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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

ihre Zukunft, eine Erhebung. Heutzutage verhält sich das ganz anders. Die
in deutschböhmische Städte eingewanderten Tschechen schicken ihre Kinder nicht
mehr in die dortigen deutschen, sondern in die der Bürgerschaft aufgenötigten
tschechischen Schulen, und diese junge Generation lernt nicht mehr Deutsch.
Neben der Schule wird eine tschechische "Beseda" (Club) eingerichtet, in der
tschechisches "Nationalgefühl," d. h. fanatischer Dünkel und Deutschenhaß, gesät
und gepflegt wird, und deren Mitglieder wieder und immer wieder durch Reden
und Zeitungen belehrt werden, daß der Tscheche im Lande der Gebieter, der
Alleinberechtigte und daß der Statthalter sein gnädigster Herr Gönner ist, der
sich allerwegen angelegen sein läßt, ihm diese Macht und Berechtigung zu wahren
und zu mehren. So sehen wir denn, daß im Verlaufe von etwa zehn oder
zwölf Jahren die deutsche Gemeinde zu einer tschechischen Bevölkerung von
mehreren tausend Köpfen gekommen ist, sie weiß nicht recht, wie, aber sie be¬
kommt's sehr bald zu fühlen -- am Beutel; sie ist gewachsen, aber größtenteils
am Proletariat. Noch ist sie nicht ganz tschechisirt, aber die ersten Schritte
dazu sind gethan: die vormals reindeutsche Gemeinde ist eine sprachlich gemischte
geworden -- wie der Herr Statthalter mit der Mehrheit des Landtages meint,
und wie nur die Verstocktheit der Minderheit nicht zugestehen will, nach welcher
die Gemeinde aus den seßhaften und steuerzahlenden Bürgern besteht, die ein
Interesse am Wohle des Ganzen haben, nicht aber aus besitzlosen Volke, welches
bald hier, bald da sein Brot sucht und nur verlangt, nichts zu geben hat.

"In Böhmen -- so zitirte Hallwich in seiner zuletzt erwähnten Rede --,
in Ungarn, überall geben die Deutschen ihren Besitzstand auf. So wird uns
vorgeworfen -- fuhr er fort --, und leider nicht ganz mit Unrecht. Ich könnte
ihnen eine ganze Reihe von böhmischen Städten aufzählen, die vor kaum vierzig
Jahren eine, wenn nicht ausschließlich, so doch überwigend deutsche Bevölkerung
hatten und heute stockböhmisch sind, lediglich infolge der Errichtung von tsche¬
chischen Volks- und Mittelschulen, welche diese Bevölkerung deutschen Ministerien
verdankt. Sie sind für uns verloren, diese Städte. Und was in Jitschin, in
Königinhof, in Czaslau u. s. w. möglich gewesen ist, das soll jetzt auch möglich
werden in allen von Uranfängen deutschen Städten des Landes, in Tmutencm,
Hohenelbe und Arrau, in Reichenberg. Friedland. Leipa. Rumburg. Schluckenau
u- a. Wir aber sagen: Das soll und darf nimmer geschehen. Wir werden es
zu hindern wissen. Das sind wir uns und unsern Kindern schuldig."

Gestatten Sie, daß ich auf noch etwas aufmerksam mache. Es betrifft das
gewerbliche Unterrichtswesen. Dasselbe blühte in Böhmen schon vor hundert
Jahren; denn bereits uuter Maria Theresia und Josef II. gab es hier Hun¬
derte von gewerblichen und landwirtschaftlichen Fach- und Fortbildungsschulen.
Die Reaktion vernichtete sie, die neuere Zeit hob diesen Zweig des Unterrichts
von neuem. In den fünfziger Jahren entstanden gewerbliche Fachschulen in
Reichenbach und Steinschöncm aus eigner Initiative dieser Orte. Erst zwei


Deutsch-böhmische Briefe.

