Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Wormser Volkstheater.
von Richard xöbell. (Schluß.)

Ale Finanzfrage wird also beim Wormser Theater auf den
Geist der Leitung nicht einwirken. Der Zuschauer wird natür¬
lich seinen Platz auch hier bezahlen müssen; es wird ihm das
Eintrittsgeld nicht, wie in Athen, ersetzt oder, wie in unsern
Museen, erlassen werden, obschon es im Grunde gar nicht aber¬
witzig wäre, von der Bühne ein Gleiches zu begehren. Die Privattheater
müßten da freilich schwinden, das wäre aber kein Schade. Das Wormser
Theaterbillet wird übrigens leicht zu erschwingen sein, Überschüsse in der Ver¬
waltung sollen zum Teil gerade zur Verbilligung der Plätze verwandt werden,
und für das wenige Geld erhält man Plätze, von denen aus man wirklich sehen
kann -- das ist in den bestehenden Theatern nicht durchweg der Fall. Auch die
Anlage der Zuschauerplätze wird organisch von der leitenden Idee beeinflußt;
man sieht: überall ist es hier der Geist, der sich den Körper baut. Es ist eine
Freude, die saubern, der Schönschen Schrift beigegebenen Zeichnungen des
Charlottenburger Baumeisters O. March zu sehen. Da giebt es keinen "Olymp,"
auf dem die weniger zahlungsfähigen zur Vogelperspektive und zur Hitze ver¬
dammt sind. Die Bühne selbst soll den Anforderungen der Natur des gesprochenen
Schauspiels angepaßt werden, und man verzichtet deshalb auf die Oper, denn
ihre szenischen Bedürfnisse sind eben ganz andre. Die Oper war im siebzehnten
und achtzehnten Jahrhundert das Kunstwerk der Vornehmen, während das
Schauspiel oft in den Scheuern, wo auch die Gaukler spielten, eine Zufluchts¬
stätte suchen mußte. Nur für jene wurden die Theatergebäude errichtet, und als
der niedrigern Schwester der Zutritt zu den Prachträumen gestattet wurde, da
war schon alles fest, und es hätte ihr übel angestanden, für ihre Zwecke in der
Einrichtung etwas ändern zu wollen, obwohl das Bedürfnis schon früh em¬
pfunden wurde. Die prächtigen Koulissen waren ein Danaergeschenk, weil sie
Dichter und Schauspieler einschränkten und in Stücken mit häufigem Szenen¬
wechsel, wie in den Shakespeareschen, das Ganze in eine Menge von Teilen zer¬
hackten und so auch die Stimmung des Zuschauers schädigten; ein Übelstand,
den man nur meiden konnte, wenn man abkürzte und zusammenzog und so "aus
der romantischen Wildnis ein Kaffeegärtchen machte" (Grabbe).

Obschon diese und ähnliche Ausstellungen nicht neu sind, mußte das Schauspiel
doch bis heute auf den seiner Natur angemessenen Raum warten. Wie verschieden


Das Wormser Volkstheater.
von Richard xöbell. (Schluß.)

