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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

derselben bestand bisher nicht, ja "die Anwendung von Zwang zur Erlernung
einer zweiten Landessprache" ist grundsätzlich ausgeschlossen. Dazu kommt, daß
das Tschechische wie alle slawischen Idiome dem Deutschen außerordentlich schwer
in den Kopf geht, und daß er namentlich im vorgerückten Alter kaum mehr
imstande ist. seiner in Schrift und Wort genügend mächtig zu werden. Hatte
manchen der Herren Tschechen in der Prager Journalistik oder im dortigen
Landtage, die auf deutschem Boden geboren wurden, nicht der Zufall schon als
Kind nach Tschechien gebracht, so Wäre er nimmermehr zu der Übung in dessen
Rede gelangt, welche ihn - wir denken an Pan Gregr, dessen Vaterstadt
Steyr ist - befähigte, ein Führer der ..Nation von Böhmen" zu werden und
eine hervorragende Stelle unter den Schmutzschleudern einzunehmen, mit denen
sie ihre deutsche" Nachbarn bewirft. Die tschechische Sprache bietet der deutschen
Zunge große Schwierigkeiten, und Gewaltmittel treiben sie nicht ein. machen
sie vielmehr zu etwas Verhaßten. Anderseits fällt die Erlernung des Deutschen
den Tschechen auch nicht leicht, und wir wundern uns nicht, wenn der Abge¬
ordnete Kraus 1884 im Wiener Reichsrate hervorhob, daß in einer Anzahl
rein deutscher Bezirke Böhmens nicht wenige tschechische Gerichts- und Verwal¬
tungsbeamte sich finden, welche das Deutsche nur radebrcchen, und daß mancher
katholische deutsche Bauer Böhmens fast nnr deshalb nicht mehr die Kirche be¬
sucht, weil sein Ohr es nicht verträgt, wenn seine Muttersprache vom tschechischen
Pfarrer oder Kaplan am Altare und auf der Kanzel gemißhandelt wird. Ein
schlagender Beweis, wie es in den Kreisen der Justiz, in dieser Hinsicht steht,
war ein vom 27. November datirtes Rundschreiben des Prager Oberlandes¬
gerichtes an sämtliche Gerichte seines Sprengels, wo ..auf die in neuester Zeit
so häufigen sprachlichen und orthographischen Fehler in gerichtlichen Ausfer¬
tigungen" hingewiesen und es den Gerichtsvorständcn zur Pflicht gemacht wird,
"diesen Übelständen entgegenzuwirken." Endlich noch eins. Könnte wohl irgend
ein Tscheche mit einigem Recht und Gewissen behaupten, seine Sprache müsse
in dem Sinne gleichberechtigt mit der deutschen sein, daß sie gleich an Wert
für das höhere und niedere Leben wäre? Es würde das Lächeln aller Welt
erwecken, es würde eine Stirn wie die des Herrn Gregr erfordern, wenn jemand
etwas der Art behaupten wollte. Die tschechische Sprache, dieses künstlich
wieder aufgeputzte Bauernidiom mit einer Literatur, die zum größten Teile in
doppeltem Sinne Übersetzung oder Nachbildung deutscher Originale ist, kann
nur von ärgster Einbildung und Anmaßung als gleichwertig mit der unsern
bezeichnet werden. Abgesehen von ihrem innern Werte ist sie es auch aus
äußern Gründen weder in Böhmen noch sonst in Österreich, noch in der Welt
überhaupt. Der Deutsche des Böhmerlandes kann in jeder Beziehung seines
bürgerlichen Erwerbes, seines wirtschaftlichen Lebens und seiner Ausbildungmit seiner Muttersprache vollkommen sich zurechtfinden, lernen, reisen und ge¬
deihen, der Tscheche kann dies selbstverständlich nicht, und der kleine Mann


Deutsch-böhmische Briefe.

