaren eine außerordentliche Gunstbezeigung: am 2. Januar 1814
übergab ihm der Graf Nesselrode den Annenorden zweiter Klasse, und zugleich
verkündete ein Ukas diese ehrenvolle Anerkennung ganz Europa: der Zar nannte
ihn darin "den Ritter der Gesetzlichkeit, den Verteidiger der echten Grundsätze
der Staatsweisheit und Regierungskunst." In diesen Tagen schickte er auch
einen Bericht über die Ereignisse der letzten Monate an den Hospodar: die
Haltung der Schweiz, die augenblickliche Lage der verbündeten Truppen, die
Lage in Italien und die Lage Dänemarks, dies alles legt er aufs klarste und
gedrängteste dar. Es folgen dann in unsrer Veröffentlichung siebenundzwanzig
-- zum Teil schon von Prokesch-Osten veröffentlichte -- Briefe, die alle an
Karadja gerichtet sind und die militärischen und politischen Begebenheiten bis
in den April 1814 hinein fortlaufend darstellen und erläutern. Einer derselben
ist aus München datirt; vom 29. Januar an befindet sich Gentz wieder in Wien.
Die Korrespondenz mit Metternich, der nun Fürst geworden war, hebt hier
sofort wieder an. Anziehend sind namentlich die Briefe, in welchen er sich über
die Stimmung in den vornehmen Kreisen der Residenz verbreitet; er findet da
nur Parteisucht, Zweifelsucht, das Bedürfnis zu tadeln. Das Große, das bereits
geschehen sei, werde nicht in Anschlag gebracht, der Blick aller sei ohne Unterlaß
auf die Zukunft gerichtet; "was noch nicht erfüllt ist, was noch fehlt und was
geschehen müßte, um dazu zu gelangen, das ist der ewige Stoff aller Gespräche-
Fast keiner hat die Neugierde gehabt, mich zu fragen, wie denn dies oder jenes
sich eigentlich zugetragen habe, durch welche Fügungen und Kombinationen so
große Erfolge bereitet worden, wem das Verdienst davon zugeschrieben, wie
denn in den entscheidenden Augenblicken dieser oder jener zu Werte gegangen
sei. Was wird man thun? Wie wird man mit Napoleon endigen? Wird man
sich nicht mit zu wenigem begnügen? Das sind die Fragen, mit welchen man
ohne Unterlaß gequält wird."

Eine solche Stimmung mußte Gentz umso peinlicher berühren, als nach


Friedrich von Gentz.

welche die eine bestimmten, der andern den Krieg zu erklären, gerecht und hin¬
reichend waren. Gerade aber das ist der einzige Punkt, worüber die fran¬
zösische Deklaration — denn dafür soll jener Bericht doch gelten — ein tiefes
Stillschweigen beobachtet."

Gentz mußte bis Anfang Dezember in Prag verbleiben, dann wurde er
ins Hauptquartier gerufen, welches sich bereits am Main befand. Am 1ö. kam
er in Freiburg an. Die Verhandlungen, an welchen er hier zunächst teilnahm,
bezogen sich meist auf die damaligen politischen Verhältnisse der Schweiz und
den Durchmarsch der Armee Schwarzenbergs durch ihr Gebiet, gegen welchen
die Tagsatzung — noch unter dem Einfluß französischer Agenten stehend
protestirte. Eben über dieser Angelegenheit hatte er namentlich mit dem später
so oft genannten Grafen Capodistria Unterredungen. Obwohl seine Ansichten
von denen der russischen Staatsmänner sehr stark abwichen, erfuhr er doch
Vonseiten des Zaren eine außerordentliche Gunstbezeigung: am 2. Januar 1814
übergab ihm der Graf Nesselrode den Annenorden zweiter Klasse, und zugleich
verkündete ein Ukas diese ehrenvolle Anerkennung ganz Europa: der Zar nannte
ihn darin „den Ritter der Gesetzlichkeit, den Verteidiger der echten Grundsätze
der Staatsweisheit und Regierungskunst." In diesen Tagen schickte er auch
einen Bericht über die Ereignisse der letzten Monate an den Hospodar: die
Haltung der Schweiz, die augenblickliche Lage der verbündeten Truppen, die
Lage in Italien und die Lage Dänemarks, dies alles legt er aufs klarste und
gedrängteste dar. Es folgen dann in unsrer Veröffentlichung siebenundzwanzig
— zum Teil schon von Prokesch-Osten veröffentlichte — Briefe, die alle an
Karadja gerichtet sind und die militärischen und politischen Begebenheiten bis
in den April 1814 hinein fortlaufend darstellen und erläutern. Einer derselben
ist aus München datirt; vom 29. Januar an befindet sich Gentz wieder in Wien.
Die Korrespondenz mit Metternich, der nun Fürst geworden war, hebt hier
sofort wieder an. Anziehend sind namentlich die Briefe, in welchen er sich über
die Stimmung in den vornehmen Kreisen der Residenz verbreitet; er findet da
nur Parteisucht, Zweifelsucht, das Bedürfnis zu tadeln. Das Große, das bereits
geschehen sei, werde nicht in Anschlag gebracht, der Blick aller sei ohne Unterlaß
auf die Zukunft gerichtet; „was noch nicht erfüllt ist, was noch fehlt und was
geschehen müßte, um dazu zu gelangen, das ist der ewige Stoff aller Gespräche-
Fast keiner hat die Neugierde gehabt, mich zu fragen, wie denn dies oder jenes
sich eigentlich zugetragen habe, durch welche Fügungen und Kombinationen so
große Erfolge bereitet worden, wem das Verdienst davon zugeschrieben, wie
denn in den entscheidenden Augenblicken dieser oder jener zu Werte gegangen
sei. Was wird man thun? Wie wird man mit Napoleon endigen? Wird man
sich nicht mit zu wenigem begnügen? Das sind die Fragen, mit welchen man
ohne Unterlaß gequält wird."

