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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Gemeinden Böhmens -- auf Kosten dieser letzteren, die somit ihre Tschechi-
sirung nicht bloß dulden, sondern obendrein noch bezahlen sollen. Unerhört!
sagt der Leser. Unglaublich! Und doch ist es so. Am 19. März 1886 be¬
richtete Dr. Hallwich im Abgeordnetenhause des Reichsrates über dieses Ver¬
fahren wie folgt: "Ein tschechischer Privatverein errichtet in einer deutschen
Stadt eine Privatvolksschule. Nach allerkürzester Zeit hat ihr der Statthalter,
d. h. der Landesschulrat, dessen Vorsitzender bekanntlich der Statthalter ist, das
Öffentlichkeitsrecht erwirkt oder verliehen. Es dauert abermals garnicht lange,
und der tschechische Verein kommt bei der deutschen Gemeinde um Übernahme
dieser Schule auf Gemeindekosten ein. Die Gemeinde sträubt sich natürlich,
und die Sache geht nun an den böhmischen Landesschulrat. Der Statthalter
trägt der abgeneigten Gemeinde -- womöglich telegraphisch -- auf, binnen
vierundzwanzig Stunden sich zu äußern, selbstverständlich nur xro torma sich
zu äußern; denn sie mag sich äußern wie sie will, thun und lassen, was ihr
beliebt, sie wird auf alle Fälle angehalten, die tschechische Schule auf Kosten der
deutschen Stadt zu übernehmen und sich damit eine riesige neue Steuerlast auf¬
zuhalsen -- zu Gunsten der Kinder einer fluktuirenden, soviel wie keine Steuern
zahlenden Arbeiter- und Handwerkerbevölkerung, sonst ehrenwerter Leute." Ein
Beispiel für die Art und Weise, auf die es dabei mitunter zugeht, erzählte der
Abgeordnete Funke dem böhmischen Landtage am 14. Oktober 1884 aus Leit-
meritz. Hier wurde eine Eingabe mit hundertfünfundvierzig Unterschriften von
Eltern tschechischer Kinder überreicht, welche um Übernahme der von der Ratlos
skolskg. gegründeten Schule auf den Stadtsäckel bat. Geschwind kam vom
Landesschulrate die Weisung an den Ortsschulrat, die erforderlichen Erhebungen
vorzunehmen. Pflichttreue verlangte einige Gründlichkeit, und so ging die Sache
nicht so rasch, als in Prag gewünscht wurde. Auch ergriff die böse Stadt¬
vertretung Rekurs gegen die Maßregel. Weder dies noch die Bitte des Orts¬
schulrates um eine Frist für die Prüfung des Gesundes hatte Erfolg. Dabei
kamen die Entscheidungen des hohen Landesschulrates so blitzschnell herunter,
als ob es sich um das Wohl und Wehe von tausenden in ihren Interessen
bedrohter Kinder handelte. Zuletzt mußte die Bezirkshauptmannschaft die Sache
untersuchen, und siehe da. jetzt gebar der kreisende Berg eine Maus und da¬
neben noch einige andre interessante Kleinigkeiten, z. B. etliche tschechische
Schwindelmanöver. Zunächst hatten viele Unterzeichner nicht gewußt, um was
sich die Frage drehte, und gemeint, es solle bloß festgestellt werden, daß ihre
Kinder die tschechische Winkelschule besuchten. Dann ergab sich, daß statt
hundertfünfundvierzig nur achtunddreißig tschechische Kinder, ja nach der Rech¬
nung des Bezirksschulrates weniger als zwanzig vorhanden waren, und sür
diese sollte die Stadt in ganz unerhörter Weise belastet werden. Ob die
Tschechenschule daraufhin Privatangelegenheit geblieben ist, kann ich aus dem
mir vorliegenden Material nicht ersehen, darf es aber bezweifeln. Die Stadt-


Grenzboten II. 1887.
Deutsch-böhmische Briefe.

