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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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und Apostel mit griechischen Namen, und größere Wandbilder, wie die Heiligen
Georg und Andronikos, die Geburt Christi, die Anbetung der Hirten und Magier,
der bethlchemitische Kindermord, sind so charakteristisch in den Einzelfiguren, so
lebendig in den Bewegungen, so anmutig in der Erfindung, daß sie ans der
Zeit nach Giotto (der ja erst 1326 starb) und von einem Giottisten herzurühren
scheinen. Wie aber die italienische Malerei um diese Zeit nach Byzanz gekommen
sein mag, das müßt ihr euch von einem Kundigeren, dem besseres Material zur
Seite steht, erläutern lassen. Denn aus sich heraus hat das Byzantinertum
diese Werke nicht geschaffen, so viel kann ich mit Bestimmtheit sagen. Hier
war der Kastengeist zu sehr ausgebildet und das Zeremoniell zu starr, als daß
ein Künstler zu einer so freien Auffassung hätte gelangen können; an Stelle
religiöser Empfindung waren theologische Spitzfindigkeiten getreten, sodaß die
Kunst sich auch nicht mehr zu einem so rührend naiven Ausdruck empor¬
schwingen konnte, wie er aus diesen Bildern spricht. Unmöglich ist es ja nicht,
daß mit den lateinischen Kreuzfahrern auch Künstler aus Italien an das goldne
Horn gekommen sind, aber auch diese Epoche wäre für diese Darstellungen zu
früh. Immerhin hat zwischen den großen Seestädten Italiens und Konstantinopel
eine lebendige Wechselwirkung und ein reger Verkehr bestanden, und so hat ein
solcher vielleicht auch einen tüchtigen Maler hierher verschlage", der erst jetzt
wieder uach Jahrhunderten zu neuem Leben aufersteht.

Nach dieser Besichtigung bogen wir zur Linken ab und begannen den Ritt
um die Mauern. Es würde wenig Interesse für euch bieten, wollte ich mit¬
teilen, welche Seiten von den einzelnen Kaisern herrühren, eine Namensauf¬
zählung, die ihr in jedem Reisebuch finden könnt. Auch bin ich nicht Feldherr
genng, um euch die frühere Festungsbedentnng derselben auseinander setzen zu
können. Alle diese Dinge haben mich gleichgültig gelassen. Für mich war der
malerische Eindruck dieser alten verfallenen Werke mit ihren Gräben und Zinnen,
kleinen und großen Türmen, an die sich Bäume und Schlingpflanzen rankten,
die Hauptsache, jeder einzelne Turm für sich schon wert, einem Maler zum
Vorwurf zu dienen. Gehoben wird dieser Anblick noch dadurch, daß sich
gegenüber den Mauern lange, mit Zypressen bewachsene türkische Friedhöfe hin¬
ziehen, die in der Verwüstung, die sie selbst bieten, wunderbar mit den
Ruinen übereinstimmen. Die alten malerischen Thore, zum Teil mit griechischen,
zum Teil mit den türkischen Inschriften des Eroberers, sind fast alle noch vor¬
handen; nur von dem sogenannten goldnen Thore x/le), welches, von
Theodosius errichtet, Zeuge so vieler Triumphzüge der oströmischen Kaiser ge¬
wesen ist, sind elende Überreste vorhanden, an denen man kaum noch die mit
korinthischen Kapitalen geschmückt gewesenen Eingangssäulen erkennt. Wir sahen
auch die Bresche, durch die Mohammed der Zweite in die Stadt drang und
wo der letzte byzantinische Kaiser Konstantin Palciologos den Heldentod starb,
um den Sturz seines Reiches nicht zu erleben. Endlich gelangten wir auch zu


Line Fahrt in den Grient.

und Apostel mit griechischen Namen, und größere Wandbilder, wie die Heiligen
Georg und Andronikos, die Geburt Christi, die Anbetung der Hirten und Magier,
der bethlchemitische Kindermord, sind so charakteristisch in den Einzelfiguren, so
lebendig in den Bewegungen, so anmutig in der Erfindung, daß sie ans der
Zeit nach Giotto (der ja erst 1326 starb) und von einem Giottisten herzurühren
scheinen. Wie aber die italienische Malerei um diese Zeit nach Byzanz gekommen
sein mag, das müßt ihr euch von einem Kundigeren, dem besseres Material zur
Seite steht, erläutern lassen. Denn aus sich heraus hat das Byzantinertum
diese Werke nicht geschaffen, so viel kann ich mit Bestimmtheit sagen. Hier
war der Kastengeist zu sehr ausgebildet und das Zeremoniell zu starr, als daß
ein Künstler zu einer so freien Auffassung hätte gelangen können; an Stelle
religiöser Empfindung waren theologische Spitzfindigkeiten getreten, sodaß die
Kunst sich auch nicht mehr zu einem so rührend naiven Ausdruck empor¬
schwingen konnte, wie er aus diesen Bildern spricht. Unmöglich ist es ja nicht,
daß mit den lateinischen Kreuzfahrern auch Künstler aus Italien an das goldne
Horn gekommen sind, aber auch diese Epoche wäre für diese Darstellungen zu
früh. Immerhin hat zwischen den großen Seestädten Italiens und Konstantinopel
eine lebendige Wechselwirkung und ein reger Verkehr bestanden, und so hat ein
solcher vielleicht auch einen tüchtigen Maler hierher verschlage», der erst jetzt
wieder uach Jahrhunderten zu neuem Leben aufersteht.

Nach dieser Besichtigung bogen wir zur Linken ab und begannen den Ritt
um die Mauern. Es würde wenig Interesse für euch bieten, wollte ich mit¬
teilen, welche Seiten von den einzelnen Kaisern herrühren, eine Namensauf¬
zählung, die ihr in jedem Reisebuch finden könnt. Auch bin ich nicht Feldherr
genng, um euch die frühere Festungsbedentnng derselben auseinander setzen zu
können. Alle diese Dinge haben mich gleichgültig gelassen. Für mich war der
malerische Eindruck dieser alten verfallenen Werke mit ihren Gräben und Zinnen,
kleinen und großen Türmen, an die sich Bäume und Schlingpflanzen rankten,
die Hauptsache, jeder einzelne Turm für sich schon wert, einem Maler zum
Vorwurf zu dienen. Gehoben wird dieser Anblick noch dadurch, daß sich
gegenüber den Mauern lange, mit Zypressen bewachsene türkische Friedhöfe hin¬
ziehen, die in der Verwüstung, die sie selbst bieten, wunderbar mit den
Ruinen übereinstimmen. Die alten malerischen Thore, zum Teil mit griechischen,
zum Teil mit den türkischen Inschriften des Eroberers, sind fast alle noch vor¬
handen; nur von dem sogenannten goldnen Thore x/le), welches, von
Theodosius errichtet, Zeuge so vieler Triumphzüge der oströmischen Kaiser ge¬
wesen ist, sind elende Überreste vorhanden, an denen man kaum noch die mit
korinthischen Kapitalen geschmückt gewesenen Eingangssäulen erkennt. Wir sahen
auch die Bresche, durch die Mohammed der Zweite in die Stadt drang und
wo der letzte byzantinische Kaiser Konstantin Palciologos den Heldentod starb,
um den Sturz seines Reiches nicht zu erleben. Endlich gelangten wir auch zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/448>, abgerufen am 22.07.2024.