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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der Rheinbund.

des Kaisers den Fürsten gekränkt und erbittert haben muß, der sich stets als
Vorkämpfer und Hort deutschen Wesens, deutscher Macht und Ehre erwiesen hat.

Außer dem eben kurz besprochenen Bunde, den Mazarin während der
Minderjährigkeit seines Königs gestiftet und Ludwig XIV. zu seinem Nutzen
ausgebeutet hatte, hatte es zwar keinen andern förmlichen Bund vor dem des
Jahres 1806 gegeben; aber die sogenannten "Rheinbundsgelüste," d. h. die
Bestrebungen einzelner deutschen Fürsten, sich durch Anlehnung an das Ausland,
besonders Frankreich, von der lockern Abhängigkeit von Kaiser und Reich ganz
loszumachen, durch Beraubung ihrer schwächern Mitstände ihre eigne Macht zu
vergrößern und so vermeintlich den Glanz ihres Hauses zu erhöhen, machten
sich bei den meisten deutschen Fürsten schon früher bemerkbar. Diese Bestre¬
bungen, die als Vorbilder dienten, hatten daher manchen deutschen Fürsten die
Rheinbnndspolitik ganz geläufig gemacht, hatten aber namentlich Frankreich dazu
aufgereizt, sich bei jeder Gelegenheit in die innern Verhältnisse Deutschlands
zu mischen. Der erste deutsche Fürst, der ans solche Weise das vaterländische
Interesse schädigte und die vaterländische Ehre mißachtete, war jener Albertiner
Moritz von Sachsen, bei weitem der bedeutendste Mann seines ganzen Ge¬
schlechtes, hervorragend durch militärische und politische Talente, aber durch
seine treulose Staatskunst schädlich dem Reiche, schädlich auch den wahren Inter¬
essen des Gesamthauses Wettin. Sein Bündnis mit Heinrich II. von Frank¬
reich gegen Kaiser Karl V. kostete dem Reiche die drei lothringischen Bistümer,
Metz, Toul und Verdun. Damit war die französische Gier nach deutschem
Lande geweckt, und: IVAxxgM visrck en in^nZ-oMt, sagen sehr richtig unsre
westlichen Nachbarn. Wenn Bernhard von Sachsen-Weimar, den man jeden¬
falls in militärischer Beziehung als den bedeutendsten Fürsten unter den Erne-
stinern bezeichnen kann, seinen schlachterprobten Degen und sein Heer in fran¬
zösischen Sold dahingab, so hat er dadurch das thätige Eingreifen Frankreichs
w den dreißigjährigen Krieg, die Verlängerung jener nutzlosen Metzelei und
Mordbrennerei, die den letzten Teil jenes unseligen Kampfes kennzeichnet, wenn
auch nicht allein herbeigeführt oder gar veranlaßt und verschuldet, so doch ver¬
mittelt und erleichtert. Jedenfalls trifft ihn ein nicht geringer Teil der Schuld
dafür, daß der südliche Teil des Elsaß, der Sundgau, im westfälischen Frieden
an Frankreich fiel, und daß diese Macht im Verein mit Schweden die Bürg¬
schaft dieses unheilvollen Vertrages übernahm. Wenn ein deutscher Bischof,
Egon von Fürstenberg, nach dem geradezu unerhört rechtlosen Raube der Reichs¬
stadt Straßburg den französischen Selbstherrscher mit den lästerlichen Worten
empfing: "Herr, um lässest du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine
Augen haben deinen Heiland gesehen,*)" so konnte eine derartige Verleugnung



*) Im Latein der Vulgata und im französischen Texte ist allerdings der Sinn etwas
abgeschwächt; das Wort "Heiland" findet sich auch in der Ursprache nicht:
Grenzboten IV. 1337. 78
Der Rheinbund.

des Kaisers den Fürsten gekränkt und erbittert haben muß, der sich stets als
Vorkämpfer und Hort deutschen Wesens, deutscher Macht und Ehre erwiesen hat.