Eine solche Stimmung mußte Gentz umso peinlicher berühren, als nach


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[0172] Friedrich von Gentz. welche die eine bestimmten, der andern den Krieg zu erklären, gerecht und hin¬ reichend waren. Gerade aber das ist der einzige Punkt, worüber die fran¬ zösische Deklaration — denn dafür soll jener Bericht doch gelten — ein tiefes Stillschweigen beobachtet." Gentz mußte bis Anfang Dezember in Prag verbleiben, dann wurde er ins Hauptquartier gerufen, welches sich bereits am Main befand. Am 1ö. kam er in Freiburg an. Die Verhandlungen, an welchen er hier zunächst teilnahm, bezogen sich meist auf die damaligen politischen Verhältnisse der Schweiz und den Durchmarsch der Armee Schwarzenbergs durch ihr Gebiet, gegen welchen die Tagsatzung — noch unter dem Einfluß französischer Agenten stehend protestirte. Eben über dieser Angelegenheit hatte er namentlich mit dem später so oft genannten Grafen Capodistria Unterredungen. Obwohl seine Ansichten von denen der russischen Staatsmänner sehr stark abwichen, erfuhr er doch Vonseiten des Zaren eine außerordentliche Gunstbezeigung: am 2. Januar 1814 übergab ihm der Graf Nesselrode den Annenorden zweiter Klasse, und zugleich verkündete ein Ukas diese ehrenvolle Anerkennung ganz Europa: der Zar nannte ihn darin „den Ritter der Gesetzlichkeit, den Verteidiger der echten Grundsätze der Staatsweisheit und Regierungskunst." In diesen Tagen schickte er auch einen Bericht über die Ereignisse der letzten Monate an den Hospodar: die Haltung der Schweiz, die augenblickliche Lage der verbündeten Truppen, die Lage in Italien und die Lage Dänemarks, dies alles legt er aufs klarste und gedrängteste dar. Es folgen dann in unsrer Veröffentlichung siebenundzwanzig — zum Teil schon von Prokesch-Osten veröffentlichte — Briefe, die alle an Karadja gerichtet sind und die militärischen und politischen Begebenheiten bis in den April 1814 hinein fortlaufend darstellen und erläutern. Einer derselben ist aus München datirt; vom 29. Januar an befindet sich Gentz wieder in Wien. Die Korrespondenz mit Metternich, der nun Fürst geworden war, hebt hier sofort wieder an. Anziehend sind namentlich die Briefe, in welchen er sich über die Stimmung in den vornehmen Kreisen der Residenz verbreitet; er findet da nur Parteisucht, Zweifelsucht, das Bedürfnis zu tadeln. Das Große, das bereits geschehen sei, werde nicht in Anschlag gebracht, der Blick aller sei ohne Unterlaß auf die Zukunft gerichtet; „was noch nicht erfüllt ist, was noch fehlt und was geschehen müßte, um dazu zu gelangen, das ist der ewige Stoff aller Gespräche- Fast keiner hat die Neugierde gehabt, mich zu fragen, wie denn dies oder jenes sich eigentlich zugetragen habe, durch welche Fügungen und Kombinationen so große Erfolge bereitet worden, wem das Verdienst davon zugeschrieben, wie denn in den entscheidenden Augenblicken dieser oder jener zu Werte gegangen sei. Was wird man thun? Wie wird man mit Napoleon endigen? Wird man sich nicht mit zu wenigem begnügen? Das sind die Fragen, mit welchen man ohne Unterlaß gequält wird." Eine solche Stimmung mußte Gentz umso peinlicher berühren, als nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/172>, abgerufen am 17.09.2024.