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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gevatter Tod.

Da faltete sie ihre Hände und betete aus tiefstem Herzensgrunde zu Gott, und
es überkam sie ein Gefühl, als habe sie mit dem Tode nun etwas Gemeinsames,
das sie mit einander verknüpfte, sodnß sie sich nie wieder trennen könnten.

Sie setzte sich auf den Rand ihres Bettes vor die Wiege, und Stunde
auf Stunde verrann, es ward Abend, und die Nacht brach herein. Und sie kämpfte
den bittern Kampf des Schmerzes wieder und wieder durch, bis ihr Haupt auf
die Kissen sank und sie schluchzend einschlief wie das Kind an ihrer Seite.

Nein nein, mit dem Tode ist nicht zu spaßen, sagten die Vernünftigen.
Man soll ihm am liebsten aus dem Wege gehen und die Augen senken, wenn
er vorüber kommt, sonst entrinnt man ihm nicht mit heiler Haut! Das war
eine traurige Begebenheit mit dem Tauffeste, aber die Witwe wird wohl klug
dadurch geworden sein -- sie wird ihn hoffentlich wegnehmen --, sonst sollt
ihr es noch erleben! Das Ende vom Liede wird sein, daß er sie mit samt dem
Kinde holt.

Als es aber soweit kam, zeigte sichs, daß die Witwe ebenso unvernünftig
war wie der Schulmeister: es schien nicht, als wollte sie sich bei Zeiten vor dem
Tode sichern. Im Gegenteil, es hatte fast den Anschein, als habe dieser jetzt
erst recht den Sieg davon getragen und seinen Platz behauptet, das heißt
seinen Platz in der Familie, denn die Familie mußte ja umziehen, und -- er
zog mit.

Eigentlich war er derjenige, welcher für die neue Wohnung gesorgt hatte.
Einer mußte es ja thun, denn die junge Witwe war völlig gelähmt durch ihren
schmerzlichen Verlust und unfähig, in die Zukunft zu schauen. Sie konnte es
nicht vertragen, es blendete ihre verweinten Augen.

Auch aus dem Totengräber Jens konnte niemand recht klug werden. Seit
er am Grabe des Schulmeisters umgesunken und fortgetragen worden war, schien
es, als wäre der alte Jens ein ganz andrer geworden. Seine strenge, un¬
erbittliche Miene, die dem Tode an Härte nicht nachstand, war verschwunden.
Es war eine merkwürdige Unruhe über ihn gekommen, die Leute im Dorfe meinten,
er sehe gar nicht mehr aus, als sei er darauf versessen, sie allesamt zu begraben.
Aber das Wunderbarste war, daß er sein Hinterstübchen verließ und anfing, in
seinem Hause, das nun so viele, viele Jahre unberührt dagestanden hatte, zu
räumen und zu kramen. Er rumorte darin, als wollte er das Unterste zu oberst
kehren, er vertrieb die dumpfe Luft und ließ den goldnen Sonnenschein ein; und
dabei stöhnte er, daß man es weit hin im Dorfe hören konnte, und das ganze
Dorf wollte schier vergehen vor Neugierde.

Aber jedesmal, wenn er das Haus verließ, schloß er es ab wie einen


Gevatter Tod.

Da faltete sie ihre Hände und betete aus tiefstem Herzensgrunde zu Gott, und
es überkam sie ein Gefühl, als habe sie mit dem Tode nun etwas Gemeinsames,
das sie mit einander verknüpfte, sodnß sie sich nie wieder trennen könnten.

Sie setzte sich auf den Rand ihres Bettes vor die Wiege, und Stunde
auf Stunde verrann, es ward Abend, und die Nacht brach herein. Und sie kämpfte
den bittern Kampf des Schmerzes wieder und wieder durch, bis ihr Haupt auf
die Kissen sank und sie schluchzend einschlief wie das Kind an ihrer Seite.

Nein nein, mit dem Tode ist nicht zu spaßen, sagten die Vernünftigen.
Man soll ihm am liebsten aus dem Wege gehen und die Augen senken, wenn
er vorüber kommt, sonst entrinnt man ihm nicht mit heiler Haut! Das war
eine traurige Begebenheit mit dem Tauffeste, aber die Witwe wird wohl klug
dadurch geworden sein — sie wird ihn hoffentlich wegnehmen —, sonst sollt
ihr es noch erleben! Das Ende vom Liede wird sein, daß er sie mit samt dem
Kinde holt.

Als es aber soweit kam, zeigte sichs, daß die Witwe ebenso unvernünftig
war wie der Schulmeister: es schien nicht, als wollte sie sich bei Zeiten vor dem
Tode sichern. Im Gegenteil, es hatte fast den Anschein, als habe dieser jetzt
erst recht den Sieg davon getragen und seinen Platz behauptet, das heißt
seinen Platz in der Familie, denn die Familie mußte ja umziehen, und — er
zog mit.

Eigentlich war er derjenige, welcher für die neue Wohnung gesorgt hatte.
Einer mußte es ja thun, denn die junge Witwe war völlig gelähmt durch ihren
schmerzlichen Verlust und unfähig, in die Zukunft zu schauen. Sie konnte es
nicht vertragen, es blendete ihre verweinten Augen.

Auch aus dem Totengräber Jens konnte niemand recht klug werden. Seit
er am Grabe des Schulmeisters umgesunken und fortgetragen worden war, schien
es, als wäre der alte Jens ein ganz andrer geworden. Seine strenge, un¬
erbittliche Miene, die dem Tode an Härte nicht nachstand, war verschwunden.
Es war eine merkwürdige Unruhe über ihn gekommen, die Leute im Dorfe meinten,
er sehe gar nicht mehr aus, als sei er darauf versessen, sie allesamt zu begraben.
Aber das Wunderbarste war, daß er sein Hinterstübchen verließ und anfing, in
seinem Hause, das nun so viele, viele Jahre unberührt dagestanden hatte, zu
räumen und zu kramen. Er rumorte darin, als wollte er das Unterste zu oberst
kehren, er vertrieb die dumpfe Luft und ließ den goldnen Sonnenschein ein; und
dabei stöhnte er, daß man es weit hin im Dorfe hören konnte, und das ganze
Dorf wollte schier vergehen vor Neugierde.

Aber jedesmal, wenn er das Haus verließ, schloß er es ab wie einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/459>, abgerufen am 22.07.2024.