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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Der kleine Bursche hatte es sich dann nämlich in den Kopf gesetzt, daß der
Alte ihn freundlich anschauen müsse, und der Totengräber Jens konnte es nun
einmal nicht übers Herz bringen, zu gehen, bevor Tippe über ihn gelacht hatte.
Das wußte der kleine Schelm zu benutzen, und da half dem Alten nichts, er
mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, er mochte nnn können oder nicht;
ob er es wollte, darnach fragte ihn niemand. O wie sauer ward das diesen
alten, runzeligen Zügen, die im Laufe der langen Jahre so scharf und steif ge¬
worden waren! Sie verzogen sich zu den wunderbarsten Formen, zu den merk¬
würdigsten Falten, aber liebenswürdig und einnehmend wollten sie nicht werden,
so sehr er sich auch bemühte. Und in der Wiege lag Tippe mit seinen großen
Augen und sah ihn so ernst und bestimmt an, als wollte er sagen: Schau doch
freundlich drein, alter Jens! Es hilft dir alles nichts, du mußt es thun!

Und der alte Jens nahm einen neuen Anlauf, er schnalzte mit der Zunge
und arbeitete mit seinem armen Gesicht, er sparte keine Mühe, um sich angenehm
zu machen. Aber gerade als er nahe daran war, seine Bemühungen als frucht¬
los aufzugeben, glitt plötzlich ein Lächeln gleich einem Sonnenstrahl über Tippes
weiches Kindergesicht, und zwei kleine dicke Ärmchen streckten sich nach dem
Antlitz des alten Jens aus. Dieser folgte der Aufforderung schnell und ver¬
schämt und verschwand dann mit einem Gesicht, von dem mau nicht recht wußte,
ob es triumphirend oder verlegen aussehen wollte.

Der kleine Schulmeister kannte sein Fach, er wußte sehr wohl, daß man
nicht allein streng in seinen Anforderungen sein muß, sondern daß man anch
von Zeit zu Zeit ermuntern und belohnen muß. Die natürliche Folge dieser
vernünftigen Unterrichtsmethode war denn auch, daß der alte Jens es von Tag
zu Tag besser lernte, ein freundliches Gesicht zu machen und liebenswürdig
dreinzuschauen, und mit jedem male blieb ein kleiner Schimmer davon in seinen:
alten Antlitz zurück.

Eine von den Tugenden und Vollkommenheiten, mit denen es bei ihm am
schwächsten bestellt war, war wohl die Geselligkeit. Seit vielen Jahren war es
ja sein Stolz gewesen, auf sich allein angewiesen zu sein und niemand etwas
zu verdanken, wenn es auch nichts weiter war als ein freundliches Anerbieten.
Die Witwe des Schulmeisters hätte sich ihm so gern gastfrei erzeigt, soweit es
in ihre" Kräften stand, und hatte es auch oft versucht; aber der alte Jens
hielt unerschütterlich fest an seinen Grundsätzen. Er machte Tippe seine tägliche
Aufwartung, denn er hatte sich nun einmal eingeredet, daß das seine Pflicht
sei, aber im übrigen war er nicht zu bewegen, seine Ungeselligkeit abzulegen,
die junge Witwe konnte nie dazu kommen, ihm auch nur einen Bissen auf¬
zunötigen, er war eigensinnig wie ein altes Kutschpferd.

Tippe sah dies alles lächelnd mit an, und man konnte es ihm anmerken,
er dachte sich das Seine dabei. Und was das war, das kam eines schönen
Tages zum Vorschein, als er auf dem Schoße seiner Mutter saß und sein


Der kleine Bursche hatte es sich dann nämlich in den Kopf gesetzt, daß der
Alte ihn freundlich anschauen müsse, und der Totengräber Jens konnte es nun
einmal nicht übers Herz bringen, zu gehen, bevor Tippe über ihn gelacht hatte.
Das wußte der kleine Schelm zu benutzen, und da half dem Alten nichts, er
mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, er mochte nnn können oder nicht;
ob er es wollte, darnach fragte ihn niemand. O wie sauer ward das diesen
alten, runzeligen Zügen, die im Laufe der langen Jahre so scharf und steif ge¬
worden waren! Sie verzogen sich zu den wunderbarsten Formen, zu den merk¬
würdigsten Falten, aber liebenswürdig und einnehmend wollten sie nicht werden,
so sehr er sich auch bemühte. Und in der Wiege lag Tippe mit seinen großen
Augen und sah ihn so ernst und bestimmt an, als wollte er sagen: Schau doch
freundlich drein, alter Jens! Es hilft dir alles nichts, du mußt es thun!

Und der alte Jens nahm einen neuen Anlauf, er schnalzte mit der Zunge
und arbeitete mit seinem armen Gesicht, er sparte keine Mühe, um sich angenehm
zu machen. Aber gerade als er nahe daran war, seine Bemühungen als frucht¬
los aufzugeben, glitt plötzlich ein Lächeln gleich einem Sonnenstrahl über Tippes
weiches Kindergesicht, und zwei kleine dicke Ärmchen streckten sich nach dem
Antlitz des alten Jens aus. Dieser folgte der Aufforderung schnell und ver¬
schämt und verschwand dann mit einem Gesicht, von dem mau nicht recht wußte,
ob es triumphirend oder verlegen aussehen wollte.

