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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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vom deutschen Buchhandel.

Bücher, die Bekämpfung der "schleudere!" als nächstes Ziel -- nicht als End¬
zweck -- erstrebt. Diese Bewegung hat in der Presse, namentlich in der jüdischen,
da Israel bekanntlich stets leidet und schreit, wenn man die Ausbeutung der
Freiheit in irgend einer Hinsicht beschränkt, große Anfeindung erfahren. Es
ist daher wohl gerechtfertigt, die Frage, welche weite Kreise beschäftigt hat und
vielfach mißverstanden worden ist, etwas eingehender zu erörtern.

Die Klagen über Preisunterbietung trotz der von den Verlegern festgesetzten
Ladenpreise sind sehr alt, und man hat daraus vielfach den Schluß gezogen,
es sei heute damit nicht schlimmer als je und werde immer so bleiben müssen.
Dagegen hat mit Recht ein im Jahre 1883*) in dieser Zeitschrift veröffentlichter
Aufsatz über "Bewegungen im deutschen Buchhandel" klar nachgewiesen, wie die
Frage erst durch das heute geschaffene Einheitsporto der Post brennend ge¬
worden ist. War früher die Preisunterbietung örtlich begrenzt gewesen, so
konnte nunmehr die Schleudern von den durch ihre Lage begünstigten Mittel¬
punkten Leipzig und Berlin aus über das ganze deutsche Reich frisch und froh
betrieben werden. Mag man, wie damals der Verfasser jenes Aufsatzes, mehr die
Schäden, welche das Einheitsporto unzweifelhaft auch im Gefolge gehabt hat,
als seine Vorzüge betonen, auf alle Fälle müssen wir damit als thatsächlich
bestehender und wohl festgefügter Einrichtung rechnen.

Ist die Schleuderet ein Unglück? Soll man es beklagen, wenn der Sorti¬
mentsbuchhändler etwas von seinen "vielen Prozenten" abgiebt, das Publikum
seine Bücher viel billiger und infolge davon auch zum Vorteil der Verleger und
Schriftsteller mehr Bücher kaufen kann? Wer will und kann jene ehrenwerten
Leute, welche mit geringem Gewinn, aber großem Umsätze arbeiten, an der freien
Ausübung ihrer Erwerbsthätigkeit hindern? Wie kann der Verleger heutzutage
einem Wiederverkäufer vorschreiben, wie teuer er verkaufen soll? Kein andrer
Waarenerzeuger handelt so, der Ladenpreis ist eine veraltete Einrichtung wie
Brot- und Fleischtaxe u. dergl. Daß ein großer Teil der Provinzialbuchhändler
nach und nach zu Grunde geht, ist zwar traurig, aber die Leute haben nur
denselben Anspruch auf unser Mitleid wie die Handwerker, welche durch die
Erfindung neuer Maschinen brotlos werden.

Wäre dieser letzte Satz richtig, so würden die Sortimenter der Provinz
gefallen sein, ohne daß sich ihnen eine helfende Hand entgegengestreckt hätte.
Staat und Verleger würden lebhast bedauert haben, daß wiederum ein Stück
des selbständigen Mittelstandes abgebröckelt sei, aber mehr wäre auch nicht ge¬
schehen. Der Provinzialbuchhandel wäre gefallen wie die Handweberei und
andre Betriebe. Zur Freude derer jedoch, welche eine Auflösung kleinerer und



Heft 22 und 23. Vieles aus dem trefflichen Aufsätze, der seinerzeit kräftig fördernd
in die Bewegung eingegriffen hat, muß notwendigerweise hier wiederholt werden. Da das
lesende Publikum wechselt, auch viel wieder -- vergißt, wird das nichts schaden.
vom deutschen Buchhandel.

Bücher, die Bekämpfung der „schleudere!" als nächstes Ziel — nicht als End¬
zweck — erstrebt. Diese Bewegung hat in der Presse, namentlich in der jüdischen,
da Israel bekanntlich stets leidet und schreit, wenn man die Ausbeutung der
Freiheit in irgend einer Hinsicht beschränkt, große Anfeindung erfahren. Es
ist daher wohl gerechtfertigt, die Frage, welche weite Kreise beschäftigt hat und
vielfach mißverstanden worden ist, etwas eingehender zu erörtern.

Die Klagen über Preisunterbietung trotz der von den Verlegern festgesetzten
Ladenpreise sind sehr alt, und man hat daraus vielfach den Schluß gezogen,
es sei heute damit nicht schlimmer als je und werde immer so bleiben müssen.
Dagegen hat mit Recht ein im Jahre 1883*) in dieser Zeitschrift veröffentlichter
Aufsatz über „Bewegungen im deutschen Buchhandel" klar nachgewiesen, wie die
Frage erst durch das heute geschaffene Einheitsporto der Post brennend ge¬
worden ist. War früher die Preisunterbietung örtlich begrenzt gewesen, so
konnte nunmehr die Schleudern von den durch ihre Lage begünstigten Mittel¬
punkten Leipzig und Berlin aus über das ganze deutsche Reich frisch und froh
betrieben werden. Mag man, wie damals der Verfasser jenes Aufsatzes, mehr die
Schäden, welche das Einheitsporto unzweifelhaft auch im Gefolge gehabt hat,
als seine Vorzüge betonen, auf alle Fälle müssen wir damit als thatsächlich
bestehender und wohl festgefügter Einrichtung rechnen.