Außer dem eben kurz besprochenen Bunde, den Mazarin während der
Minderjährigkeit seines Königs gestiftet und Ludwig XIV. zu seinem Nutzen
ausgebeutet hatte, hatte es zwar keinen andern förmlichen Bund vor dem des
Jahres 1806 gegeben; aber die sogenannten „Rheinbundsgelüste," d. h. die
Bestrebungen einzelner deutschen Fürsten, sich durch Anlehnung an das Ausland,
besonders Frankreich, von der lockern Abhängigkeit von Kaiser und Reich ganz
loszumachen, durch Beraubung ihrer schwächern Mitstände ihre eigne Macht zu
vergrößern und so vermeintlich den Glanz ihres Hauses zu erhöhen, machten
sich bei den meisten deutschen Fürsten schon früher bemerkbar. Diese Bestre¬
bungen, die als Vorbilder dienten, hatten daher manchen deutschen Fürsten die
Rheinbnndspolitik ganz geläufig gemacht, hatten aber namentlich Frankreich dazu
aufgereizt, sich bei jeder Gelegenheit in die innern Verhältnisse Deutschlands
zu mischen. Der erste deutsche Fürst, der ans solche Weise das vaterländische
Interesse schädigte und die vaterländische Ehre mißachtete, war jener Albertiner
Moritz von Sachsen, bei weitem der bedeutendste Mann seines ganzen Ge¬
schlechtes, hervorragend durch militärische und politische Talente, aber durch
seine treulose Staatskunst schädlich dem Reiche, schädlich auch den wahren Inter¬
essen des Gesamthauses Wettin. Sein Bündnis mit Heinrich II. von Frank¬
reich gegen Kaiser Karl V. kostete dem Reiche die drei lothringischen Bistümer,
Metz, Toul und Verdun. Damit war die französische Gier nach deutschem
Lande geweckt, und: IVAxxgM visrck en in^nZ-oMt, sagen sehr richtig unsre
westlichen Nachbarn. Wenn Bernhard von Sachsen-Weimar, den man jeden¬
falls in militärischer Beziehung als den bedeutendsten Fürsten unter den Erne-
stinern bezeichnen kann, seinen schlachterprobten Degen und sein Heer in fran¬
zösischen Sold dahingab, so hat er dadurch das thätige Eingreifen Frankreichs
w den dreißigjährigen Krieg, die Verlängerung jener nutzlosen Metzelei und
Mordbrennerei, die den letzten Teil jenes unseligen Kampfes kennzeichnet, wenn
auch nicht allein herbeigeführt oder gar veranlaßt und verschuldet, so doch ver¬
mittelt und erleichtert. Jedenfalls trifft ihn ein nicht geringer Teil der Schuld
dafür, daß der südliche Teil des Elsaß, der Sundgau, im westfälischen Frieden
an Frankreich fiel, und daß diese Macht im Verein mit Schweden die Bürg¬
schaft dieses unheilvollen Vertrages übernahm. Wenn ein deutscher Bischof,
Egon von Fürstenberg, nach dem geradezu unerhört rechtlosen Raube der Reichs¬
stadt Straßburg den französischen Selbstherrscher mit den lästerlichen Worten
empfing: „Herr, um lässest du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine
Augen haben deinen Heiland gesehen,*)" so konnte eine derartige Verleugnung



*) Im Latein der Vulgata und im französischen Texte ist allerdings der Sinn etwas
abgeschwächt; das Wort „Heiland" findet sich auch in der Ursprache nicht:
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[0625] Der Rheinbund. des Kaisers den Fürsten gekränkt und erbittert haben muß, der sich stets als Vorkämpfer und Hort deutschen Wesens, deutscher Macht und Ehre erwiesen hat. Außer dem eben kurz besprochenen Bunde, den Mazarin während der Minderjährigkeit seines Königs gestiftet und Ludwig XIV. zu seinem Nutzen ausgebeutet hatte, hatte es zwar keinen andern förmlichen Bund vor dem des Jahres 1806 gegeben; aber die sogenannten „Rheinbundsgelüste," d. h. die Bestrebungen einzelner deutschen Fürsten, sich durch Anlehnung an das Ausland, besonders Frankreich, von der lockern Abhängigkeit von Kaiser und Reich ganz loszumachen, durch Beraubung ihrer schwächern Mitstände ihre eigne Macht zu vergrößern und so vermeintlich den Glanz ihres Hauses zu erhöhen, machten sich bei den meisten deutschen Fürsten schon früher bemerkbar. Diese Bestre¬ bungen, die als Vorbilder dienten, hatten daher manchen deutschen Fürsten die Rheinbnndspolitik ganz geläufig gemacht, hatten aber namentlich Frankreich dazu aufgereizt, sich bei jeder Gelegenheit in die innern Verhältnisse Deutschlands zu mischen. Der erste deutsche Fürst, der ans solche Weise das vaterländische Interesse schädigte und die vaterländische Ehre mißachtete, war jener Albertiner Moritz von Sachsen, bei weitem der bedeutendste Mann seines ganzen Ge¬ schlechtes, hervorragend durch militärische und politische Talente, aber durch seine treulose Staatskunst schädlich dem Reiche, schädlich auch den wahren Inter¬ essen des Gesamthauses Wettin. Sein Bündnis mit Heinrich II. von Frank¬ reich gegen Kaiser Karl V. kostete dem Reiche die drei lothringischen Bistümer, Metz, Toul und Verdun. Damit war die französische Gier nach deutschem Lande geweckt, und: IVAxxgM visrck en in^nZ-oMt, sagen sehr richtig unsre westlichen Nachbarn. Wenn Bernhard von Sachsen-Weimar, den man jeden¬ falls in militärischer Beziehung als den bedeutendsten Fürsten unter den Erne- stinern bezeichnen kann, seinen schlachterprobten Degen und sein Heer in fran¬ zösischen Sold dahingab, so hat er dadurch das thätige Eingreifen Frankreichs w den dreißigjährigen Krieg, die Verlängerung jener nutzlosen Metzelei und Mordbrennerei, die den letzten Teil jenes unseligen Kampfes kennzeichnet, wenn auch nicht allein herbeigeführt oder gar veranlaßt und verschuldet, so doch ver¬ mittelt und erleichtert. Jedenfalls trifft ihn ein nicht geringer Teil der Schuld dafür, daß der südliche Teil des Elsaß, der Sundgau, im westfälischen Frieden an Frankreich fiel, und daß diese Macht im Verein mit Schweden die Bürg¬ schaft dieses unheilvollen Vertrages übernahm. Wenn ein deutscher Bischof, Egon von Fürstenberg, nach dem geradezu unerhört rechtlosen Raube der Reichs¬ stadt Straßburg den französischen Selbstherrscher mit den lästerlichen Worten empfing: „Herr, um lässest du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,*)" so konnte eine derartige Verleugnung *) Im Latein der Vulgata und im französischen Texte ist allerdings der Sinn etwas abgeschwächt; das Wort „Heiland" findet sich auch in der Ursprache nicht: Grenzboten IV. 1337. 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/625>, abgerufen am 22.07.2024.