Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aussteuerversicherung.

aber den EinWurf machen, daß die Sparkasse nur Beträge bis zu einer be¬
stimmten Höhe annimmt, so hindert erstens nichts, sein Geld bei mehreren
Sparkassen niederzulegen, zweitens, es zum Ankauf von Staatspapieren zu ver¬
wenden. Im allgemeinen wird man auf dem letzteren Wege eine höhere Ver¬
zinsung seiner Ersparnisse erzielen als durch die Aussteuerversichcrung.

Auf alle Fälle ist den Versicherungsgesellschaften gegenüber große Vorsicht
und genaue Erkundigung über sämtliche Versicherungsbedingungen geboten.
Nicht daß ich überhaupt ein Gegner der Aussteuerversicherung wäre. Keines¬
wegs. Die höhere Verzinsung, die sie bei vernünftiger Handhabung gewähren
kann, ist gewiß ein Vorzug, und der Zwang, den sie zum Sparen auferlegt,
ist als erzieherischer Umstand nicht zu unterschätzen. Aber so lange die Ver¬
sicherungsgesellschaften die Aussteuerversicherung in erster Linie als ergiebige
Geldquelle für Agenten, Direktoren und Aktionäre betrachten, so lange sie fort¬
fahren, vorzugsweise aus dem Unglück und der Bedrängnis andrer Nutzen zu
ziehen, so lange möchte ich euch, die ihr die Zukunft eurer Kinder begründen
wollt, zurufen: Haltet euch lieber an die Sparkasse! Habt ihr den ernsten
Willen, für eure Söhne und Töchter Ersparnisse zurückzulegen, so werdet ihr
es thun auch ohne den äußerlichen Zwang der Aussteuerversicherung, zumal
wenn euer Sparen planmäßig erfolgt und ihr ein bestimmtes Ziel im Auge habt.

Und glaubt nur, völlige Sicherheit für die Fortsetzung euers Sparsystems
gewährt euch der Versicherungsschein anch nicht. Viele sind berufen, aber wenige
sind auserwählt. Vou den Versicherungen, die in einem Jahre abgeschlossen
werden, erlischt erfahrungsgemäß stets der größte Theil im Laufe der Jahre
vor Ablauf der Versicherung, weil die wenigsten fortdauernd imstande sind, die
Einbuße an ihrem Einkommen zu tragen, die durch die Prämienzahlung entsteht.

Zudem lassen sich die Versicherungsgesellschaften zu einer verhängnisvollen
Kulanz herbei. Sie gewähren auf die Versicherung hin Darlehen bis zur
Höhe von drei Vierteln der eingezahlten Prämien und darüber. So geschieht
es nicht selten, daß der Vater zu dem Zeitpunkte, wo er seinem Kinde eine
Aussteuer geben möchte, nicht viel mehr als ein Viertel der ursprünglich an¬
gelegten Summe zurückerhält. Hier bieten zwar die Sparkassen keine größere
Gewähr, denn auch sie zahlen zu jedem Zeitpunkte die Einlagen bereitwillig
zurück. Indes besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Die Sparkassen zahlen
zurück, was man ihnen gegeben hat, und fügen zu dieser Summe die üblichen
Zinsen hinzu. Die Versicherungsgesellschaften jedoch, welche die Einlagen mit
31/4 Prozent verzinsen, gewähren von diesen selben Einlagen, also vom Gelde
der Leidenden, Darlehen, für die sie sich 5 Prozent Zinsen zahlen lassen!
Durch die Hin- und Wiedergabe erleiden die Versichernden also eine Einbuße
von Prozent in jedem Jahre. Wenn man sich durchaus von seinem eignen
Gelde etwas leihen will, so erscheint es uns doch vorteilhafter, dieses ohne
Vermittlung eines guten Freundes zu thun, der dafür eine Provision verlangt.




