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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

noch hervorgehoben, daß der Kampf den Tschechen auch dadurch wesentlich er¬
leichtert wird, daß der böhmische Klerus beinahe durchgehends auf ihrer Seite
steht, und zwar ist das sowohl von dem hohen wie von dem niedern zu be¬
haupten. Wie seit Jahren schon von der Negierung, wie täglich mehr von der
Beamtenschaft, so sind die Deutschen auch vou einem andern natürlichen Bundes¬
genossen verlassen worden, von ihrer Geistlichkeit. Man stellt das mit dem
Hinweise darauf in Abrede, daß die Kirche nichts von Nationalitäten wisse,
sondern nur von der Christenheit, und das ist in der Theorie nicht unrichtig,
uicht aber in der Praxis. Rom nahm häufig Partei für die kleinern Natio¬
nalitäten in großen Staatsverbänden, weil diese sich von ihm leichter beherrschen
ließen als die stärkeren. Es wirkte kräftig mit zur Losreißung Belgiens, indem
es die Fläminnen durch die Jesuiten bearbeiten ließ. Es schürt den Brand in
Irland, es that eine Zeit lang, was es konnte, um die preußischen Polen in
ihren Plänen zu fördern, es hat sich immer offen oder insgeheim auf die Seite
der Polnischen Verschwörer in Westrußland gestellt, und es verhält sich ähnlich
zu den Tschechen, welche das nationale Vorland der im deutschen Reiche ge¬
einigten Nation bedrängen und aus dem kleinen Tschechien ein großes zu machen
streben, welches ganz Böhmen und Mähre" umfassen soll, aber immer noch so
klein sein würde, daß es. losgetrennt von den benachbarten deutschen Gebieten,
leicht bei Gehorsam zu erhalten wäre. Es gab eine Zeit, wo die katholische
Geistlichkeit in Böhmen und im übrigen Österreich großenteils deutsch empfand
und handelte. Aber die alten Josefiner sind hier jetzt zu Seltenheiten geworden.
Auf der deutscheu Linken sitzt im böhmischen Landtage gar kein Geistlicher, im
Abgeordnetenhaus" des Neichsrates nur ein einziger -- Posselt. Im großen
und ganzen steht die katholische Geistlichkeit Böhmens dein dortigen katholischen
deutschen Volke -- allerdings auch, weil Kanzel und Altar selbst in Deutsch¬
böhmen vielfach von Tschechen bedient werden -- als eine Phalanx politischer
und nationaler Feinde gegenüber. Es ließen sich Beispiele von Hetzkaplänen in
Menge vorführen, und ich werde später einige davon nennen. Für jetzt nur
uoch ein paar Worte Hallmichs über die Folge dieses unnatürlichen Verhaltens.
"Bereits beginnt das Volk über seinem nationalen und politischen Gegner den
katholischen Priester zu übersehen." sagte dieser warme Vertreter des Interesses
der Deutschen im Wiener Abgeordnetenhause (Sitzung vom 19. April 1836).
"Trotz aller Bevormundung, trotz mehr als hundertjähriger Zensur weiß unser
deutschböhmisches Volk sehr genau, wie es katholisch gemacht, wie ihm der
Katholizismus eingeprügelt wurde. . . Wenn man in Oberösterreich Stefan
Fadinger und seine Genossen, wenn man die Leichenhügel vergessen haben sollte,
die dort der Katholizismus zur größern Ehre Gottes aufhäufte -- bei uns
kennt man die Geschichte der katholischen Gegenreformation. . . Seien wir offen.
Fast nur aus Bequemlichkeit, fast nur aus Sorge vor allzu großen Geldaus-
lagen ist in Böhmen hie und da der eine katholische Deutsche, da und dort


Deutsch-böhmische Briefe.

