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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

Kunstkenner und Kunstfreunde. Herr von Biedermann betont in seiner Ein¬
führung völlig zutreffend, daß sich dieser Briefwechsel von Goethes son¬
stigen andauernden Briefwechseln darin unterscheide, daß er, "wenn auch nicht
durchaus, so doch immer und immer wieder aufrecht erhalten wird mit Bezug
auf Rochlitzeus Wohnort. Nochlitzens Eigenschaften als Schriftsteller, sowie
als Kunstkenner und Sammler gaben zwar auch wiederholt Anlaß zu Briefen,
allein wie der rote Faden zieht sich hindurch, daß Goethe sich an Rochlitz als
den unabhängigen und einflußreichen Bewohner Leipzigs wendet, um an diesem
bedeutenden Orte etwas vermittelt zu erhalten, indem er bald um Auskunft über
dortige Persönlichkeiten oder dortige Kunstverhältnisse oder über die Thunlich-
keit des beabsichtigten Gastspiels der Weimarer Hofschauspieler in Leipzig und
sodann über ihre Aufnahme, bald um Beratung nach Leipzig sich begebender Per¬
sonen oder um Besorgungen an dort wohnende und Abmachung von Geschäften
mit ihnen ersucht; auch läßt er sich von Rochlitz über die staatlichen Zustände
unterhalten, die in den Leipziger Unruhen von 1830 und 1831 zu einem blu¬
tigen Zusammenstoße führten. An zweiter Stelle erhält sich aber der Brief¬
wechsel mit Hinblick auf Rochlitz selbst als den Verfasser insbesondre musik¬
wissenschaftlicher und erzählender Schriften, sowie Bühnenstücke, die Goethe mit
lebhaftem Beifall begrüßte, beziehentlich aufführen ließ, sowie noch mehr als
den verständnisvollen Empfänger dichterischer Schöpfungen, welchen Goethe an¬
spricht, um das feinsinnige Urteil des vielseitig gebildeten Mannes über seine
eignen Werke herauszulocken."

In der That verdient die Persönlichkeit Nochlitzens warmen und ehrenden An¬
teil und eine möglichst lebendige Erinnerung, auch wenn er nicht das Glück ge¬
habt hätte, zu Goethe in nähere Beziehungen zu treten. Als Sohn eines ein¬
fachen Bürgers 176!) zu Leipzig geboren, Schüler und Alumnus der altberühmten
Thomasschule, gehörte Rochlitz auch unter sehr veränderten äußern Verhältnissen
sein langes Leben hindurch seiner Vaterstadt an. Was er für das Kunst- und
Literaturleben Leipzigs gewirkt hat, ist unvergessen, sein Buch "Für Freunde
der Tonkunst" steht noch heute auch in weiten Kreisen in Ansehen, gar manche
Arbeit aus seiner Feder, deren in den Briefen Goethes mit Anerkennung ge¬
dacht ist, verdiente so gut wie das schon öfter beachtete Tagebuch während der
Leipziger Schlacht noch heute teilnehmende Leser zu finden. Die ganze Erschei¬
nung eines Mannes wie Rochlitz war typisch für seine, erfreulich für jede Zeit,
und die vortreffliche, pietätvolle und mit umfassender Sachkenntnis veranstaltete
Herausgabe des Goethischen Briefwechsels mit Rochlitz sollte überall Anlaß werden,
der Zeit und den Beziehungen, um die es sich hier handelt, eine Aufmerksam¬
keit zu widmen, die über den üblichen Abdruck der Vorrede hinausgeht.

Nochlitzens Jugend fiel in die Zeit, wo dem sächsischen Lande, und zumal
Leipzig, die Hegemonie, die es über ein halbes Jahrhundert im deutschen Literatur-
leben ausgeübt hatte, bestritten und entwunden ward. Nach einander hatten


Goethe und Rochlitz.

Kunstkenner und Kunstfreunde. Herr von Biedermann betont in seiner Ein¬
führung völlig zutreffend, daß sich dieser Briefwechsel von Goethes son¬
stigen andauernden Briefwechseln darin unterscheide, daß er, „wenn auch nicht
durchaus, so doch immer und immer wieder aufrecht erhalten wird mit Bezug
auf Rochlitzeus Wohnort. Nochlitzens Eigenschaften als Schriftsteller, sowie
als Kunstkenner und Sammler gaben zwar auch wiederholt Anlaß zu Briefen,
allein wie der rote Faden zieht sich hindurch, daß Goethe sich an Rochlitz als
den unabhängigen und einflußreichen Bewohner Leipzigs wendet, um an diesem
bedeutenden Orte etwas vermittelt zu erhalten, indem er bald um Auskunft über
dortige Persönlichkeiten oder dortige Kunstverhältnisse oder über die Thunlich-
keit des beabsichtigten Gastspiels der Weimarer Hofschauspieler in Leipzig und
sodann über ihre Aufnahme, bald um Beratung nach Leipzig sich begebender Per¬
sonen oder um Besorgungen an dort wohnende und Abmachung von Geschäften
mit ihnen ersucht; auch läßt er sich von Rochlitz über die staatlichen Zustände
unterhalten, die in den Leipziger Unruhen von 1830 und 1831 zu einem blu¬
tigen Zusammenstoße führten. An zweiter Stelle erhält sich aber der Brief¬
wechsel mit Hinblick auf Rochlitz selbst als den Verfasser insbesondre musik¬
wissenschaftlicher und erzählender Schriften, sowie Bühnenstücke, die Goethe mit
lebhaftem Beifall begrüßte, beziehentlich aufführen ließ, sowie noch mehr als
den verständnisvollen Empfänger dichterischer Schöpfungen, welchen Goethe an¬
spricht, um das feinsinnige Urteil des vielseitig gebildeten Mannes über seine
eignen Werke herauszulocken."

