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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gin'Jubiläum.

als seine auswärtige Politik." Nun aber kam einige Jahre später Herr von
Unruh, der alte Parlamentarier, der, nachdem er 1848 Präsident der demokratischen
Nationalversammlung gewesen war, auch in den Reihen der Opposition von 1862
bis 1866 eine Rolle gespielt hatte, und verriet der Welt, er habe Vismarcks
Ansichten von den Zielen der auswärtigen Politik Preußens, namentlich über
dessen Aufgabe Osterreich gegenüber, schon seit 1859, ja seit 1854 gekannt, und
er habe darüber bei Bismarcks Amtsantritte seinen politischen Freunden Mit¬
teilungen gemacht; indes sei es zweifelhaft geblieben, ob er jene Ansichten und
Pläne noch habe, und ob er sie gegen die reaktionär und österreichisch gesinnte
Hofpartei durchsetzen könne. Der eigne Parteigenosse erhob hiermit die schwere
Anklage gegen die damalige Mehrheit, Vismarcks ihr mitgeteilte Pläne ignorirt
zu haben, weil sie kein Minister ans ihrer Mitte, sondern "der Junker aus
dem Vereinigten Landtage" ausführen wollte, das heißt, weil sie die Sache der
Partei über die des Vaterlandes stellte. Es war nicht wahr, wenn behauptet
wurde, das Land habe "keine Aussicht oder nicht die mindeste Sicherheit gehabt,
daß die verdoppelte Armee zur Grundlage einer kräftigen äußern Politik dienen"
würde. Wenigstens lag die Aussicht darauf und die Sicherheit, soweit eine
solche gegeben werden konnte, in den Worten des Königs, die er schon als
Prinz-Regent ausgesprochen hatte, Preußens Heer müsse mächtig und angesehen
sein, um, "neun es gälte, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die Wag¬
schale legen zu können, und zu denen sich seine Ankündigung eines festen, kon¬
sequenten und, wenn es sein müsse, energischen Verhaltens in der Politik ge¬
sellte. Dazu kam endlich noch, daß die Reorganisation des Heeres der
Landesvertretung mit dem Bemerken vorgelegt wurde, noch nie sei ihr eine
Maßregel von so hoher Bedeutung sür die Größe und Macht des Vaterlandes
zugegangen. Eine weitere Unwahrheit war es, wenn man that, als ob man
bezweifelte, daß Bismarck jetzt als Minister noch dieselben Pläne für die
Stellung Preußens zu Österreich und in Betreff der übrigen Glieder des
deutschen Bundes habe, die er als Gesandter bei dem Zentrum des letztere"
wiederholt gegen Privatpersonen und darunter gegen den Fortschrittsmaun
von Unruh selbst ausgesprochen hatte. Natürlich konnte er sie in seiner
jetzigen Stellung nicht an die große Glocke hängen, nicht von der Ministerbank
aus den Herren von der Opposition, den Zeitungen und damit ganz Europa
verkündigen, aber was sich der Welt darüber andeuten ließ, wurde von ihm so
verständlich angedeutet, daß Leute, die irgend hören und verstehen wollten, über
den Sinn der betreffenden Worte nicht unklar und unsicher sein konnten. Die
Sprache, die er bei seinem ersten Erscheinen in der Budgetkommission des Ab¬
geordnetenhauses führte, mußte jedermann die Gewißheit geben, daß die "große
aktive Politik," die er Jahre zuvor für nötig erklärt hatte, von ihm noch immer
ins Auge gefaßt sei. Er sagte damals u. a.: "Wir haben die Vorliebe, eine
zu große Rüstung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch


Gin'Jubiläum.