derselben bestand bisher nicht, ja „die Anwendung von Zwang zur Erlernung
einer zweiten Landessprache" ist grundsätzlich ausgeschlossen. Dazu kommt, daß
das Tschechische wie alle slawischen Idiome dem Deutschen außerordentlich schwer
in den Kopf geht, und daß er namentlich im vorgerückten Alter kaum mehr
imstande ist. seiner in Schrift und Wort genügend mächtig zu werden. Hatte
manchen der Herren Tschechen in der Prager Journalistik oder im dortigen
Landtage, die auf deutschem Boden geboren wurden, nicht der Zufall schon als
Kind nach Tschechien gebracht, so Wäre er nimmermehr zu der Übung in dessen
Rede gelangt, welche ihn - wir denken an Pan Gregr, dessen Vaterstadt
Steyr ist - befähigte, ein Führer der ..Nation von Böhmen" zu werden und
eine hervorragende Stelle unter den Schmutzschleudern einzunehmen, mit denen
sie ihre deutsche» Nachbarn bewirft. Die tschechische Sprache bietet der deutschen
Zunge große Schwierigkeiten, und Gewaltmittel treiben sie nicht ein. machen
sie vielmehr zu etwas Verhaßten. Anderseits fällt die Erlernung des Deutschen
den Tschechen auch nicht leicht, und wir wundern uns nicht, wenn der Abge¬
ordnete Kraus 1884 im Wiener Reichsrate hervorhob, daß in einer Anzahl
rein deutscher Bezirke Böhmens nicht wenige tschechische Gerichts- und Verwal¬
tungsbeamte sich finden, welche das Deutsche nur radebrcchen, und daß mancher
katholische deutsche Bauer Böhmens fast nnr deshalb nicht mehr die Kirche be¬
sucht, weil sein Ohr es nicht verträgt, wenn seine Muttersprache vom tschechischen
Pfarrer oder Kaplan am Altare und auf der Kanzel gemißhandelt wird. Ein
schlagender Beweis, wie es in den Kreisen der Justiz, in dieser Hinsicht steht,
war ein vom 27. November datirtes Rundschreiben des Prager Oberlandes¬
gerichtes an sämtliche Gerichte seines Sprengels, wo ..auf die in neuester Zeit
so häufigen sprachlichen und orthographischen Fehler in gerichtlichen Ausfer¬
tigungen" hingewiesen und es den Gerichtsvorständcn zur Pflicht gemacht wird,
«diesen Übelständen entgegenzuwirken." Endlich noch eins. Könnte wohl irgend
ein Tscheche mit einigem Recht und Gewissen behaupten, seine Sprache müsse
in dem Sinne gleichberechtigt mit der deutschen sein, daß sie gleich an Wert
für das höhere und niedere Leben wäre? Es würde das Lächeln aller Welt
erwecken, es würde eine Stirn wie die des Herrn Gregr erfordern, wenn jemand
etwas der Art behaupten wollte. Die tschechische Sprache, dieses künstlich
wieder aufgeputzte Bauernidiom mit einer Literatur, die zum größten Teile in
doppeltem Sinne Übersetzung oder Nachbildung deutscher Originale ist, kann
nur von ärgster Einbildung und Anmaßung als gleichwertig mit der unsern
bezeichnet werden. Abgesehen von ihrem innern Werte ist sie es auch aus
äußern Gründen weder in Böhmen noch sonst in Österreich, noch in der Welt
überhaupt. Der Deutsche des Böhmerlandes kann in jeder Beziehung seines
bürgerlichen Erwerbes, seines wirtschaftlichen Lebens und seiner Ausbildungmit seiner Muttersprache vollkommen sich zurechtfinden, lernen, reisen und ge¬
deihen, der Tscheche kann dies selbstverständlich nicht, und der kleine Mann


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[0111] Deutsch-böhmische Briefe. derselben bestand bisher nicht, ja „die Anwendung von Zwang zur Erlernung einer zweiten Landessprache" ist grundsätzlich ausgeschlossen. Dazu kommt, daß das Tschechische wie alle slawischen Idiome dem Deutschen außerordentlich schwer in den Kopf geht, und daß er namentlich im vorgerückten Alter kaum mehr imstande ist. seiner in Schrift und Wort genügend mächtig zu werden. Hatte manchen der Herren Tschechen in der Prager Journalistik oder im dortigen Landtage, die auf deutschem Boden geboren wurden, nicht der Zufall schon als Kind nach Tschechien gebracht, so Wäre er nimmermehr zu der Übung in dessen Rede gelangt, welche ihn - wir denken an Pan Gregr, dessen Vaterstadt Steyr ist - befähigte, ein Führer der ..Nation von Böhmen" zu werden und eine hervorragende Stelle unter den Schmutzschleudern einzunehmen, mit denen sie ihre deutsche» Nachbarn bewirft. Die tschechische Sprache bietet der deutschen Zunge große Schwierigkeiten, und Gewaltmittel treiben sie nicht ein. machen sie vielmehr zu etwas Verhaßten. Anderseits fällt die Erlernung des Deutschen den Tschechen auch nicht leicht, und wir wundern uns nicht, wenn der Abge¬ ordnete Kraus 1884 im Wiener Reichsrate hervorhob, daß in einer Anzahl rein deutscher Bezirke Böhmens nicht wenige tschechische Gerichts- und Verwal¬ tungsbeamte sich finden, welche das Deutsche nur radebrcchen, und daß mancher katholische deutsche Bauer Böhmens fast nnr deshalb nicht mehr die Kirche be¬ sucht, weil sein Ohr es nicht verträgt, wenn seine Muttersprache vom tschechischen Pfarrer oder Kaplan am Altare und auf der Kanzel gemißhandelt wird. Ein schlagender Beweis, wie es in den Kreisen der Justiz, in dieser Hinsicht steht, war ein vom 27. November datirtes Rundschreiben des Prager Oberlandes¬ gerichtes an sämtliche Gerichte seines Sprengels, wo ..auf die in neuester Zeit so häufigen sprachlichen und orthographischen Fehler in gerichtlichen Ausfer¬ tigungen" hingewiesen und es den Gerichtsvorständcn zur Pflicht gemacht wird, «diesen Übelständen entgegenzuwirken." Endlich noch eins. Könnte wohl irgend ein Tscheche mit einigem Recht und Gewissen behaupten, seine Sprache müsse in dem Sinne gleichberechtigt mit der deutschen sein, daß sie gleich an Wert für das höhere und niedere Leben wäre? Es würde das Lächeln aller Welt erwecken, es würde eine Stirn wie die des Herrn Gregr erfordern, wenn jemand etwas der Art behaupten wollte. Die tschechische Sprache, dieses künstlich wieder aufgeputzte Bauernidiom mit einer Literatur, die zum größten Teile in doppeltem Sinne Übersetzung oder Nachbildung deutscher Originale ist, kann nur von ärgster Einbildung und Anmaßung als gleichwertig mit der unsern bezeichnet werden. Abgesehen von ihrem innern Werte ist sie es auch aus äußern Gründen weder in Böhmen noch sonst in Österreich, noch in der Welt überhaupt. Der Deutsche des Böhmerlandes kann in jeder Beziehung seines bürgerlichen Erwerbes, seines wirtschaftlichen Lebens und seiner Ausbildungmit seiner Muttersprache vollkommen sich zurechtfinden, lernen, reisen und ge¬ deihen, der Tscheche kann dies selbstverständlich nicht, und der kleine Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/111>, abgerufen am 17.09.2024.