ihre Zukunft, eine Erhebung. Heutzutage verhält sich das ganz anders. Die
in deutschböhmische Städte eingewanderten Tschechen schicken ihre Kinder nicht
mehr in die dortigen deutschen, sondern in die der Bürgerschaft aufgenötigten
tschechischen Schulen, und diese junge Generation lernt nicht mehr Deutsch.
Neben der Schule wird eine tschechische „Beseda" (Club) eingerichtet, in der
tschechisches „Nationalgefühl," d. h. fanatischer Dünkel und Deutschenhaß, gesät
und gepflegt wird, und deren Mitglieder wieder und immer wieder durch Reden
und Zeitungen belehrt werden, daß der Tscheche im Lande der Gebieter, der
Alleinberechtigte und daß der Statthalter sein gnädigster Herr Gönner ist, der
sich allerwegen angelegen sein läßt, ihm diese Macht und Berechtigung zu wahren
und zu mehren. So sehen wir denn, daß im Verlaufe von etwa zehn oder
zwölf Jahren die deutsche Gemeinde zu einer tschechischen Bevölkerung von
mehreren tausend Köpfen gekommen ist, sie weiß nicht recht, wie, aber sie be¬
kommt's sehr bald zu fühlen — am Beutel; sie ist gewachsen, aber größtenteils
am Proletariat. Noch ist sie nicht ganz tschechisirt, aber die ersten Schritte
dazu sind gethan: die vormals reindeutsche Gemeinde ist eine sprachlich gemischte
geworden — wie der Herr Statthalter mit der Mehrheit des Landtages meint,
und wie nur die Verstocktheit der Minderheit nicht zugestehen will, nach welcher
die Gemeinde aus den seßhaften und steuerzahlenden Bürgern besteht, die ein
Interesse am Wohle des Ganzen haben, nicht aber aus besitzlosen Volke, welches
bald hier, bald da sein Brot sucht und nur verlangt, nichts zu geben hat.

„In Böhmen — so zitirte Hallwich in seiner zuletzt erwähnten Rede —,
in Ungarn, überall geben die Deutschen ihren Besitzstand auf. So wird uns
vorgeworfen — fuhr er fort —, und leider nicht ganz mit Unrecht. Ich könnte
ihnen eine ganze Reihe von böhmischen Städten aufzählen, die vor kaum vierzig
Jahren eine, wenn nicht ausschließlich, so doch überwigend deutsche Bevölkerung
hatten und heute stockböhmisch sind, lediglich infolge der Errichtung von tsche¬
chischen Volks- und Mittelschulen, welche diese Bevölkerung deutschen Ministerien
verdankt. Sie sind für uns verloren, diese Städte. Und was in Jitschin, in
Königinhof, in Czaslau u. s. w. möglich gewesen ist, das soll jetzt auch möglich
werden in allen von Uranfängen deutschen Städten des Landes, in Tmutencm,
Hohenelbe und Arrau, in Reichenberg. Friedland. Leipa. Rumburg. Schluckenau
u- a. Wir aber sagen: Das soll und darf nimmer geschehen. Wir werden es
zu hindern wissen. Das sind wir uns und unsern Kindern schuldig."

Gestatten Sie, daß ich auf noch etwas aufmerksam mache. Es betrifft das
gewerbliche Unterrichtswesen. Dasselbe blühte in Böhmen schon vor hundert
Jahren; denn bereits uuter Maria Theresia und Josef II. gab es hier Hun¬
derte von gewerblichen und landwirtschaftlichen Fach- und Fortbildungsschulen.
Die Reaktion vernichtete sie, die neuere Zeit hob diesen Zweig des Unterrichts
von neuem. In den fünfziger Jahren entstanden gewerbliche Fachschulen in
Reichenbach und Steinschöncm aus eigner Initiative dieser Orte. Erst zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/115>, abgerufen am 17.09.2024.