Gemeinden Böhmens — auf Kosten dieser letzteren, die somit ihre Tschechi-
sirung nicht bloß dulden, sondern obendrein noch bezahlen sollen. Unerhört!
sagt der Leser. Unglaublich! Und doch ist es so. Am 19. März 1886 be¬
richtete Dr. Hallwich im Abgeordnetenhause des Reichsrates über dieses Ver¬
fahren wie folgt: „Ein tschechischer Privatverein errichtet in einer deutschen
Stadt eine Privatvolksschule. Nach allerkürzester Zeit hat ihr der Statthalter,
d. h. der Landesschulrat, dessen Vorsitzender bekanntlich der Statthalter ist, das
Öffentlichkeitsrecht erwirkt oder verliehen. Es dauert abermals garnicht lange,
und der tschechische Verein kommt bei der deutschen Gemeinde um Übernahme
dieser Schule auf Gemeindekosten ein. Die Gemeinde sträubt sich natürlich,
und die Sache geht nun an den böhmischen Landesschulrat. Der Statthalter
trägt der abgeneigten Gemeinde — womöglich telegraphisch — auf, binnen
vierundzwanzig Stunden sich zu äußern, selbstverständlich nur xro torma sich
zu äußern; denn sie mag sich äußern wie sie will, thun und lassen, was ihr
beliebt, sie wird auf alle Fälle angehalten, die tschechische Schule auf Kosten der
deutschen Stadt zu übernehmen und sich damit eine riesige neue Steuerlast auf¬
zuhalsen — zu Gunsten der Kinder einer fluktuirenden, soviel wie keine Steuern
zahlenden Arbeiter- und Handwerkerbevölkerung, sonst ehrenwerter Leute." Ein
Beispiel für die Art und Weise, auf die es dabei mitunter zugeht, erzählte der
Abgeordnete Funke dem böhmischen Landtage am 14. Oktober 1884 aus Leit-
meritz. Hier wurde eine Eingabe mit hundertfünfundvierzig Unterschriften von
Eltern tschechischer Kinder überreicht, welche um Übernahme der von der Ratlos
skolskg. gegründeten Schule auf den Stadtsäckel bat. Geschwind kam vom
Landesschulrate die Weisung an den Ortsschulrat, die erforderlichen Erhebungen
vorzunehmen. Pflichttreue verlangte einige Gründlichkeit, und so ging die Sache
nicht so rasch, als in Prag gewünscht wurde. Auch ergriff die böse Stadt¬
vertretung Rekurs gegen die Maßregel. Weder dies noch die Bitte des Orts¬
schulrates um eine Frist für die Prüfung des Gesundes hatte Erfolg. Dabei
kamen die Entscheidungen des hohen Landesschulrates so blitzschnell herunter,
als ob es sich um das Wohl und Wehe von tausenden in ihren Interessen
bedrohter Kinder handelte. Zuletzt mußte die Bezirkshauptmannschaft die Sache
untersuchen, und siehe da. jetzt gebar der kreisende Berg eine Maus und da¬
neben noch einige andre interessante Kleinigkeiten, z. B. etliche tschechische
Schwindelmanöver. Zunächst hatten viele Unterzeichner nicht gewußt, um was
sich die Frage drehte, und gemeint, es solle bloß festgestellt werden, daß ihre
Kinder die tschechische Winkelschule besuchten. Dann ergab sich, daß statt
hundertfünfundvierzig nur achtunddreißig tschechische Kinder, ja nach der Rech¬
nung des Bezirksschulrates weniger als zwanzig vorhanden waren, und sür
diese sollte die Stadt in ganz unerhörter Weise belastet werden. Ob die
Tschechenschule daraufhin Privatangelegenheit geblieben ist, kann ich aus dem
mir vorliegenden Material nicht ersehen, darf es aber bezweifeln. Die Stadt-


Grenzboten II. 1887.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/113>, abgerufen am 17.09.2024.