Die Aussteuerversicherung.

aber den EinWurf machen, daß die Sparkasse nur Beträge bis zu einer be¬
stimmten Höhe annimmt, so hindert erstens nichts, sein Geld bei mehreren
Sparkassen niederzulegen, zweitens, es zum Ankauf von Staatspapieren zu ver¬
wenden. Im allgemeinen wird man auf dem letzteren Wege eine höhere Ver¬
zinsung seiner Ersparnisse erzielen als durch die Aussteuerversichcrung.

Auf alle Fälle ist den Versicherungsgesellschaften gegenüber große Vorsicht
und genaue Erkundigung über sämtliche Versicherungsbedingungen geboten.
Nicht daß ich überhaupt ein Gegner der Aussteuerversicherung wäre. Keines¬
wegs. Die höhere Verzinsung, die sie bei vernünftiger Handhabung gewähren
kann, ist gewiß ein Vorzug, und der Zwang, den sie zum Sparen auferlegt,
ist als erzieherischer Umstand nicht zu unterschätzen. Aber so lange die Ver¬
sicherungsgesellschaften die Aussteuerversicherung in erster Linie als ergiebige
Geldquelle für Agenten, Direktoren und Aktionäre betrachten, so lange sie fort¬
fahren, vorzugsweise aus dem Unglück und der Bedrängnis andrer Nutzen zu
ziehen, so lange möchte ich euch, die ihr die Zukunft eurer Kinder begründen
wollt, zurufen: Haltet euch lieber an die Sparkasse! Habt ihr den ernsten
Willen, für eure Söhne und Töchter Ersparnisse zurückzulegen, so werdet ihr
es thun auch ohne den äußerlichen Zwang der Aussteuerversicherung, zumal
wenn euer Sparen planmäßig erfolgt und ihr ein bestimmtes Ziel im Auge habt.

Und glaubt nur, völlige Sicherheit für die Fortsetzung euers Sparsystems
gewährt euch der Versicherungsschein anch nicht. Viele sind berufen, aber wenige
sind auserwählt. Vou den Versicherungen, die in einem Jahre abgeschlossen
werden, erlischt erfahrungsgemäß stets der größte Theil im Laufe der Jahre
vor Ablauf der Versicherung, weil die wenigsten fortdauernd imstande sind, die
Einbuße an ihrem Einkommen zu tragen, die durch die Prämienzahlung entsteht.

