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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

unter die Fahnen muß, rücksichtslos und unerbittlich. Einstimmig ist das Urteil
über die Bravheit und Tüchtigkeit des türkischen Soldaten, der ja auch in dem
letzten Kriege glänzende Beweise seiner militärischen Tugenden geliefert hat. Er
ist zufrieden mit einer bescheidnen Nahrung, Sold erhält er so gut wie nie,
und auch die Offiziere darben so lange, als es ertragen werden kann, und das
reicht bei der geduldigen und phlegmatischen Natur des Orientalen eine geraume
Zeit. Ihnen ist aber der Dienst nicht bloß ein Opfer für das Vaterland und
den Monarchen, sondern gleichzeitig die Erfüllung einer religiösen Pflicht, und
im Kampfe gegen die Ungläubigen fallen, heißt sich einen Platz im Paradiese
erwerben. Fehlt nun auch den Truppen jene Strammheit und Disziplin, wie
sie die Grundpfeiler des preußisch-deutschen Heeres sind, entbehrt auch das
Offizierkorps jenes Ehrgefühls, welches bei uns diesen Stand so auszeichnet,
und besteht auch nicht die Wechselwirkung zwischen Volk und Armee, die bei
uns beide fast zu einer Einheit verschmilzt, so ist doch das türkische Heer achtung¬
gebietend genug, um für die deutschen Offiziere ein willkommenes Versuchsfeld
für ihre Reformen zu bilden. Jedenfalls ist die türkische Armee eines bessern
Lohnes wert, als sie unter der türkischen Verwaltung genießt, und es ist das
Streben Abdul Hamids, ihr jene Besserung zu verschaffen, welche Preußen und
Deutschland groß und mächtig gemacht hat -- ein Streben, das sich zur Zeit
freilich in den ersten Versuchen befindet und dem Alttürkentume gegenüber sich
noch zu behaupten haben wird.

In Konstantinopel selbst steht eine sehr ansehnliche Truppcnmacht, wenn
auch ihre Zahl dem Seraskierat nicht immer bekannt sein mag. Auf den
Straßen wimmelt es von Offizieren und Soldaten, in den Kasernenhöfen Hort
man unausgesetzt Trompetensignale und Exerzitien, aber zu Gesicht bekommt
man einen Teil dieser Truppen nur am Freitag, wenn der Sultan bei dem
sogenannten Selamlik sich von seinem Palaste zur Moschee begiebt. Der Freitag
ist der türkische Ruhe- und Festtag, und an diesem muß der Khalif, soll er nicht
an seiner religiösen Würde Einbuße erleiden, ein Gebet öffentlich in einer
Moschee verrichten. Die frühern Sultane wechselten mit dem Besuche der
Moscheen, und benutzten die Gelegenheit, sich ihrem Volke zu zeigen, das sonst
den Herrscher der Gläubigen nicht zu Gesicht bekommt. Der gegenwärtige
Sultan, auf den das tragische Ende des ermordeten Abdul Aziz einen tiefen
Eindruck gemacht hat und der auch noch in dem entthronten Murad einen
Nebenbuhler fürchtet, vermeidet es, in die große Öffentlichkeit zu treten. Er
benutzt für seine Freitagsandachten die Moschee am Tschiragan, die Medschidje,
welche sich nur wenige Schritte von dem Garteneingange seines Kioskes befindet.
Dorthin nahm mich am gestrigen Freitag einer unsrer liebenswürdigen, jetzt in
türkischen Diensten befindlichen Landsleute mit. Er stellte mich einem Adju¬
tanten des Sultans vor, und dieser, dem ich meine Visitenkarte -- ich weiß
nicht, zu welchem Zwecke -- einhändigen mußte, führte mich in die Hauptwache


Line Fahrt in den Grient.

unter die Fahnen muß, rücksichtslos und unerbittlich. Einstimmig ist das Urteil
über die Bravheit und Tüchtigkeit des türkischen Soldaten, der ja auch in dem
letzten Kriege glänzende Beweise seiner militärischen Tugenden geliefert hat. Er
ist zufrieden mit einer bescheidnen Nahrung, Sold erhält er so gut wie nie,
und auch die Offiziere darben so lange, als es ertragen werden kann, und das
reicht bei der geduldigen und phlegmatischen Natur des Orientalen eine geraume
Zeit. Ihnen ist aber der Dienst nicht bloß ein Opfer für das Vaterland und
den Monarchen, sondern gleichzeitig die Erfüllung einer religiösen Pflicht, und
im Kampfe gegen die Ungläubigen fallen, heißt sich einen Platz im Paradiese
erwerben. Fehlt nun auch den Truppen jene Strammheit und Disziplin, wie
sie die Grundpfeiler des preußisch-deutschen Heeres sind, entbehrt auch das
Offizierkorps jenes Ehrgefühls, welches bei uns diesen Stand so auszeichnet,
und besteht auch nicht die Wechselwirkung zwischen Volk und Armee, die bei
uns beide fast zu einer Einheit verschmilzt, so ist doch das türkische Heer achtung¬
gebietend genug, um für die deutschen Offiziere ein willkommenes Versuchsfeld
für ihre Reformen zu bilden. Jedenfalls ist die türkische Armee eines bessern
Lohnes wert, als sie unter der türkischen Verwaltung genießt, und es ist das
Streben Abdul Hamids, ihr jene Besserung zu verschaffen, welche Preußen und
Deutschland groß und mächtig gemacht hat — ein Streben, das sich zur Zeit
freilich in den ersten Versuchen befindet und dem Alttürkentume gegenüber sich
noch zu behaupten haben wird.