noch hervorgehoben, daß der Kampf den Tschechen auch dadurch wesentlich er¬
leichtert wird, daß der böhmische Klerus beinahe durchgehends auf ihrer Seite
steht, und zwar ist das sowohl von dem hohen wie von dem niedern zu be¬
haupten. Wie seit Jahren schon von der Negierung, wie täglich mehr von der
Beamtenschaft, so sind die Deutschen auch vou einem andern natürlichen Bundes¬
genossen verlassen worden, von ihrer Geistlichkeit. Man stellt das mit dem
Hinweise darauf in Abrede, daß die Kirche nichts von Nationalitäten wisse,
sondern nur von der Christenheit, und das ist in der Theorie nicht unrichtig,
uicht aber in der Praxis. Rom nahm häufig Partei für die kleinern Natio¬
nalitäten in großen Staatsverbänden, weil diese sich von ihm leichter beherrschen
ließen als die stärkeren. Es wirkte kräftig mit zur Losreißung Belgiens, indem
es die Fläminnen durch die Jesuiten bearbeiten ließ. Es schürt den Brand in
Irland, es that eine Zeit lang, was es konnte, um die preußischen Polen in
ihren Plänen zu fördern, es hat sich immer offen oder insgeheim auf die Seite
der Polnischen Verschwörer in Westrußland gestellt, und es verhält sich ähnlich
zu den Tschechen, welche das nationale Vorland der im deutschen Reiche ge¬
einigten Nation bedrängen und aus dem kleinen Tschechien ein großes zu machen
streben, welches ganz Böhmen und Mähre» umfassen soll, aber immer noch so
klein sein würde, daß es. losgetrennt von den benachbarten deutschen Gebieten,
leicht bei Gehorsam zu erhalten wäre. Es gab eine Zeit, wo die katholische
Geistlichkeit in Böhmen und im übrigen Österreich großenteils deutsch empfand
und handelte. Aber die alten Josefiner sind hier jetzt zu Seltenheiten geworden.
Auf der deutscheu Linken sitzt im böhmischen Landtage gar kein Geistlicher, im
Abgeordnetenhaus« des Neichsrates nur ein einziger — Posselt. Im großen
und ganzen steht die katholische Geistlichkeit Böhmens dein dortigen katholischen
deutschen Volke — allerdings auch, weil Kanzel und Altar selbst in Deutsch¬
böhmen vielfach von Tschechen bedient werden — als eine Phalanx politischer
und nationaler Feinde gegenüber. Es ließen sich Beispiele von Hetzkaplänen in
Menge vorführen, und ich werde später einige davon nennen. Für jetzt nur
uoch ein paar Worte Hallmichs über die Folge dieses unnatürlichen Verhaltens.
„Bereits beginnt das Volk über seinem nationalen und politischen Gegner den
katholischen Priester zu übersehen." sagte dieser warme Vertreter des Interesses
der Deutschen im Wiener Abgeordnetenhause (Sitzung vom 19. April 1836).
„Trotz aller Bevormundung, trotz mehr als hundertjähriger Zensur weiß unser
deutschböhmisches Volk sehr genau, wie es katholisch gemacht, wie ihm der
Katholizismus eingeprügelt wurde. . . Wenn man in Oberösterreich Stefan
Fadinger und seine Genossen, wenn man die Leichenhügel vergessen haben sollte,
die dort der Katholizismus zur größern Ehre Gottes aufhäufte — bei uns
kennt man die Geschichte der katholischen Gegenreformation. . . Seien wir offen.
Fast nur aus Bequemlichkeit, fast nur aus Sorge vor allzu großen Geldaus-
lagen ist in Böhmen hie und da der eine katholische Deutsche, da und dort


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[0117] Deutsch-böhmische Briefe. noch hervorgehoben, daß der Kampf den Tschechen auch dadurch wesentlich er¬ leichtert wird, daß der böhmische Klerus beinahe durchgehends auf ihrer Seite steht, und zwar ist das sowohl von dem hohen wie von dem niedern zu be¬ haupten. Wie seit Jahren schon von der Negierung, wie täglich mehr von der Beamtenschaft, so sind die Deutschen auch vou einem andern natürlichen Bundes¬ genossen verlassen worden, von ihrer Geistlichkeit. Man stellt das mit dem Hinweise darauf in Abrede, daß die Kirche nichts von Nationalitäten wisse, sondern nur von der Christenheit, und das ist in der Theorie nicht unrichtig, uicht aber in der Praxis. Rom nahm häufig Partei für die kleinern Natio¬ nalitäten in großen Staatsverbänden, weil diese sich von ihm leichter beherrschen ließen als die stärkeren. Es wirkte kräftig mit zur Losreißung Belgiens, indem es die Fläminnen durch die Jesuiten bearbeiten ließ. Es schürt den Brand in Irland, es that eine Zeit lang, was es konnte, um die preußischen Polen in ihren Plänen zu fördern, es hat sich immer offen oder insgeheim auf die Seite der Polnischen Verschwörer in Westrußland gestellt, und es verhält sich ähnlich zu den Tschechen, welche das nationale Vorland der im deutschen Reiche ge¬ einigten Nation bedrängen und aus dem kleinen Tschechien ein großes zu machen streben, welches ganz Böhmen und Mähre» umfassen soll, aber immer noch so klein sein würde, daß es. losgetrennt von den benachbarten deutschen Gebieten, leicht bei Gehorsam zu erhalten wäre. Es gab eine Zeit, wo die katholische Geistlichkeit in Böhmen und im übrigen Österreich großenteils deutsch empfand und handelte. Aber die alten Josefiner sind hier jetzt zu Seltenheiten geworden. Auf der deutscheu Linken sitzt im böhmischen Landtage gar kein Geistlicher, im Abgeordnetenhaus« des Neichsrates nur ein einziger — Posselt. Im großen und ganzen steht die katholische Geistlichkeit Böhmens dein dortigen katholischen deutschen Volke — allerdings auch, weil Kanzel und Altar selbst in Deutsch¬ böhmen vielfach von Tschechen bedient werden — als eine Phalanx politischer und nationaler Feinde gegenüber. Es ließen sich Beispiele von Hetzkaplänen in Menge vorführen, und ich werde später einige davon nennen. Für jetzt nur uoch ein paar Worte Hallmichs über die Folge dieses unnatürlichen Verhaltens. „Bereits beginnt das Volk über seinem nationalen und politischen Gegner den katholischen Priester zu übersehen." sagte dieser warme Vertreter des Interesses der Deutschen im Wiener Abgeordnetenhause (Sitzung vom 19. April 1836). „Trotz aller Bevormundung, trotz mehr als hundertjähriger Zensur weiß unser deutschböhmisches Volk sehr genau, wie es katholisch gemacht, wie ihm der Katholizismus eingeprügelt wurde. . . Wenn man in Oberösterreich Stefan Fadinger und seine Genossen, wenn man die Leichenhügel vergessen haben sollte, die dort der Katholizismus zur größern Ehre Gottes aufhäufte — bei uns kennt man die Geschichte der katholischen Gegenreformation. . . Seien wir offen. Fast nur aus Bequemlichkeit, fast nur aus Sorge vor allzu großen Geldaus- lagen ist in Böhmen hie und da der eine katholische Deutsche, da und dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/117>, abgerufen am 17.09.2024.