Der kleine Schulmeister kannte sein Fach, er wußte sehr wohl, daß man
nicht allein streng in seinen Anforderungen sein muß, sondern daß man anch
von Zeit zu Zeit ermuntern und belohnen muß. Die natürliche Folge dieser
vernünftigen Unterrichtsmethode war denn auch, daß der alte Jens es von Tag
zu Tag besser lernte, ein freundliches Gesicht zu machen und liebenswürdig
dreinzuschauen, und mit jedem male blieb ein kleiner Schimmer davon in seinen:
alten Antlitz zurück.

Eine von den Tugenden und Vollkommenheiten, mit denen es bei ihm am
schwächsten bestellt war, war wohl die Geselligkeit. Seit vielen Jahren war es
ja sein Stolz gewesen, auf sich allein angewiesen zu sein und niemand etwas
zu verdanken, wenn es auch nichts weiter war als ein freundliches Anerbieten.
Die Witwe des Schulmeisters hätte sich ihm so gern gastfrei erzeigt, soweit es
in ihre» Kräften stand, und hatte es auch oft versucht; aber der alte Jens
hielt unerschütterlich fest an seinen Grundsätzen. Er machte Tippe seine tägliche
Aufwartung, denn er hatte sich nun einmal eingeredet, daß das seine Pflicht
sei, aber im übrigen war er nicht zu bewegen, seine Ungeselligkeit abzulegen,
die junge Witwe konnte nie dazu kommen, ihm auch nur einen Bissen auf¬
zunötigen, er war eigensinnig wie ein altes Kutschpferd.

Tippe sah dies alles lächelnd mit an, und man konnte es ihm anmerken,
er dachte sich das Seine dabei. Und was das war, das kam eines schönen
Tages zum Vorschein, als er auf dem Schoße seiner Mutter saß und sein


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[0498] Der kleine Bursche hatte es sich dann nämlich in den Kopf gesetzt, daß der Alte ihn freundlich anschauen müsse, und der Totengräber Jens konnte es nun einmal nicht übers Herz bringen, zu gehen, bevor Tippe über ihn gelacht hatte. Das wußte der kleine Schelm zu benutzen, und da half dem Alten nichts, er mußte gute Miene zum bösen Spiel machen, er mochte nnn können oder nicht; ob er es wollte, darnach fragte ihn niemand. O wie sauer ward das diesen alten, runzeligen Zügen, die im Laufe der langen Jahre so scharf und steif ge¬ worden waren! Sie verzogen sich zu den wunderbarsten Formen, zu den merk¬ würdigsten Falten, aber liebenswürdig und einnehmend wollten sie nicht werden, so sehr er sich auch bemühte. Und in der Wiege lag Tippe mit seinen großen Augen und sah ihn so ernst und bestimmt an, als wollte er sagen: Schau doch freundlich drein, alter Jens! Es hilft dir alles nichts, du mußt es thun! Und der alte Jens nahm einen neuen Anlauf, er schnalzte mit der Zunge und arbeitete mit seinem armen Gesicht, er sparte keine Mühe, um sich angenehm zu machen. Aber gerade als er nahe daran war, seine Bemühungen als frucht¬ los aufzugeben, glitt plötzlich ein Lächeln gleich einem Sonnenstrahl über Tippes weiches Kindergesicht, und zwei kleine dicke Ärmchen streckten sich nach dem Antlitz des alten Jens aus. Dieser folgte der Aufforderung schnell und ver¬ schämt und verschwand dann mit einem Gesicht, von dem mau nicht recht wußte, ob es triumphirend oder verlegen aussehen wollte. Der kleine Schulmeister kannte sein Fach, er wußte sehr wohl, daß man nicht allein streng in seinen Anforderungen sein muß, sondern daß man anch von Zeit zu Zeit ermuntern und belohnen muß. Die natürliche Folge dieser vernünftigen Unterrichtsmethode war denn auch, daß der alte Jens es von Tag zu Tag besser lernte, ein freundliches Gesicht zu machen und liebenswürdig dreinzuschauen, und mit jedem male blieb ein kleiner Schimmer davon in seinen: alten Antlitz zurück. Eine von den Tugenden und Vollkommenheiten, mit denen es bei ihm am schwächsten bestellt war, war wohl die Geselligkeit. Seit vielen Jahren war es ja sein Stolz gewesen, auf sich allein angewiesen zu sein und niemand etwas zu verdanken, wenn es auch nichts weiter war als ein freundliches Anerbieten. Die Witwe des Schulmeisters hätte sich ihm so gern gastfrei erzeigt, soweit es in ihre» Kräften stand, und hatte es auch oft versucht; aber der alte Jens hielt unerschütterlich fest an seinen Grundsätzen. Er machte Tippe seine tägliche Aufwartung, denn er hatte sich nun einmal eingeredet, daß das seine Pflicht sei, aber im übrigen war er nicht zu bewegen, seine Ungeselligkeit abzulegen, die junge Witwe konnte nie dazu kommen, ihm auch nur einen Bissen auf¬ zunötigen, er war eigensinnig wie ein altes Kutschpferd. Tippe sah dies alles lächelnd mit an, und man konnte es ihm anmerken, er dachte sich das Seine dabei. Und was das war, das kam eines schönen Tages zum Vorschein, als er auf dem Schoße seiner Mutter saß und sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/498>, abgerufen am 22.07.2024.