als seine auswärtige Politik." Nun aber kam einige Jahre später Herr von
Unruh, der alte Parlamentarier, der, nachdem er 1848 Präsident der demokratischen
Nationalversammlung gewesen war, auch in den Reihen der Opposition von 1862
bis 1866 eine Rolle gespielt hatte, und verriet der Welt, er habe Vismarcks
Ansichten von den Zielen der auswärtigen Politik Preußens, namentlich über
dessen Aufgabe Osterreich gegenüber, schon seit 1859, ja seit 1854 gekannt, und
er habe darüber bei Bismarcks Amtsantritte seinen politischen Freunden Mit¬
teilungen gemacht; indes sei es zweifelhaft geblieben, ob er jene Ansichten und
Pläne noch habe, und ob er sie gegen die reaktionär und österreichisch gesinnte
Hofpartei durchsetzen könne. Der eigne Parteigenosse erhob hiermit die schwere
Anklage gegen die damalige Mehrheit, Vismarcks ihr mitgeteilte Pläne ignorirt
zu haben, weil sie kein Minister ans ihrer Mitte, sondern „der Junker aus
dem Vereinigten Landtage" ausführen wollte, das heißt, weil sie die Sache der
Partei über die des Vaterlandes stellte. Es war nicht wahr, wenn behauptet
wurde, das Land habe „keine Aussicht oder nicht die mindeste Sicherheit gehabt,
daß die verdoppelte Armee zur Grundlage einer kräftigen äußern Politik dienen"
würde. Wenigstens lag die Aussicht darauf und die Sicherheit, soweit eine
solche gegeben werden konnte, in den Worten des Königs, die er schon als
Prinz-Regent ausgesprochen hatte, Preußens Heer müsse mächtig und angesehen
sein, um, »neun es gälte, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die Wag¬
schale legen zu können, und zu denen sich seine Ankündigung eines festen, kon¬
sequenten und, wenn es sein müsse, energischen Verhaltens in der Politik ge¬
sellte. Dazu kam endlich noch, daß die Reorganisation des Heeres der
Landesvertretung mit dem Bemerken vorgelegt wurde, noch nie sei ihr eine
Maßregel von so hoher Bedeutung sür die Größe und Macht des Vaterlandes
zugegangen. Eine weitere Unwahrheit war es, wenn man that, als ob man
bezweifelte, daß Bismarck jetzt als Minister noch dieselben Pläne für die
Stellung Preußens zu Österreich und in Betreff der übrigen Glieder des
deutschen Bundes habe, die er als Gesandter bei dem Zentrum des letztere«
wiederholt gegen Privatpersonen und darunter gegen den Fortschrittsmaun
von Unruh selbst ausgesprochen hatte. Natürlich konnte er sie in seiner
jetzigen Stellung nicht an die große Glocke hängen, nicht von der Ministerbank
aus den Herren von der Opposition, den Zeitungen und damit ganz Europa
verkündigen, aber was sich der Welt darüber andeuten ließ, wurde von ihm so
verständlich angedeutet, daß Leute, die irgend hören und verstehen wollten, über
den Sinn der betreffenden Worte nicht unklar und unsicher sein konnten. Die
Sprache, die er bei seinem ersten Erscheinen in der Budgetkommission des Ab¬
geordnetenhauses führte, mußte jedermann die Gewißheit geben, daß die „große
aktive Politik," die er Jahre zuvor für nötig erklärt hatte, von ihm noch immer
ins Auge gefaßt sei. Er sagte damals u. a.: „Wir haben die Vorliebe, eine
zu große Rüstung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch


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[0074] Gin'Jubiläum. als seine auswärtige Politik." Nun aber kam einige Jahre später Herr von Unruh, der alte Parlamentarier, der, nachdem er 1848 Präsident der demokratischen Nationalversammlung gewesen war, auch in den Reihen der Opposition von 1862 bis 1866 eine Rolle gespielt hatte, und verriet der Welt, er habe Vismarcks Ansichten von den Zielen der auswärtigen Politik Preußens, namentlich über dessen Aufgabe Osterreich gegenüber, schon seit 1859, ja seit 1854 gekannt, und er habe darüber bei Bismarcks Amtsantritte seinen politischen Freunden Mit¬ teilungen gemacht; indes sei es zweifelhaft geblieben, ob er jene Ansichten und Pläne noch habe, und ob er sie gegen die reaktionär und österreichisch gesinnte Hofpartei durchsetzen könne. Der eigne Parteigenosse erhob hiermit die schwere Anklage gegen die damalige Mehrheit, Vismarcks ihr mitgeteilte Pläne ignorirt zu haben, weil sie kein Minister ans ihrer Mitte, sondern „der Junker aus dem Vereinigten Landtage" ausführen wollte, das heißt, weil sie die Sache der Partei über die des Vaterlandes stellte. Es war nicht wahr, wenn behauptet wurde, das Land habe „keine Aussicht oder nicht die mindeste Sicherheit gehabt, daß die verdoppelte Armee zur Grundlage einer kräftigen äußern Politik dienen" würde. Wenigstens lag die Aussicht darauf und die Sicherheit, soweit eine solche gegeben werden konnte, in den Worten des Königs, die er schon als Prinz-Regent ausgesprochen hatte, Preußens Heer müsse mächtig und angesehen sein, um, »neun es gälte, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die Wag¬ schale legen zu können, und zu denen sich seine Ankündigung eines festen, kon¬ sequenten und, wenn es sein müsse, energischen Verhaltens in der Politik ge¬ sellte. Dazu kam endlich noch, daß die Reorganisation des Heeres der Landesvertretung mit dem Bemerken vorgelegt wurde, noch nie sei ihr eine Maßregel von so hoher Bedeutung sür die Größe und Macht des Vaterlandes zugegangen. Eine weitere Unwahrheit war es, wenn man that, als ob man bezweifelte, daß Bismarck jetzt als Minister noch dieselben Pläne für die Stellung Preußens zu Österreich und in Betreff der übrigen Glieder des deutschen Bundes habe, die er als Gesandter bei dem Zentrum des letztere« wiederholt gegen Privatpersonen und darunter gegen den Fortschrittsmaun von Unruh selbst ausgesprochen hatte. Natürlich konnte er sie in seiner jetzigen Stellung nicht an die große Glocke hängen, nicht von der Ministerbank aus den Herren von der Opposition, den Zeitungen und damit ganz Europa verkündigen, aber was sich der Welt darüber andeuten ließ, wurde von ihm so verständlich angedeutet, daß Leute, die irgend hören und verstehen wollten, über den Sinn der betreffenden Worte nicht unklar und unsicher sein konnten. Die Sprache, die er bei seinem ersten Erscheinen in der Budgetkommission des Ab¬ geordnetenhauses führte, mußte jedermann die Gewißheit geben, daß die „große aktive Politik," die er Jahre zuvor für nötig erklärt hatte, von ihm noch immer ins Auge gefaßt sei. Er sagte damals u. a.: „Wir haben die Vorliebe, eine zu große Rüstung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/74>, abgerufen am 22.07.2024.