Ale Finanzfrage wird also beim Wormser Theater auf den
Geist der Leitung nicht einwirken. Der Zuschauer wird natür¬
lich seinen Platz auch hier bezahlen müssen; es wird ihm das
Eintrittsgeld nicht, wie in Athen, ersetzt oder, wie in unsern
Museen, erlassen werden, obschon es im Grunde gar nicht aber¬
witzig wäre, von der Bühne ein Gleiches zu begehren. Die Privattheater
müßten da freilich schwinden, das wäre aber kein Schade. Das Wormser
Theaterbillet wird übrigens leicht zu erschwingen sein, Überschüsse in der Ver¬
waltung sollen zum Teil gerade zur Verbilligung der Plätze verwandt werden,
und für das wenige Geld erhält man Plätze, von denen aus man wirklich sehen
kann — das ist in den bestehenden Theatern nicht durchweg der Fall. Auch die
Anlage der Zuschauerplätze wird organisch von der leitenden Idee beeinflußt;
man sieht: überall ist es hier der Geist, der sich den Körper baut. Es ist eine
Freude, die saubern, der Schönschen Schrift beigegebenen Zeichnungen des
Charlottenburger Baumeisters O. March zu sehen. Da giebt es keinen „Olymp,"
auf dem die weniger zahlungsfähigen zur Vogelperspektive und zur Hitze ver¬
dammt sind. Die Bühne selbst soll den Anforderungen der Natur des gesprochenen
Schauspiels angepaßt werden, und man verzichtet deshalb auf die Oper, denn
ihre szenischen Bedürfnisse sind eben ganz andre. Die Oper war im siebzehnten
und achtzehnten Jahrhundert das Kunstwerk der Vornehmen, während das
Schauspiel oft in den Scheuern, wo auch die Gaukler spielten, eine Zufluchts¬
stätte suchen mußte. Nur für jene wurden die Theatergebäude errichtet, und als
der niedrigern Schwester der Zutritt zu den Prachträumen gestattet wurde, da
war schon alles fest, und es hätte ihr übel angestanden, für ihre Zwecke in der
Einrichtung etwas ändern zu wollen, obwohl das Bedürfnis schon früh em¬
pfunden wurde. Die prächtigen Koulissen waren ein Danaergeschenk, weil sie
Dichter und Schauspieler einschränkten und in Stücken mit häufigem Szenen¬
wechsel, wie in den Shakespeareschen, das Ganze in eine Menge von Teilen zer¬
hackten und so auch die Stimmung des Zuschauers schädigten; ein Übelstand,
den man nur meiden konnte, wenn man abkürzte und zusammenzog und so „aus
der romantischen Wildnis ein Kaffeegärtchen machte" (Grabbe).

