Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe "ut Rochlitz.

seiner Feder angewiesen war, hatte ihn vorübergehend der Gedanke gelockt,
Leipzig mit Weimar zu vertauschen und dort ein befriedigenderes Dasein zu
gewinnen. Unterm 30. Mai 1797 hatte sich der Leipziger Magister an Böt¬
tiger, damals Oberkonsistorialrat und Direktor des Weimarischen Gymnasiums,
gewendet und bei diesem, indem er ihn respektvoll und freigebig mit Eure Magni-
fizcnz anredete, wegen einer Stelle am Weimarischen Gymnasium angefragt.*)
"Durch einen Brief des Herrn Geheimen Sekretärs Machts aus Weimar an
einen meiner hiesigen Freunde erfuhr ich neulich, daß mit nächstem eine Stelle
am Weimarischen Gymnasium offen werde, ohne aber die geringste weitere
Nachricht zu bekommen, oder auch nur einen persönlichen Bekannten in Weimar
zu haben, von dem ich sie jetzt bekommen könnte. Ich, der ich durch mancherlei
Verhältnisse in der Welt umhergeworfen worden bin, und zuweilen etwas unsanft,
wünsche mir jetzt eine Stelle jener Art, wo ich als ordentlicher Manu arbeiten,
nützen und eine festere Bestimmung als die einer Anwartschaft auf eine aka¬
demische Lehrstelle finden könnte. Unter diesen Umständen wende ich mich an
Ihre Gütigkeit. Glauben also Eure Magnifizenz, daß ein Mann von nchtnnd-
zwanzig Jahren, der neben der Theologie und den Wissenschaften, die jeder
gebildete Mensch wissen muß, sich hauptsächlich mit römischer klassischer Literatur
und was in genauem Sinne dazu gehört, mit neuerer Geschichte und Philo¬
sophie, besonders mit den praktischen Teilen der letztem und unter diesen vor¬
nehmlich mit denen, die Kunst und Moral behandeln, beschäftigt hat, der bis
vor einigen Jahren in einem angesehenen Hause Hofmeister gewesen ist und aus
seinem Hofmeisterleben Liebe zur Jugend und vielleicht einige Erfahrungen über
ihre zweckmäßige Behandlung zurückgebracht hat, ein Mann, der übrigens nicht
eben viel, noch weniger erkünstelte Bedürfnisse hat und imstande ist, wenn
ihm sein Beruf Zeit verstattet, sich auf anderm Wege vielleicht noch manches
zu erwerben, dessen Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur aber so
gering ist, daß sie keine Erwähnung verdient, der von den orientalischen Sprachen
nur das versteht, was ein verstündiger Mann nichts nennen muß; der endlich
Unterricht zu geben in der Mathematik und Physik nicht wohl imstande, in
neuern Sprachen nicht geneigt ist -- glauben Eure Magnifizenz, daß ein solcher
in der vakanten oder valant werdenden Stelle thätig sein, nützen und ohne
kleinliche ängstliche Sorgen leben kann, so bin ich frei genug, die Bitte zu
wagen, mich von diesen Verhältnissen nur ein Wort wissen zu lassen."

Böttiger kann ans diese Anfrage keinen ermutigenden Bescheid gegeben
haben, aber die Hand, die ihm solchergestalt entgegengestreckt wurde, hielt er fest,
wie er gewohnt war, jede Hand festzuhalten. Bei einem Besuche Rochlitzens
in Weimar im nächsten Jahre, bei den häufige" Fahrten Böttigers zu den



*) Alle in diesem Aussatz benutzten, seither ungedruckten Briefe Rochlitzens befinden sich
unter den Handschriftenschätzen der königlichen Bibliothek in Dresden.
Goethe »ut Rochlitz.

