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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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erobern, verwüsten und knechten. Überall, wo der türkische Fuß hintrat, wurde
alles vernichtet und zerstört. Das ging so lange, als sich Völker schwach genug
fanden, um von den Türken unterjocht zu werden. Mit dem Augenblick, in
welchem der heldenmütige Widerstand Wiens den Kriegs- und Raubzügen der
Osmanen ein Ziel setzte, waren diese angewiesen, innerhalb ihrer Grenzen von
dem Schweiße der Rajahs zu leben, und je mehr sich diese unabhängig machten,
je weniger es in dem Kriege zu erbeuten gab, in desto höherem Grade fiel das
ganze auf Krieg und Beute gerichtete Staatswesen zusammen. Für einen
Raubzug genügen sehr einfache Einrichtungen, die sich gänzlich unzureichend
erwiesen, wenn Friede einkehrt und die Aussicht auf Eroberungen ganz und gar
abgeschnitten ist. Diese kriegerische Mission, welche der Koran seinem Volle
auferlegt, läßt sich aber von seinen übrigen Satzungen nicht trennen, da man
bekanntlich mit keiner Religion Pallirer kann. Ich will hier von der Macht
des Priestertums nicht reden, sondern nur noch auf den einen Umstand aufmerksam
machen, daß, wie der Krieg, so auch die Justiz eine religiöse Einrichtung ist, welche
ebenfalls jede Reform unmöglich macht, und daß deshalb ein kräftiges Zusammen¬
wirken von Türken und Christen in einem Gerichtshofe ebenso wenig denkbar ist,
als Bürgschaft für die Gerechtigkeit eines moslemitischen Urteils gegen einen
Ungläubigen. Auch hier verhindert der Koran die Schaffung des Rechtsstaates,
ohne welchen in unserm modernen Leben Sicherheit der Person und des Eigen¬
tums nicht erreicht werden kann. Nach denselben Grundsätzen wie die Wehr¬
kraft richtet sich auch die Besteuerung des Volkes; die Steuern haben ihre
Natur als Ausschreibungen für den Krieg noch immer behalten. Es kommt
gar nicht darauf an, ob ganze Provinzen für die Dauer geschädigt werden,
wenn nur für den Augenblick Geld geschafft wird. steuerfrei ist nur das
Eigentum der Moscheen, Bakus, und diesen werden oft schon bei Lebzeiten
unter Vorbehalt des Nießbrauchs Schenkungen gemacht, nur um die schweren
Steuern zu ersparen. So hat sich in dem Besitze des Vakufs eine Vermögens¬
masse angesammelt, die in der toten Hand brach liegt, während der Staat an
dem nötigsten darbt. Die Erziehung und Bildung ist, wie seit Alters, in der
Hand der Ulemas geblieben, und die außerordentliche Schwierigkeit, die türkischen
schriftlichen zu brauchen, ist jedem Fortschritt und jeder Verbreitung des Wissens
hinderlich. Denn wenn das mechanische Schreiben eine so große Fertigkeit
erfordert, daß sie nur durch vieljähriges Studium erreicht werden kann, so muß
diese Zeit der übrigen Ausbildung verloren gehen. Die Einführung eines
leichtern Alphabets, wie dies einst in der armenischen Sprache geschehen ist,
scheitert an der Heiligkeit der bisherigen Einrichtung.

Gegenüber diesen Hauptpunkten sind die ins äußere tretenden Schwächen,
wie sie dem Fremden bei einem kurzen Aufenthalt in die Augen springen, kaum
von Bedeutung. Die türkische Zeitrechnung beginnt für die Arbeit mit Sonnen¬
aufgang, der mit zwölf Uhr bezeichnet wird, und es wechseln daher fortwährend


erobern, verwüsten und knechten. Überall, wo der türkische Fuß hintrat, wurde
alles vernichtet und zerstört. Das ging so lange, als sich Völker schwach genug
fanden, um von den Türken unterjocht zu werden. Mit dem Augenblick, in
welchem der heldenmütige Widerstand Wiens den Kriegs- und Raubzügen der
Osmanen ein Ziel setzte, waren diese angewiesen, innerhalb ihrer Grenzen von
dem Schweiße der Rajahs zu leben, und je mehr sich diese unabhängig machten,
je weniger es in dem Kriege zu erbeuten gab, in desto höherem Grade fiel das
ganze auf Krieg und Beute gerichtete Staatswesen zusammen. Für einen
Raubzug genügen sehr einfache Einrichtungen, die sich gänzlich unzureichend
erwiesen, wenn Friede einkehrt und die Aussicht auf Eroberungen ganz und gar
abgeschnitten ist. Diese kriegerische Mission, welche der Koran seinem Volle
auferlegt, läßt sich aber von seinen übrigen Satzungen nicht trennen, da man
bekanntlich mit keiner Religion Pallirer kann. Ich will hier von der Macht
des Priestertums nicht reden, sondern nur noch auf den einen Umstand aufmerksam
machen, daß, wie der Krieg, so auch die Justiz eine religiöse Einrichtung ist, welche
ebenfalls jede Reform unmöglich macht, und daß deshalb ein kräftiges Zusammen¬
wirken von Türken und Christen in einem Gerichtshofe ebenso wenig denkbar ist,
als Bürgschaft für die Gerechtigkeit eines moslemitischen Urteils gegen einen
Ungläubigen. Auch hier verhindert der Koran die Schaffung des Rechtsstaates,
ohne welchen in unserm modernen Leben Sicherheit der Person und des Eigen¬
tums nicht erreicht werden kann. Nach denselben Grundsätzen wie die Wehr¬
kraft richtet sich auch die Besteuerung des Volkes; die Steuern haben ihre
Natur als Ausschreibungen für den Krieg noch immer behalten. Es kommt
gar nicht darauf an, ob ganze Provinzen für die Dauer geschädigt werden,
wenn nur für den Augenblick Geld geschafft wird. steuerfrei ist nur das
Eigentum der Moscheen, Bakus, und diesen werden oft schon bei Lebzeiten
unter Vorbehalt des Nießbrauchs Schenkungen gemacht, nur um die schweren
Steuern zu ersparen. So hat sich in dem Besitze des Vakufs eine Vermögens¬
masse angesammelt, die in der toten Hand brach liegt, während der Staat an
dem nötigsten darbt. Die Erziehung und Bildung ist, wie seit Alters, in der
Hand der Ulemas geblieben, und die außerordentliche Schwierigkeit, die türkischen
schriftlichen zu brauchen, ist jedem Fortschritt und jeder Verbreitung des Wissens
hinderlich. Denn wenn das mechanische Schreiben eine so große Fertigkeit
erfordert, daß sie nur durch vieljähriges Studium erreicht werden kann, so muß
diese Zeit der übrigen Ausbildung verloren gehen. Die Einführung eines
leichtern Alphabets, wie dies einst in der armenischen Sprache geschehen ist,
scheitert an der Heiligkeit der bisherigen Einrichtung.

Gegenüber diesen Hauptpunkten sind die ins äußere tretenden Schwächen,
wie sie dem Fremden bei einem kurzen Aufenthalt in die Augen springen, kaum
von Bedeutung. Die türkische Zeitrechnung beginnt für die Arbeit mit Sonnen¬
aufgang, der mit zwölf Uhr bezeichnet wird, und es wechseln daher fortwährend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/542>, abgerufen am 22.07.2024.