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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Das wormser Volkstheater.

Sie soll nicht handeln, wie in einer Pantoffelehe die Frau, welche gerade im
entscheidenden Augenblicke das Wort beansprucht. Läßt sich die Menge doch
so leicht schon durch den bloßen musikalischen Nervenreiz rühren. Es könnte der
Ideengehalt und die Charaktervertiefung im Drama beeinträchtigt werden, wenn
bei jeder gehobenen Stimmung, jeder Gefühlsaufwallung Gesaug oder überhaupt
Musik ertönt, und Schwäche des Gefühls und der Phantasie könnte ein Dichter
leicht hinter Musik verstecken Wollen und so schwächliche, sentimentale Werke
liefern, die dennoch -- und das ist das Gefährliche -- eine gewisse Wirkung
nicht verfehlten. Auch wo der Dichter seine Aufgabe völlig gelöst hat, könnten
die Zuschauer, statt das ergriffene Gefühl ausruhen und besänftigen zu lassen, durch
zu reichliche Musikzugabe unter Umständen an dem rechten Ergriffensein, an
der energische" Erfüllung und Durchdringung des dichterischen Gehaltes gehindert
und dafür in unbestimmtere Gcfühlsschwclgereien gelullt werden, welche die
sittliche, reine Wirkung der herberen Kunst nicht aufkommen lassen. Mit dem
Einwände, daß der Gesang als Gefühlsausdruck der Gesamtheit ja mir die
Wirkung des Dichtwerkes bethätige, könnte man zu viel rechtfertigen. Die
Leiter der Wormser Bestrebungen wollen das natürlich im Prinzip nicht; er¬
wartet Schön doch gerade von der herberen, dramatischen Kunst ohne die über¬
mäßige äußere Ausstattung der Bühne besonders gute und reinigende Wirkungen
und will, daß der Stil und das Gefühl für Stil sich bilde durch den Zwang,
nur durch das Poetische zu wirken. Aber kann der Stil des Schauspiels uicht
auch durch Musik gefährdet werden, welche dem dichterischen Worte die höchste
Wirkung abnimmt und bestrebt ist, wie eine übereifrige Hausfrau alles selbst
zu verrichten, weil die andern es ihr doch nicht recht machen? Wo R. Wagner
Pate gestanden hat, kommen einem solche Gedanken und Bedenken leicht, und
wir mochten sie nicht unterdrücken.

Daß aber die Förderung, welche das Volkstheater der dramatischen Dichtung
bringen könnte, etwa von einem auf den Schild erhobenen Dichter ausgehen
sollte, heiße er Herrig oder anders, das meinen die Wormser natürlich selbst
nicht. Die Förderung soll eine sehr allmähliche, weil organische sein, und der
Boden, auf dem sie sich vollzieht, und aus dem sie ihre Nahrung bekommt, das
neu erweckte Juteresse des ganzen Volkes in allen seinen Schichten. Dann
wird sich ganz von selbst der Stil einstellen, der schmerzlich vermißte, und mit
ihm eine neue Blüte. Wann aber diese Zeit gekommen sein wird, wer will es
sagen? An einzelne Namen wird sie sich allein nicht knüpfen, denn die Grund¬
bedingung ist eben das Volk, wenn es auch des Geistes eines großen Dichters
bedarf, um und seinem Geiste ihn befruchtend das nationale Drama zu schaffen.
Wohl uns, daß wir eine Nation geworden send! Die großen Dichter werden
sich schon einstellen, und dann wird das wahrhaft deutsche Theater erstehen.
Wen" uus eins an den Fortgang der Wormser Sache glauben läßt, so ist es
das Arbeiten mit den vorhandenen Mitteln, das Anpassen an gegebene Ver-


Das wormser Volkstheater.

Sie soll nicht handeln, wie in einer Pantoffelehe die Frau, welche gerade im
entscheidenden Augenblicke das Wort beansprucht. Läßt sich die Menge doch
so leicht schon durch den bloßen musikalischen Nervenreiz rühren. Es könnte der
Ideengehalt und die Charaktervertiefung im Drama beeinträchtigt werden, wenn
bei jeder gehobenen Stimmung, jeder Gefühlsaufwallung Gesaug oder überhaupt
Musik ertönt, und Schwäche des Gefühls und der Phantasie könnte ein Dichter
leicht hinter Musik verstecken Wollen und so schwächliche, sentimentale Werke
liefern, die dennoch — und das ist das Gefährliche — eine gewisse Wirkung
nicht verfehlten. Auch wo der Dichter seine Aufgabe völlig gelöst hat, könnten
die Zuschauer, statt das ergriffene Gefühl ausruhen und besänftigen zu lassen, durch
zu reichliche Musikzugabe unter Umständen an dem rechten Ergriffensein, an
der energische» Erfüllung und Durchdringung des dichterischen Gehaltes gehindert
und dafür in unbestimmtere Gcfühlsschwclgereien gelullt werden, welche die
sittliche, reine Wirkung der herberen Kunst nicht aufkommen lassen. Mit dem
Einwände, daß der Gesang als Gefühlsausdruck der Gesamtheit ja mir die
Wirkung des Dichtwerkes bethätige, könnte man zu viel rechtfertigen. Die
Leiter der Wormser Bestrebungen wollen das natürlich im Prinzip nicht; er¬
wartet Schön doch gerade von der herberen, dramatischen Kunst ohne die über¬
mäßige äußere Ausstattung der Bühne besonders gute und reinigende Wirkungen
und will, daß der Stil und das Gefühl für Stil sich bilde durch den Zwang,
nur durch das Poetische zu wirken. Aber kann der Stil des Schauspiels uicht
auch durch Musik gefährdet werden, welche dem dichterischen Worte die höchste
Wirkung abnimmt und bestrebt ist, wie eine übereifrige Hausfrau alles selbst
zu verrichten, weil die andern es ihr doch nicht recht machen? Wo R. Wagner
Pate gestanden hat, kommen einem solche Gedanken und Bedenken leicht, und
wir mochten sie nicht unterdrücken.