In der That verdient die Persönlichkeit Nochlitzens warmen und ehrenden An¬
teil und eine möglichst lebendige Erinnerung, auch wenn er nicht das Glück ge¬
habt hätte, zu Goethe in nähere Beziehungen zu treten. Als Sohn eines ein¬
fachen Bürgers 176!) zu Leipzig geboren, Schüler und Alumnus der altberühmten
Thomasschule, gehörte Rochlitz auch unter sehr veränderten äußern Verhältnissen
sein langes Leben hindurch seiner Vaterstadt an. Was er für das Kunst- und
Literaturleben Leipzigs gewirkt hat, ist unvergessen, sein Buch „Für Freunde
der Tonkunst" steht noch heute auch in weiten Kreisen in Ansehen, gar manche
Arbeit aus seiner Feder, deren in den Briefen Goethes mit Anerkennung ge¬
dacht ist, verdiente so gut wie das schon öfter beachtete Tagebuch während der
Leipziger Schlacht noch heute teilnehmende Leser zu finden. Die ganze Erschei¬
nung eines Mannes wie Rochlitz war typisch für seine, erfreulich für jede Zeit,
und die vortreffliche, pietätvolle und mit umfassender Sachkenntnis veranstaltete
Herausgabe des Goethischen Briefwechsels mit Rochlitz sollte überall Anlaß werden,
der Zeit und den Beziehungen, um die es sich hier handelt, eine Aufmerksam¬
keit zu widmen, die über den üblichen Abdruck der Vorrede hinausgeht.

Nochlitzens Jugend fiel in die Zeit, wo dem sächsischen Lande, und zumal
Leipzig, die Hegemonie, die es über ein halbes Jahrhundert im deutschen Literatur-
leben ausgeübt hatte, bestritten und entwunden ward. Nach einander hatten


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[0434] Goethe und Rochlitz. Kunstkenner und Kunstfreunde. Herr von Biedermann betont in seiner Ein¬ führung völlig zutreffend, daß sich dieser Briefwechsel von Goethes son¬ stigen andauernden Briefwechseln darin unterscheide, daß er, „wenn auch nicht durchaus, so doch immer und immer wieder aufrecht erhalten wird mit Bezug auf Rochlitzeus Wohnort. Nochlitzens Eigenschaften als Schriftsteller, sowie als Kunstkenner und Sammler gaben zwar auch wiederholt Anlaß zu Briefen, allein wie der rote Faden zieht sich hindurch, daß Goethe sich an Rochlitz als den unabhängigen und einflußreichen Bewohner Leipzigs wendet, um an diesem bedeutenden Orte etwas vermittelt zu erhalten, indem er bald um Auskunft über dortige Persönlichkeiten oder dortige Kunstverhältnisse oder über die Thunlich- keit des beabsichtigten Gastspiels der Weimarer Hofschauspieler in Leipzig und sodann über ihre Aufnahme, bald um Beratung nach Leipzig sich begebender Per¬ sonen oder um Besorgungen an dort wohnende und Abmachung von Geschäften mit ihnen ersucht; auch läßt er sich von Rochlitz über die staatlichen Zustände unterhalten, die in den Leipziger Unruhen von 1830 und 1831 zu einem blu¬ tigen Zusammenstoße führten. An zweiter Stelle erhält sich aber der Brief¬ wechsel mit Hinblick auf Rochlitz selbst als den Verfasser insbesondre musik¬ wissenschaftlicher und erzählender Schriften, sowie Bühnenstücke, die Goethe mit lebhaftem Beifall begrüßte, beziehentlich aufführen ließ, sowie noch mehr als den verständnisvollen Empfänger dichterischer Schöpfungen, welchen Goethe an¬ spricht, um das feinsinnige Urteil des vielseitig gebildeten Mannes über seine eignen Werke herauszulocken." In der That verdient die Persönlichkeit Nochlitzens warmen und ehrenden An¬ teil und eine möglichst lebendige Erinnerung, auch wenn er nicht das Glück ge¬ habt hätte, zu Goethe in nähere Beziehungen zu treten. Als Sohn eines ein¬ fachen Bürgers 176!) zu Leipzig geboren, Schüler und Alumnus der altberühmten Thomasschule, gehörte Rochlitz auch unter sehr veränderten äußern Verhältnissen sein langes Leben hindurch seiner Vaterstadt an. Was er für das Kunst- und Literaturleben Leipzigs gewirkt hat, ist unvergessen, sein Buch „Für Freunde der Tonkunst" steht noch heute auch in weiten Kreisen in Ansehen, gar manche Arbeit aus seiner Feder, deren in den Briefen Goethes mit Anerkennung ge¬ dacht ist, verdiente so gut wie das schon öfter beachtete Tagebuch während der Leipziger Schlacht noch heute teilnehmende Leser zu finden. Die ganze Erschei¬ nung eines Mannes wie Rochlitz war typisch für seine, erfreulich für jede Zeit, und die vortreffliche, pietätvolle und mit umfassender Sachkenntnis veranstaltete Herausgabe des Goethischen Briefwechsels mit Rochlitz sollte überall Anlaß werden, der Zeit und den Beziehungen, um die es sich hier handelt, eine Aufmerksam¬ keit zu widmen, die über den üblichen Abdruck der Vorrede hinausgeht. Nochlitzens Jugend fiel in die Zeit, wo dem sächsischen Lande, und zumal Leipzig, die Hegemonie, die es über ein halbes Jahrhundert im deutschen Literatur- leben ausgeübt hatte, bestritten und entwunden ward. Nach einander hatten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/434>, abgerufen am 24.08.2024.