Zudem lassen sich die Versicherungsgesellschaften zu einer verhängnisvollen
Kulanz herbei. Sie gewähren auf die Versicherung hin Darlehen bis zur
Höhe von drei Vierteln der eingezahlten Prämien und darüber. So geschieht
es nicht selten, daß der Vater zu dem Zeitpunkte, wo er seinem Kinde eine
Aussteuer geben möchte, nicht viel mehr als ein Viertel der ursprünglich an¬
gelegten Summe zurückerhält. Hier bieten zwar die Sparkassen keine größere
Gewähr, denn auch sie zahlen zu jedem Zeitpunkte die Einlagen bereitwillig
zurück. Indes besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Die Sparkassen zahlen
zurück, was man ihnen gegeben hat, und fügen zu dieser Summe die üblichen
Zinsen hinzu. Die Versicherungsgesellschaften jedoch, welche die Einlagen mit
31/4 Prozent verzinsen, gewähren von diesen selben Einlagen, also vom Gelde
der Leidenden, Darlehen, für die sie sich 5 Prozent Zinsen zahlen lassen!
Durch die Hin- und Wiedergabe erleiden die Versichernden also eine Einbuße
von Prozent in jedem Jahre. Wenn man sich durchaus von seinem eignen
Gelde etwas leihen will, so erscheint es uns doch vorteilhafter, dieses ohne
Vermittlung eines guten Freundes zu thun, der dafür eine Provision verlangt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201781"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aussteuerversicherung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> aber den EinWurf machen, daß die Sparkasse nur Beträge bis zu einer be¬<lb/>
stimmten Höhe annimmt, so hindert erstens nichts, sein Geld bei mehreren<lb/>
Sparkassen niederzulegen, zweitens, es zum Ankauf von Staatspapieren zu ver¬<lb/>
wenden. Im allgemeinen wird man auf dem letzteren Wege eine höhere Ver¬<lb/>
zinsung seiner Ersparnisse erzielen als durch die Aussteuerversichcrung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_826"> Auf alle Fälle ist den Versicherungsgesellschaften gegenüber große Vorsicht<lb/>
und genaue Erkundigung über sämtliche Versicherungsbedingungen geboten.<lb/>
Nicht daß ich überhaupt ein Gegner der Aussteuerversicherung wäre. Keines¬<lb/>
wegs. Die höhere Verzinsung, die sie bei vernünftiger Handhabung gewähren<lb/>
kann, ist gewiß ein Vorzug, und der Zwang, den sie zum Sparen auferlegt,<lb/>
ist als erzieherischer Umstand nicht zu unterschätzen. Aber so lange die Ver¬<lb/>
sicherungsgesellschaften die Aussteuerversicherung in erster Linie als ergiebige<lb/>
Geldquelle für Agenten, Direktoren und Aktionäre betrachten, so lange sie fort¬<lb/>
fahren, vorzugsweise aus dem Unglück und der Bedrängnis andrer Nutzen zu<lb/>
ziehen, so lange möchte ich euch, die ihr die Zukunft eurer Kinder begründen<lb/>
wollt, zurufen: Haltet euch lieber an die Sparkasse! Habt ihr den ernsten<lb/>
Willen, für eure Söhne und Töchter Ersparnisse zurückzulegen, so werdet ihr<lb/>
es thun auch ohne den äußerlichen Zwang der Aussteuerversicherung, zumal<lb/>
wenn euer Sparen planmäßig erfolgt und ihr ein bestimmtes Ziel im Auge habt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827"> Und glaubt nur, völlige Sicherheit für die Fortsetzung euers Sparsystems<lb/>
gewährt euch der Versicherungsschein anch nicht. Viele sind berufen, aber wenige<lb/>
sind auserwählt. Vou den Versicherungen, die in einem Jahre abgeschlossen<lb/>
werden, erlischt erfahrungsgemäß stets der größte Theil im Laufe der Jahre<lb/>
vor Ablauf der Versicherung, weil die wenigsten fortdauernd imstande sind, die<lb/>
Einbuße an ihrem Einkommen zu tragen, die durch die Prämienzahlung entsteht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_828"> Zudem lassen sich die Versicherungsgesellschaften zu einer verhängnisvollen<lb/>
Kulanz herbei. Sie gewähren auf die Versicherung hin Darlehen bis zur<lb/>
Höhe von drei Vierteln der eingezahlten Prämien und darüber. So geschieht<lb/>
es nicht selten, daß der Vater zu dem Zeitpunkte, wo er seinem Kinde eine<lb/>
Aussteuer geben möchte, nicht viel mehr als ein Viertel der ursprünglich an¬<lb/>
