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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

man sich, wie im Orient, einen Dragoman annähme, um sich in diesem Magyaren-
tnm zurechtzufinden. Es ist sehr unbequem, wenn der Fremde fortwährend die
Vorübergehenden fragen muß, um sich die Straßennamen übersetzen zu lassen.
Schon die große Menge der deutschen Bewohner, die sich gerade am deutlichsten
aus den magyarisirten Firmen ergiebt, und der innige Verkehr mit Österreich
und Deutschland, auf den Ungarn angewiesen ist, hätten die Rücksicht begründet,
sich der doppelten Sprache zu bedienen. Beruhte das Blühen der ungarischen
Nationalität auf der ausschließlichen Benutzung dieser Sprache für die Bezeich¬
nungen des Verkehrs, dann würde der erstern keine lange Dauer zu versprechen
sein. Klagt man aber, daß der Fremdenzufluß nach Pest im Abnehmen be¬
griffen ist, dann mache man es dem Fremden leichter, dort zu leben. Denn so
bedeutend ist doch die ungarische Kultur und Literatur uoch nicht, um den
Fremden zu zwingen, vor dem Eintritt in das Land Ungarisch zu lernen. Diese
Art der Magyarisirung ist kein natürlicher Prozeß; er ist eine Zwangsbrüteanstalt
der am Nuder befindlichen Majorität und erzeugt nur Gegendruck und Unwillen.
Die lange Zusammengehörigkeit zu Deutschösterreich war das Ergebnis jahr¬
hundertelanger geschichtlicher Ereignisse, welche sich nicht durch den Beschluß
eines magyarischen Magistrats wegdelretiren lassen. Wer für die Vergangen¬
heit Pietät und Verständnis hat, muß das einsehen, schon wenn er bedenkt, daß
der ungarische König -- die Bezeichnung Kaiser ist verpönt -- von echtem
deutschen Stamme ist. Unsern Erörterungen hierüber begegnete ein ungarischer
Advokat, den wir kennen lernten, mit dem Hinweis auf -- Bismarck. Was
einst König Heinrich V. von dem Stande des Königs sagen konnte:


Nur aus den König! Legen wir dem König
Leib, Seele, Schulden, bange Weiber, Kinder
Und Sünden auf -- wir müssen alles tragen.
O herber Stand, der Größe Zwillingsbruder,
Dem Odem jedes Narren Unterthan --

das gilt heute in erhöhtem Maße noch von dem deutscheu Kanzler. Dieser, meinte
der Advokat, wolle die deutschen Provinzen Österreichs, das demnächst ausein¬
anderfallen müsse, annektiren, und so müsse sich Ungarn durch strenge Magyarisirung
vor der Annexion durch Preußen schützen. Ob dieser Schutz durch die ungarischen
Straßennamen vergrößert wird? Die Gesichter der Leute freilich sprechen deutlicher
dafür, daß wir uns in der Fremde befinden. Und aufrichtig gesagt, flößen sie
uns wenig Vertrauen ein -- was die Männer betrifft. Wenn man diese wilden
Gestalten sieht, wie sie an den Kais in schwerer Mühe die Lasten von und zu den
Schiffen tragen, so hat man das Gefühl, daß man nicht gern mit ihnen allein sein
möchte. Ich will aber gleich bekennen, daß dies nur eine subjektive Empfindung ist,
die dem Deutschen viel mehr als jedem andern Volksstamme eigentümlich ist und ihn
zu vielen Vorurteilen verleitet. Ich will mich bemühen, dieses Gefühls Herr
zu werden, denn wenn ich mich schon hier abgestoßen fühle, wie wird es mir


Line Fahrt in den Grient.

man sich, wie im Orient, einen Dragoman annähme, um sich in diesem Magyaren-
tnm zurechtzufinden. Es ist sehr unbequem, wenn der Fremde fortwährend die
Vorübergehenden fragen muß, um sich die Straßennamen übersetzen zu lassen.
Schon die große Menge der deutschen Bewohner, die sich gerade am deutlichsten
aus den magyarisirten Firmen ergiebt, und der innige Verkehr mit Österreich
und Deutschland, auf den Ungarn angewiesen ist, hätten die Rücksicht begründet,
sich der doppelten Sprache zu bedienen. Beruhte das Blühen der ungarischen
Nationalität auf der ausschließlichen Benutzung dieser Sprache für die Bezeich¬
nungen des Verkehrs, dann würde der erstern keine lange Dauer zu versprechen
sein. Klagt man aber, daß der Fremdenzufluß nach Pest im Abnehmen be¬
griffen ist, dann mache man es dem Fremden leichter, dort zu leben. Denn so
bedeutend ist doch die ungarische Kultur und Literatur uoch nicht, um den
Fremden zu zwingen, vor dem Eintritt in das Land Ungarisch zu lernen. Diese
Art der Magyarisirung ist kein natürlicher Prozeß; er ist eine Zwangsbrüteanstalt
der am Nuder befindlichen Majorität und erzeugt nur Gegendruck und Unwillen.
Die lange Zusammengehörigkeit zu Deutschösterreich war das Ergebnis jahr¬
hundertelanger geschichtlicher Ereignisse, welche sich nicht durch den Beschluß
eines magyarischen Magistrats wegdelretiren lassen. Wer für die Vergangen¬
heit Pietät und Verständnis hat, muß das einsehen, schon wenn er bedenkt, daß
der ungarische König — die Bezeichnung Kaiser ist verpönt — von echtem
deutschen Stamme ist. Unsern Erörterungen hierüber begegnete ein ungarischer
Advokat, den wir kennen lernten, mit dem Hinweis auf — Bismarck. Was
einst König Heinrich V. von dem Stande des Königs sagen konnte:


Nur aus den König! Legen wir dem König
Leib, Seele, Schulden, bange Weiber, Kinder
Und Sünden auf — wir müssen alles tragen.
O herber Stand, der Größe Zwillingsbruder,
Dem Odem jedes Narren Unterthan —

das gilt heute in erhöhtem Maße noch von dem deutscheu Kanzler. Dieser, meinte
der Advokat, wolle die deutschen Provinzen Österreichs, das demnächst ausein¬
anderfallen müsse, annektiren, und so müsse sich Ungarn durch strenge Magyarisirung
vor der Annexion durch Preußen schützen. Ob dieser Schutz durch die ungarischen
Straßennamen vergrößert wird? Die Gesichter der Leute freilich sprechen deutlicher
dafür, daß wir uns in der Fremde befinden. Und aufrichtig gesagt, flößen sie
uns wenig Vertrauen ein — was die Männer betrifft. Wenn man diese wilden
Gestalten sieht, wie sie an den Kais in schwerer Mühe die Lasten von und zu den
Schiffen tragen, so hat man das Gefühl, daß man nicht gern mit ihnen allein sein
möchte. Ich will aber gleich bekennen, daß dies nur eine subjektive Empfindung ist,
die dem Deutschen viel mehr als jedem andern Volksstamme eigentümlich ist und ihn
zu vielen Vorurteilen verleitet. Ich will mich bemühen, dieses Gefühls Herr
zu werden, denn wenn ich mich schon hier abgestoßen fühle, wie wird es mir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/61>, abgerufen am 21.06.2024.