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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Orient.

den Duft des kostbaren Rosenöles einatmen könnten. Wer aber würde als
Ehemann oder Vater den lauten oder stummen Blicken widerstehen können?
Wer nicht das genügende Metall in den Taschen hat, der muß sich, wie der
Horazische Seefahrer, mit dreifachem Erze die Brust bewaffnen, wenn er sich
in die Wogen des Bazars begiebt, wo außer den lockenden Waaren auch noch
die von allen Seiten auf ihn zustürzenden Verkäufer seine Begehrlichkeit schüren.
Wir waren froh, als wir den hellen Sonnenschein durch ein Thor blinken sahen,
retteten uns vor unsern eignen Wünschen ins Freie und bestiegen sofort einen
Wagen, der uns nach der Wasserleitung des Valens brachte. Freilich glaubten
wir auch auf diesem Wege uns in stürmischer See zu befinden, denn der Wagen,
der offenbar vor einigen Jahrhunderten als Sänfte für die Frauen eines vor¬
nehmen Vessirs gedient hatte, wurde auf dem Pflaster hin- und hergcschleudert
und hob sich bald nach rechts, bald nach links, sodaß bei längerer Dauer der
Eintritt von Erscheinungen, wie sie mit der Seekrankheit verbunden sind, wohl
unausbleiblich gewesen wäre. Für diese Marter entschädigte uns der Blick
von der Höhe der Wasserleitung, die wir als schwindelfreie Personen zu er¬
klimmen wagten und die uns wieder das mächtige, meerumspülte Stambul in
seiner ganzen Ausdehnung zeigte. Nach dem Heruntergehen frühstückten wir
in ganz türkischer Weise, wir kauften uns von einem Pastetenbäcker ein warmes,
schwer verdauliches Gebäck, von einem Fruchthändler Trauben und von einem
Wasferverkäufer Wasser und hielten unser köstliches Mahl auf offener Straße
ab. Mein ungarischer Begleiter, der, obwohl Advokat, ein entschiedenes General¬
stabstalent hatte, wußte sich mit dem Moltkeschen Plane außerordentlich gut in
dem Kreuz und Quer der namenlosen Gassen zurecht zu finden, und so kamen
wir an die Edreni Kapu, das Adrianopler Thor, welches wir gestern beiseite
gelassen hatten. Von dort begannen wir nach der entgegengesetzten Seite die
Fortsetzung der Mauern zu besichtigen, um das Versäumte nachzuholen. Hier
liegt der jüngste Teil, der erst in die Stadtbefestigungen hineingezogen wurde,
als schon die mohammedanischen und persischen Horden die Sicherheit des fast
nur auf die Stadt beschränkten Reiches zu bedrohen anfingen. Von der Herr¬
lichkeit des ehemals hier befindlichen Blachernenpalastes ist nichts mehr zu sehen,
an seine Stelle sind die elenden Häuser des Judeuviertels getreten, aus welchen
nur noch die schönen Neste des sogenannten Hebdomonpalastes, das die Phan¬
tasie als Haus des Belisar bezeichnet, in mächtigen Umrissen emporragt. Noch
sieht man die aus Ziegel- und Marmorsteinen erbaute zweistöckige Halle mit
ihren romanischen Rundbogen; das Innere ist nur mit Mühe zu besteigen und
bietet ein Bild der Verwüstung. In deu Turm, den weiter unten Jsaak
Angelos zum Schutze des Blachernenpalastes im zwölften Jahrhundert aufführen
ließ, konnten wir uns nicht mehr hineinwagen, denn hier drohen von allen
Seiten Einstürze; eine Säule hing fast nur noch in der Luft. Bald darauf
beginnt mit der Vorstadt Ejub wieder das unverfälschte Türkentmn, hier ist


Line Fahrt in den Orient.

den Duft des kostbaren Rosenöles einatmen könnten. Wer aber würde als
Ehemann oder Vater den lauten oder stummen Blicken widerstehen können?
Wer nicht das genügende Metall in den Taschen hat, der muß sich, wie der
Horazische Seefahrer, mit dreifachem Erze die Brust bewaffnen, wenn er sich
in die Wogen des Bazars begiebt, wo außer den lockenden Waaren auch noch
die von allen Seiten auf ihn zustürzenden Verkäufer seine Begehrlichkeit schüren.
Wir waren froh, als wir den hellen Sonnenschein durch ein Thor blinken sahen,
retteten uns vor unsern eignen Wünschen ins Freie und bestiegen sofort einen
Wagen, der uns nach der Wasserleitung des Valens brachte. Freilich glaubten
wir auch auf diesem Wege uns in stürmischer See zu befinden, denn der Wagen,
der offenbar vor einigen Jahrhunderten als Sänfte für die Frauen eines vor¬
nehmen Vessirs gedient hatte, wurde auf dem Pflaster hin- und hergcschleudert
und hob sich bald nach rechts, bald nach links, sodaß bei längerer Dauer der
Eintritt von Erscheinungen, wie sie mit der Seekrankheit verbunden sind, wohl
unausbleiblich gewesen wäre. Für diese Marter entschädigte uns der Blick
von der Höhe der Wasserleitung, die wir als schwindelfreie Personen zu er¬
klimmen wagten und die uns wieder das mächtige, meerumspülte Stambul in
seiner ganzen Ausdehnung zeigte. Nach dem Heruntergehen frühstückten wir
in ganz türkischer Weise, wir kauften uns von einem Pastetenbäcker ein warmes,
schwer verdauliches Gebäck, von einem Fruchthändler Trauben und von einem
Wasferverkäufer Wasser und hielten unser köstliches Mahl auf offener Straße
ab. Mein ungarischer Begleiter, der, obwohl Advokat, ein entschiedenes General¬
stabstalent hatte, wußte sich mit dem Moltkeschen Plane außerordentlich gut in
dem Kreuz und Quer der namenlosen Gassen zurecht zu finden, und so kamen
wir an die Edreni Kapu, das Adrianopler Thor, welches wir gestern beiseite
gelassen hatten. Von dort begannen wir nach der entgegengesetzten Seite die
Fortsetzung der Mauern zu besichtigen, um das Versäumte nachzuholen. Hier
liegt der jüngste Teil, der erst in die Stadtbefestigungen hineingezogen wurde,
als schon die mohammedanischen und persischen Horden die Sicherheit des fast
nur auf die Stadt beschränkten Reiches zu bedrohen anfingen. Von der Herr¬
lichkeit des ehemals hier befindlichen Blachernenpalastes ist nichts mehr zu sehen,
an seine Stelle sind die elenden Häuser des Judeuviertels getreten, aus welchen
nur noch die schönen Neste des sogenannten Hebdomonpalastes, das die Phan¬
tasie als Haus des Belisar bezeichnet, in mächtigen Umrissen emporragt. Noch
sieht man die aus Ziegel- und Marmorsteinen erbaute zweistöckige Halle mit
ihren romanischen Rundbogen; das Innere ist nur mit Mühe zu besteigen und
bietet ein Bild der Verwüstung. In deu Turm, den weiter unten Jsaak
Angelos zum Schutze des Blachernenpalastes im zwölften Jahrhundert aufführen
ließ, konnten wir uns nicht mehr hineinwagen, denn hier drohen von allen
Seiten Einstürze; eine Säule hing fast nur noch in der Luft. Bald darauf
beginnt mit der Vorstadt Ejub wieder das unverfälschte Türkentmn, hier ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/539>, abgerufen am 22.07.2024.