seiner Feder angewiesen war, hatte ihn vorübergehend der Gedanke gelockt,
Leipzig mit Weimar zu vertauschen und dort ein befriedigenderes Dasein zu
gewinnen. Unterm 30. Mai 1797 hatte sich der Leipziger Magister an Böt¬
tiger, damals Oberkonsistorialrat und Direktor des Weimarischen Gymnasiums,
gewendet und bei diesem, indem er ihn respektvoll und freigebig mit Eure Magni-
fizcnz anredete, wegen einer Stelle am Weimarischen Gymnasium angefragt.*)
„Durch einen Brief des Herrn Geheimen Sekretärs Machts aus Weimar an
einen meiner hiesigen Freunde erfuhr ich neulich, daß mit nächstem eine Stelle
am Weimarischen Gymnasium offen werde, ohne aber die geringste weitere
Nachricht zu bekommen, oder auch nur einen persönlichen Bekannten in Weimar
zu haben, von dem ich sie jetzt bekommen könnte. Ich, der ich durch mancherlei
Verhältnisse in der Welt umhergeworfen worden bin, und zuweilen etwas unsanft,
wünsche mir jetzt eine Stelle jener Art, wo ich als ordentlicher Manu arbeiten,
nützen und eine festere Bestimmung als die einer Anwartschaft auf eine aka¬
demische Lehrstelle finden könnte. Unter diesen Umständen wende ich mich an
Ihre Gütigkeit. Glauben also Eure Magnifizenz, daß ein Mann von nchtnnd-
zwanzig Jahren, der neben der Theologie und den Wissenschaften, die jeder
gebildete Mensch wissen muß, sich hauptsächlich mit römischer klassischer Literatur
und was in genauem Sinne dazu gehört, mit neuerer Geschichte und Philo¬
sophie, besonders mit den praktischen Teilen der letztem und unter diesen vor¬
nehmlich mit denen, die Kunst und Moral behandeln, beschäftigt hat, der bis
vor einigen Jahren in einem angesehenen Hause Hofmeister gewesen ist und aus
seinem Hofmeisterleben Liebe zur Jugend und vielleicht einige Erfahrungen über
ihre zweckmäßige Behandlung zurückgebracht hat, ein Mann, der übrigens nicht
eben viel, noch weniger erkünstelte Bedürfnisse hat und imstande ist, wenn
ihm sein Beruf Zeit verstattet, sich auf anderm Wege vielleicht noch manches
zu erwerben, dessen Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur aber so
gering ist, daß sie keine Erwähnung verdient, der von den orientalischen Sprachen
nur das versteht, was ein verstündiger Mann nichts nennen muß; der endlich
Unterricht zu geben in der Mathematik und Physik nicht wohl imstande, in
neuern Sprachen nicht geneigt ist — glauben Eure Magnifizenz, daß ein solcher
in der vakanten oder valant werdenden Stelle thätig sein, nützen und ohne
kleinliche ängstliche Sorgen leben kann, so bin ich frei genug, die Bitte zu
wagen, mich von diesen Verhältnissen nur ein Wort wissen zu lassen."

Böttiger kann ans diese Anfrage keinen ermutigenden Bescheid gegeben
haben, aber die Hand, die ihm solchergestalt entgegengestreckt wurde, hielt er fest,
wie er gewohnt war, jede Hand festzuhalten. Bei einem Besuche Rochlitzens
in Weimar im nächsten Jahre, bei den häufige» Fahrten Böttigers zu den