In Konstantinopel selbst steht eine sehr ansehnliche Truppcnmacht, wenn
auch ihre Zahl dem Seraskierat nicht immer bekannt sein mag. Auf den
Straßen wimmelt es von Offizieren und Soldaten, in den Kasernenhöfen Hort
man unausgesetzt Trompetensignale und Exerzitien, aber zu Gesicht bekommt
man einen Teil dieser Truppen nur am Freitag, wenn der Sultan bei dem
sogenannten Selamlik sich von seinem Palaste zur Moschee begiebt. Der Freitag
ist der türkische Ruhe- und Festtag, und an diesem muß der Khalif, soll er nicht
an seiner religiösen Würde Einbuße erleiden, ein Gebet öffentlich in einer
Moschee verrichten. Die frühern Sultane wechselten mit dem Besuche der
Moscheen, und benutzten die Gelegenheit, sich ihrem Volke zu zeigen, das sonst
den Herrscher der Gläubigen nicht zu Gesicht bekommt. Der gegenwärtige
Sultan, auf den das tragische Ende des ermordeten Abdul Aziz einen tiefen
Eindruck gemacht hat und der auch noch in dem entthronten Murad einen
Nebenbuhler fürchtet, vermeidet es, in die große Öffentlichkeit zu treten. Er
benutzt für seine Freitagsandachten die Moschee am Tschiragan, die Medschidje,
welche sich nur wenige Schritte von dem Garteneingange seines Kioskes befindet.
Dorthin nahm mich am gestrigen Freitag einer unsrer liebenswürdigen, jetzt in
türkischen Diensten befindlichen Landsleute mit. Er stellte mich einem Adju¬
tanten des Sultans vor, und dieser, dem ich meine Visitenkarte — ich weiß
nicht, zu welchem Zwecke — einhändigen mußte, führte mich in die Hauptwache


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[0354] Line Fahrt in den Grient. unter die Fahnen muß, rücksichtslos und unerbittlich. Einstimmig ist das Urteil über die Bravheit und Tüchtigkeit des türkischen Soldaten, der ja auch in dem letzten Kriege glänzende Beweise seiner militärischen Tugenden geliefert hat. Er ist zufrieden mit einer bescheidnen Nahrung, Sold erhält er so gut wie nie, und auch die Offiziere darben so lange, als es ertragen werden kann, und das reicht bei der geduldigen und phlegmatischen Natur des Orientalen eine geraume Zeit. Ihnen ist aber der Dienst nicht bloß ein Opfer für das Vaterland und den Monarchen, sondern gleichzeitig die Erfüllung einer religiösen Pflicht, und im Kampfe gegen die Ungläubigen fallen, heißt sich einen Platz im Paradiese erwerben. Fehlt nun auch den Truppen jene Strammheit und Disziplin, wie sie die Grundpfeiler des preußisch-deutschen Heeres sind, entbehrt auch das Offizierkorps jenes Ehrgefühls, welches bei uns diesen Stand so auszeichnet, und besteht auch nicht die Wechselwirkung zwischen Volk und Armee, die bei uns beide fast zu einer Einheit verschmilzt, so ist doch das türkische Heer achtung¬ gebietend genug, um für die deutschen Offiziere ein willkommenes Versuchsfeld für ihre Reformen zu bilden. Jedenfalls ist die türkische Armee eines bessern Lohnes wert, als sie unter der türkischen Verwaltung genießt, und es ist das Streben Abdul Hamids, ihr jene Besserung zu verschaffen, welche Preußen und Deutschland groß und mächtig gemacht hat — ein Streben, das sich zur Zeit freilich in den ersten Versuchen befindet und dem Alttürkentume gegenüber sich noch zu behaupten haben wird. In Konstantinopel selbst steht eine sehr ansehnliche Truppcnmacht, wenn auch ihre Zahl dem Seraskierat nicht immer bekannt sein mag. Auf den Straßen wimmelt es von Offizieren und Soldaten, in den Kasernenhöfen Hort man unausgesetzt Trompetensignale und Exerzitien, aber zu Gesicht bekommt man einen Teil dieser Truppen nur am Freitag, wenn der Sultan bei dem sogenannten Selamlik sich von seinem Palaste zur Moschee begiebt. Der Freitag ist der türkische Ruhe- und Festtag, und an diesem muß der Khalif, soll er nicht an seiner religiösen Würde Einbuße erleiden, ein Gebet öffentlich in einer Moschee verrichten. Die frühern Sultane wechselten mit dem Besuche der Moscheen, und benutzten die Gelegenheit, sich ihrem Volke zu zeigen, das sonst den Herrscher der Gläubigen nicht zu Gesicht bekommt. Der gegenwärtige Sultan, auf den das tragische Ende des ermordeten Abdul Aziz einen tiefen Eindruck gemacht hat und der auch noch in dem entthronten Murad einen Nebenbuhler fürchtet, vermeidet es, in die große Öffentlichkeit zu treten. Er benutzt für seine Freitagsandachten die Moschee am Tschiragan, die Medschidje, welche sich nur wenige Schritte von dem Garteneingange seines Kioskes befindet. Dorthin nahm mich am gestrigen Freitag einer unsrer liebenswürdigen, jetzt in türkischen Diensten befindlichen Landsleute mit. Er stellte mich einem Adju¬ tanten des Sultans vor, und dieser, dem ich meine Visitenkarte — ich weiß nicht, zu welchem Zwecke — einhändigen mußte, führte mich in die Hauptwache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/354>, abgerufen am 25.08.2024.