Ist die Schleuderet ein Unglück? Soll man es beklagen, wenn der Sorti¬
mentsbuchhändler etwas von seinen „vielen Prozenten" abgiebt, das Publikum
seine Bücher viel billiger und infolge davon auch zum Vorteil der Verleger und
Schriftsteller mehr Bücher kaufen kann? Wer will und kann jene ehrenwerten
Leute, welche mit geringem Gewinn, aber großem Umsätze arbeiten, an der freien
Ausübung ihrer Erwerbsthätigkeit hindern? Wie kann der Verleger heutzutage
einem Wiederverkäufer vorschreiben, wie teuer er verkaufen soll? Kein andrer
Waarenerzeuger handelt so, der Ladenpreis ist eine veraltete Einrichtung wie
Brot- und Fleischtaxe u. dergl. Daß ein großer Teil der Provinzialbuchhändler
nach und nach zu Grunde geht, ist zwar traurig, aber die Leute haben nur
denselben Anspruch auf unser Mitleid wie die Handwerker, welche durch die
Erfindung neuer Maschinen brotlos werden.

Wäre dieser letzte Satz richtig, so würden die Sortimenter der Provinz
gefallen sein, ohne daß sich ihnen eine helfende Hand entgegengestreckt hätte.
Staat und Verleger würden lebhast bedauert haben, daß wiederum ein Stück
des selbständigen Mittelstandes abgebröckelt sei, aber mehr wäre auch nicht ge¬
schehen. Der Provinzialbuchhandel wäre gefallen wie die Handweberei und
andre Betriebe. Zur Freude derer jedoch, welche eine Auflösung kleinerer und



Heft 22 und 23. Vieles aus dem trefflichen Aufsätze, der seinerzeit kräftig fördernd
in die Bewegung eingegriffen hat, muß notwendigerweise hier wiederholt werden. Da das
lesende Publikum wechselt, auch viel wieder — vergißt, wird das nichts schaden.
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[0478] vom deutschen Buchhandel. Bücher, die Bekämpfung der „schleudere!" als nächstes Ziel — nicht als End¬ zweck — erstrebt. Diese Bewegung hat in der Presse, namentlich in der jüdischen, da Israel bekanntlich stets leidet und schreit, wenn man die Ausbeutung der Freiheit in irgend einer Hinsicht beschränkt, große Anfeindung erfahren. Es ist daher wohl gerechtfertigt, die Frage, welche weite Kreise beschäftigt hat und vielfach mißverstanden worden ist, etwas eingehender zu erörtern. Die Klagen über Preisunterbietung trotz der von den Verlegern festgesetzten Ladenpreise sind sehr alt, und man hat daraus vielfach den Schluß gezogen, es sei heute damit nicht schlimmer als je und werde immer so bleiben müssen. Dagegen hat mit Recht ein im Jahre 1883*) in dieser Zeitschrift veröffentlichter Aufsatz über „Bewegungen im deutschen Buchhandel" klar nachgewiesen, wie die Frage erst durch das heute geschaffene Einheitsporto der Post brennend ge¬ worden ist. War früher die Preisunterbietung örtlich begrenzt gewesen, so konnte nunmehr die Schleudern von den durch ihre Lage begünstigten Mittel¬ punkten Leipzig und Berlin aus über das ganze deutsche Reich frisch und froh betrieben werden. Mag man, wie damals der Verfasser jenes Aufsatzes, mehr die Schäden, welche das Einheitsporto unzweifelhaft auch im Gefolge gehabt hat, als seine Vorzüge betonen, auf alle Fälle müssen wir damit als thatsächlich bestehender und wohl festgefügter Einrichtung rechnen. Ist die Schleuderet ein Unglück? Soll man es beklagen, wenn der Sorti¬ mentsbuchhändler etwas von seinen „vielen Prozenten" abgiebt, das Publikum seine Bücher viel billiger und infolge davon auch zum Vorteil der Verleger und Schriftsteller mehr Bücher kaufen kann? Wer will und kann jene ehrenwerten Leute, welche mit geringem Gewinn, aber großem Umsätze arbeiten, an der freien Ausübung ihrer Erwerbsthätigkeit hindern? Wie kann der Verleger heutzutage einem Wiederverkäufer vorschreiben, wie teuer er verkaufen soll? Kein andrer Waarenerzeuger handelt so, der Ladenpreis ist eine veraltete Einrichtung wie Brot- und Fleischtaxe u. dergl. Daß ein großer Teil der Provinzialbuchhändler nach und nach zu Grunde geht, ist zwar traurig, aber die Leute haben nur denselben Anspruch auf unser Mitleid wie die Handwerker, welche durch die Erfindung neuer Maschinen brotlos werden. Wäre dieser letzte Satz richtig, so würden die Sortimenter der Provinz gefallen sein, ohne daß sich ihnen eine helfende Hand entgegengestreckt hätte. Staat und Verleger würden lebhast bedauert haben, daß wiederum ein Stück des selbständigen Mittelstandes abgebröckelt sei, aber mehr wäre auch nicht ge¬ schehen. Der Provinzialbuchhandel wäre gefallen wie die Handweberei und andre Betriebe. Zur Freude derer jedoch, welche eine Auflösung kleinerer und Heft 22 und 23. Vieles aus dem trefflichen Aufsätze, der seinerzeit kräftig fördernd in die Bewegung eingegriffen hat, muß notwendigerweise hier wiederholt werden. Da das lesende Publikum wechselt, auch viel wieder — vergißt, wird das nichts schaden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/478>, abgerufen am 27.06.2024.