*) Alle in diesem Aussatz benutzten, seither ungedruckten Briefe Rochlitzens befinden sich
unter den Handschriftenschätzen der königlichen Bibliothek in Dresden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201865"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe »ut Rochlitz.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1062" prev="#ID_1061"> seiner Feder angewiesen war, hatte ihn vorübergehend der Gedanke gelockt,<lb/>
Leipzig mit Weimar zu vertauschen und dort ein befriedigenderes Dasein zu<lb/>
gewinnen. Unterm 30. Mai 1797 hatte sich der Leipziger Magister an Böt¬<lb/>
tiger, damals Oberkonsistorialrat und Direktor des Weimarischen Gymnasiums,<lb/>
gewendet und bei diesem, indem er ihn respektvoll und freigebig mit Eure Magni-<lb/>
fizcnz anredete, wegen einer Stelle am Weimarischen Gymnasium angefragt.*)<lb/>
&#x201E;Durch einen Brief des Herrn Geheimen Sekretärs Machts aus Weimar an<lb/>
einen meiner hiesigen Freunde erfuhr ich neulich, daß mit nächstem eine Stelle<lb/>
am Weimarischen Gymnasium offen werde, ohne aber die geringste weitere<lb/>
Nachricht zu bekommen, oder auch nur einen persönlichen Bekannten in Weimar<lb/>
zu haben, von dem ich sie jetzt bekommen könnte. Ich, der ich durch mancherlei<lb/>
Verhältnisse in der Welt umhergeworfen worden bin, und zuweilen etwas unsanft,<lb/>
wünsche mir jetzt eine Stelle jener Art, wo ich als ordentlicher Manu arbeiten,<lb/>
nützen und eine festere Bestimmung als die einer Anwartschaft auf eine aka¬<lb/>
demische Lehrstelle finden könnte. Unter diesen Umständen wende ich mich an<lb/>
Ihre Gütigkeit. Glauben also Eure Magnifizenz, daß ein Mann von nchtnnd-<lb/>
zwanzig Jahren, der neben der Theologie und den Wissenschaften, die jeder<lb/>
gebildete Mensch wissen muß, sich hauptsächlich mit römischer klassischer Literatur<lb/>
und was in genauem Sinne dazu gehört, mit neuerer Geschichte und Philo¬<lb/>
sophie, besonders mit den praktischen Teilen der letztem und unter diesen vor¬<lb/>
nehmlich mit denen, die Kunst und Moral behandeln, beschäftigt hat, der bis<lb/>
vor einigen Jahren in einem angesehenen Hause Hofmeister gewesen ist und aus<lb/>
seinem Hofmeisterleben Liebe zur Jugend und vielleicht einige Erfahrungen über<lb/>
ihre zweckmäßige Behandlung zurückgebracht hat, ein Mann, der übrigens nicht<lb/>
eben viel, noch weniger erkünstelte Bedürfnisse hat und imstande ist, wenn<lb/>
ihm sein Beruf Zeit verstattet, sich auf anderm Wege vielleicht noch manches<lb/>
zu erwerben, dessen Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur aber so<lb/>
gering ist, daß sie keine Erwähnung verdient, der von den orientalischen Sprachen<lb/>
nur das versteht, was ein verstündiger Mann nichts nennen muß; der endlich<lb/>
Unterricht zu geben in der Mathematik und Physik nicht wohl imstande, in<lb/>
neuern Sprachen nicht geneigt ist &#x2014; glauben Eure Magnifizenz, daß ein solcher<lb/>
in der vakanten oder valant werdenden Stelle thätig sein, nützen und ohne<lb/>
kleinliche ängstliche Sorgen leben kann, so bin ich frei genug, die Bitte zu<lb/>
wagen, mich von diesen Verhältnissen nur ein Wort wissen zu lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Böttiger kann ans diese Anfrage keinen ermutigenden Bescheid gegeben<lb/>
haben, aber die Hand, die ihm solchergestalt entgegengestreckt wurde, hielt er fest,<lb/>
wie er gewohnt war, jede Hand festzuhalten. Bei einem Besuche Rochlitzens<lb/>
in Weimar im nächsten Jahre, bei den häufige» Fahrten Böttigers zu den</p><lb/>
          <note xml:id="FID_48" place="foot"> *) Alle in diesem Aussatz benutzten, seither ungedruckten Briefe Rochlitzens befinden sich<lb/>
unter den Handschriftenschätzen der königlichen Bibliothek in Dresden.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] Goethe »ut Rochlitz. seiner Feder angewiesen war, hatte ihn vorübergehend der Gedanke gelockt, Leipzig mit Weimar zu vertauschen und dort ein befriedigenderes Dasein zu gewinnen. Unterm 30. Mai 1797 hatte sich der Leipziger Magister an Böt¬ tiger, damals Oberkonsistorialrat und Direktor des Weimarischen Gymnasiums, gewendet und bei diesem, indem er ihn respektvoll und freigebig mit Eure Magni- fizcnz anredete, wegen einer Stelle am Weimarischen Gymnasium angefragt.*) „Durch einen Brief des Herrn Geheimen Sekretärs Machts aus Weimar an einen meiner hiesigen Freunde erfuhr ich neulich, daß mit nächstem eine Stelle am Weimarischen Gymnasium offen werde, ohne aber die geringste weitere Nachricht zu bekommen, oder auch nur einen persönlichen Bekannten in Weimar zu haben, von dem ich sie jetzt bekommen könnte. Ich, der ich durch mancherlei Verhältnisse in der Welt umhergeworfen worden bin, und zuweilen etwas unsanft, wünsche mir jetzt eine Stelle jener Art, wo ich als ordentlicher Manu arbeiten, nützen und eine festere Bestimmung als die einer Anwartschaft auf eine aka¬ demische Lehrstelle finden könnte. Unter diesen Umständen wende ich mich an Ihre Gütigkeit. Glauben also Eure Magnifizenz, daß ein Mann von nchtnnd- zwanzig Jahren, der neben der Theologie und den Wissenschaften, die jeder gebildete Mensch wissen muß, sich hauptsächlich mit römischer klassischer Literatur und was in genauem Sinne dazu gehört, mit neuerer Geschichte und Philo¬ sophie, besonders mit den praktischen Teilen der letztem und unter diesen vor¬ nehmlich mit denen, die Kunst und Moral behandeln, beschäftigt hat, der bis vor einigen Jahren in einem angesehenen Hause Hofmeister gewesen ist und aus seinem Hofmeisterleben Liebe zur Jugend und vielleicht einige Erfahrungen über ihre zweckmäßige Behandlung zurückgebracht hat, ein Mann, der übrigens nicht eben viel, noch weniger erkünstelte Bedürfnisse hat und imstande ist, wenn ihm sein Beruf Zeit verstattet, sich auf anderm Wege vielleicht noch manches zu erwerben, dessen Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur aber so gering ist, daß sie keine Erwähnung verdient, der von den orientalischen Sprachen nur das versteht, was ein verstündiger Mann nichts nennen muß; der endlich Unterricht zu geben in der Mathematik und Physik nicht wohl imstande, in neuern Sprachen nicht geneigt ist — glauben Eure Magnifizenz, daß ein solcher in der vakanten oder valant werdenden Stelle thätig sein, nützen und ohne kleinliche ängstliche Sorgen leben kann, so bin ich frei genug, die Bitte zu wagen, mich von diesen Verhältnissen nur ein Wort wissen zu lassen." Böttiger kann ans diese Anfrage keinen ermutigenden Bescheid gegeben haben, aber die Hand, die ihm solchergestalt entgegengestreckt wurde, hielt er fest, wie er gewohnt war, jede Hand festzuhalten. Bei einem Besuche Rochlitzens in Weimar im nächsten Jahre, bei den häufige» Fahrten Böttigers zu den *) Alle in diesem Aussatz benutzten, seither ungedruckten Briefe Rochlitzens befinden sich unter den Handschriftenschätzen der königlichen Bibliothek in Dresden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/436>, abgerufen am 22.07.2024.