Daß aber die Förderung, welche das Volkstheater der dramatischen Dichtung
bringen könnte, etwa von einem auf den Schild erhobenen Dichter ausgehen
sollte, heiße er Herrig oder anders, das meinen die Wormser natürlich selbst
nicht. Die Förderung soll eine sehr allmähliche, weil organische sein, und der
Boden, auf dem sie sich vollzieht, und aus dem sie ihre Nahrung bekommt, das
neu erweckte Juteresse des ganzen Volkes in allen seinen Schichten. Dann
wird sich ganz von selbst der Stil einstellen, der schmerzlich vermißte, und mit
ihm eine neue Blüte. Wann aber diese Zeit gekommen sein wird, wer will es
sagen? An einzelne Namen wird sie sich allein nicht knüpfen, denn die Grund¬
bedingung ist eben das Volk, wenn es auch des Geistes eines großen Dichters
bedarf, um und seinem Geiste ihn befruchtend das nationale Drama zu schaffen.
Wohl uns, daß wir eine Nation geworden send! Die großen Dichter werden
sich schon einstellen, und dann wird das wahrhaft deutsche Theater erstehen.
Wen» uus eins an den Fortgang der Wormser Sache glauben läßt, so ist es
das Arbeiten mit den vorhandenen Mitteln, das Anpassen an gegebene Ver-


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[0397] Das wormser Volkstheater. Sie soll nicht handeln, wie in einer Pantoffelehe die Frau, welche gerade im entscheidenden Augenblicke das Wort beansprucht. Läßt sich die Menge doch so leicht schon durch den bloßen musikalischen Nervenreiz rühren. Es könnte der Ideengehalt und die Charaktervertiefung im Drama beeinträchtigt werden, wenn bei jeder gehobenen Stimmung, jeder Gefühlsaufwallung Gesaug oder überhaupt Musik ertönt, und Schwäche des Gefühls und der Phantasie könnte ein Dichter leicht hinter Musik verstecken Wollen und so schwächliche, sentimentale Werke liefern, die dennoch — und das ist das Gefährliche — eine gewisse Wirkung nicht verfehlten. Auch wo der Dichter seine Aufgabe völlig gelöst hat, könnten die Zuschauer, statt das ergriffene Gefühl ausruhen und besänftigen zu lassen, durch zu reichliche Musikzugabe unter Umständen an dem rechten Ergriffensein, an der energische» Erfüllung und Durchdringung des dichterischen Gehaltes gehindert und dafür in unbestimmtere Gcfühlsschwclgereien gelullt werden, welche die sittliche, reine Wirkung der herberen Kunst nicht aufkommen lassen. Mit dem Einwände, daß der Gesang als Gefühlsausdruck der Gesamtheit ja mir die Wirkung des Dichtwerkes bethätige, könnte man zu viel rechtfertigen. Die Leiter der Wormser Bestrebungen wollen das natürlich im Prinzip nicht; er¬ wartet Schön doch gerade von der herberen, dramatischen Kunst ohne die über¬ mäßige äußere Ausstattung der Bühne besonders gute und reinigende Wirkungen und will, daß der Stil und das Gefühl für Stil sich bilde durch den Zwang, nur durch das Poetische zu wirken. Aber kann der Stil des Schauspiels uicht auch durch Musik gefährdet werden, welche dem dichterischen Worte die höchste Wirkung abnimmt und bestrebt ist, wie eine übereifrige Hausfrau alles selbst zu verrichten, weil die andern es ihr doch nicht recht machen? Wo R. Wagner Pate gestanden hat, kommen einem solche Gedanken und Bedenken leicht, und wir mochten sie nicht unterdrücken. Daß aber die Förderung, welche das Volkstheater der dramatischen Dichtung bringen könnte, etwa von einem auf den Schild erhobenen Dichter ausgehen sollte, heiße er Herrig oder anders, das meinen die Wormser natürlich selbst nicht. Die Förderung soll eine sehr allmähliche, weil organische sein, und der Boden, auf dem sie sich vollzieht, und aus dem sie ihre Nahrung bekommt, das neu erweckte Juteresse des ganzen Volkes in allen seinen Schichten. Dann wird sich ganz von selbst der Stil einstellen, der schmerzlich vermißte, und mit ihm eine neue Blüte. Wann aber diese Zeit gekommen sein wird, wer will es sagen? An einzelne Namen wird sie sich allein nicht knüpfen, denn die Grund¬ bedingung ist eben das Volk, wenn es auch des Geistes eines großen Dichters bedarf, um und seinem Geiste ihn befruchtend das nationale Drama zu schaffen. Wohl uns, daß wir eine Nation geworden send! Die großen Dichter werden sich schon einstellen, und dann wird das wahrhaft deutsche Theater erstehen. Wen» uus eins an den Fortgang der Wormser Sache glauben läßt, so ist es das Arbeiten mit den vorhandenen Mitteln, das Anpassen an gegebene Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/397>, abgerufen am 22.07.2024.