Obschon diese und ähnliche Ausstellungen nicht neu sind, mußte das Schauspiel
doch bis heute auf den seiner Natur angemessenen Raum warten. Wie verschieden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201818"/>
          <p xml:id="ID_908"> Das Wormser Volkstheater.<lb/><note type="byline"> von Richard xöbell.</note> (Schluß.) </p><lb/>
          <p xml:id="ID_909"> Ale Finanzfrage wird also beim Wormser Theater auf den<lb/>
Geist der Leitung nicht einwirken. Der Zuschauer wird natür¬<lb/>
lich seinen Platz auch hier bezahlen müssen; es wird ihm das<lb/>
Eintrittsgeld nicht, wie in Athen, ersetzt oder, wie in unsern<lb/>
Museen, erlassen werden, obschon es im Grunde gar nicht aber¬<lb/>
witzig wäre, von der Bühne ein Gleiches zu begehren. Die Privattheater<lb/>
müßten da freilich schwinden, das wäre aber kein Schade. Das Wormser<lb/>
Theaterbillet wird übrigens leicht zu erschwingen sein, Überschüsse in der Ver¬<lb/>
waltung sollen zum Teil gerade zur Verbilligung der Plätze verwandt werden,<lb/>
und für das wenige Geld erhält man Plätze, von denen aus man wirklich sehen<lb/>
kann &#x2014; das ist in den bestehenden Theatern nicht durchweg der Fall. Auch die<lb/>
Anlage der Zuschauerplätze wird organisch von der leitenden Idee beeinflußt;<lb/>
man sieht: überall ist es hier der Geist, der sich den Körper baut. Es ist eine<lb/>
Freude, die saubern, der Schönschen Schrift beigegebenen Zeichnungen des<lb/>
Charlottenburger Baumeisters O. March zu sehen. Da giebt es keinen &#x201E;Olymp,"<lb/>
auf dem die weniger zahlungsfähigen zur Vogelperspektive und zur Hitze ver¬<lb/>
dammt sind. Die Bühne selbst soll den Anforderungen der Natur des gesprochenen<lb/>
Schauspiels angepaßt werden, und man verzichtet deshalb auf die Oper, denn<lb/>
ihre szenischen Bedürfnisse sind eben ganz andre. Die Oper war im siebzehnten<lb/>
und achtzehnten Jahrhundert das Kunstwerk der Vornehmen, während das<lb/>
Schauspiel oft in den Scheuern, wo auch die Gaukler spielten, eine Zufluchts¬<lb/>
stätte suchen mußte. Nur für jene wurden die Theatergebäude errichtet, und als<lb/>
der niedrigern Schwester der Zutritt zu den Prachträumen gestattet wurde, da<lb/>
war schon alles fest, und es hätte ihr übel angestanden, für ihre Zwecke in der<lb/>
Einrichtung etwas ändern zu wollen, obwohl das Bedürfnis schon früh em¬<lb/>
pfunden wurde. Die prächtigen Koulissen waren ein Danaergeschenk, weil sie<lb/>
Dichter und Schauspieler einschränkten und in Stücken mit häufigem Szenen¬<lb/>
wechsel, wie in den Shakespeareschen, das Ganze in eine Menge von Teilen zer¬<lb/>
hackten und so auch die Stimmung des Zuschauers schädigten; ein Übelstand,<lb/>
den man nur meiden konnte, wenn man abkürzte und zusammenzog und so &#x201E;aus<lb/>
der romantischen Wildnis ein Kaffeegärtchen machte" (Grabbe).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_910" next="#ID_911"> Obschon diese und ähnliche Ausstellungen nicht neu sind, mußte das Schauspiel<lb/>
doch bis heute auf den seiner Natur angemessenen Raum warten. Wie verschieden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] Das Wormser Volkstheater. von Richard xöbell. (Schluß.) Ale Finanzfrage wird also beim Wormser Theater auf den Geist der Leitung nicht einwirken. Der Zuschauer wird natür¬ lich seinen Platz auch hier bezahlen müssen; es wird ihm das Eintrittsgeld nicht, wie in Athen, ersetzt oder, wie in unsern Museen, erlassen werden, obschon es im Grunde gar nicht aber¬ witzig wäre, von der Bühne ein Gleiches zu begehren. Die Privattheater müßten da freilich schwinden, das wäre aber kein Schade. Das Wormser Theaterbillet wird übrigens leicht zu erschwingen sein, Überschüsse in der Ver¬ waltung sollen zum Teil gerade zur Verbilligung der Plätze verwandt werden, und für das wenige Geld erhält man Plätze, von denen aus man wirklich sehen kann — das ist in den bestehenden Theatern nicht durchweg der Fall. Auch die Anlage der Zuschauerplätze wird organisch von der leitenden Idee beeinflußt; man sieht: überall ist es hier der Geist, der sich den Körper baut. Es ist eine Freude, die saubern, der Schönschen Schrift beigegebenen Zeichnungen des Charlottenburger Baumeisters O. March zu sehen. Da giebt es keinen „Olymp," auf dem die weniger zahlungsfähigen zur Vogelperspektive und zur Hitze ver¬ dammt sind. Die Bühne selbst soll den Anforderungen der Natur des gesprochenen Schauspiels angepaßt werden, und man verzichtet deshalb auf die Oper, denn ihre szenischen Bedürfnisse sind eben ganz andre. Die Oper war im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert das Kunstwerk der Vornehmen, während das Schauspiel oft in den Scheuern, wo auch die Gaukler spielten, eine Zufluchts¬ stätte suchen mußte. Nur für jene wurden die Theatergebäude errichtet, und als der niedrigern Schwester der Zutritt zu den Prachträumen gestattet wurde, da war schon alles fest, und es hätte ihr übel angestanden, für ihre Zwecke in der Einrichtung etwas ändern zu wollen, obwohl das Bedürfnis schon früh em¬ pfunden wurde. Die prächtigen Koulissen waren ein Danaergeschenk, weil sie Dichter und Schauspieler einschränkten und in Stücken mit häufigem Szenen¬ wechsel, wie in den Shakespeareschen, das Ganze in eine Menge von Teilen zer¬ hackten und so auch die Stimmung des Zuschauers schädigten; ein Übelstand, den man nur meiden konnte, wenn man abkürzte und zusammenzog und so „aus der romantischen Wildnis ein Kaffeegärtchen machte" (Grabbe). Obschon diese und ähnliche Ausstellungen nicht neu sind, mußte das Schauspiel doch bis heute auf den seiner Natur angemessenen Raum warten. Wie verschieden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/389>, abgerufen am 22.07.2024.