gelegten Summe zurückerhält. Hier bieten zwar die Sparkassen keine größere<lb/>
Gewähr, denn auch sie zahlen zu jedem Zeitpunkte die Einlagen bereitwillig<lb/>
zurück. Indes besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Die Sparkassen zahlen<lb/>
zurück, was man ihnen gegeben hat, und fügen zu dieser Summe die üblichen<lb/>
Zinsen hinzu. Die Versicherungsgesellschaften jedoch, welche die Einlagen mit<lb/>
31/4 Prozent verzinsen, gewähren von diesen selben Einlagen, also vom Gelde<lb/>
der Leidenden, Darlehen, für die sie sich 5 Prozent Zinsen zahlen lassen!<lb/>
Durch die Hin- und Wiedergabe erleiden die Versichernden also eine Einbuße<lb/>
von Prozent in jedem Jahre. Wenn man sich durchaus von seinem eignen<lb/>
Gelde etwas leihen will, so erscheint es uns doch vorteilhafter, dieses ohne<lb/>
Vermittlung eines guten Freundes zu thun, der dafür eine Provision verlangt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] Die Aussteuerversicherung. aber den EinWurf machen, daß die Sparkasse nur Beträge bis zu einer be¬ stimmten Höhe annimmt, so hindert erstens nichts, sein Geld bei mehreren Sparkassen niederzulegen, zweitens, es zum Ankauf von Staatspapieren zu ver¬ wenden. Im allgemeinen wird man auf dem letzteren Wege eine höhere Ver¬ zinsung seiner Ersparnisse erzielen als durch die Aussteuerversichcrung. Auf alle Fälle ist den Versicherungsgesellschaften gegenüber große Vorsicht und genaue Erkundigung über sämtliche Versicherungsbedingungen geboten. Nicht daß ich überhaupt ein Gegner der Aussteuerversicherung wäre. Keines¬ wegs. Die höhere Verzinsung, die sie bei vernünftiger Handhabung gewähren kann, ist gewiß ein Vorzug, und der Zwang, den sie zum Sparen auferlegt, ist als erzieherischer Umstand nicht zu unterschätzen. Aber so lange die Ver¬ sicherungsgesellschaften die Aussteuerversicherung in erster Linie als ergiebige Geldquelle für Agenten, Direktoren und Aktionäre betrachten, so lange sie fort¬ fahren, vorzugsweise aus dem Unglück und der Bedrängnis andrer Nutzen zu ziehen, so lange möchte ich euch, die ihr die Zukunft eurer Kinder begründen wollt, zurufen: Haltet euch lieber an die Sparkasse! Habt ihr den ernsten Willen, für eure Söhne und Töchter Ersparnisse zurückzulegen, so werdet ihr es thun auch ohne den äußerlichen Zwang der Aussteuerversicherung, zumal wenn euer Sparen planmäßig erfolgt und ihr ein bestimmtes Ziel im Auge habt. Und glaubt nur, völlige Sicherheit für die Fortsetzung euers Sparsystems gewährt euch der Versicherungsschein anch nicht. Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Vou den Versicherungen, die in einem Jahre abgeschlossen werden, erlischt erfahrungsgemäß stets der größte Theil im Laufe der Jahre vor Ablauf der Versicherung, weil die wenigsten fortdauernd imstande sind, die Einbuße an ihrem Einkommen zu tragen, die durch die Prämienzahlung entsteht. Zudem lassen sich die Versicherungsgesellschaften zu einer verhängnisvollen Kulanz herbei. Sie gewähren auf die Versicherung hin Darlehen bis zur Höhe von drei Vierteln der eingezahlten Prämien und darüber. So geschieht es nicht selten, daß der Vater zu dem Zeitpunkte, wo er seinem Kinde eine Aussteuer geben möchte, nicht viel mehr als ein Viertel der ursprünglich an¬ gelegten Summe zurückerhält. Hier bieten zwar die Sparkassen keine größere Gewähr, denn auch sie zahlen zu jedem Zeitpunkte die Einlagen bereitwillig zurück. Indes besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Die Sparkassen zahlen zurück, was man ihnen gegeben hat, und fügen zu dieser Summe die üblichen Zinsen hinzu. Die Versicherungsgesellschaften jedoch, welche die Einlagen mit 31/4 Prozent verzinsen, gewähren von diesen selben Einlagen, also vom Gelde der Leidenden, Darlehen, für die sie sich 5 Prozent Zinsen zahlen lassen! Durch die Hin- und Wiedergabe erleiden die Versichernden also eine Einbuße von Prozent in jedem Jahre. Wenn man sich durchaus von seinem eignen Gelde etwas leihen will, so erscheint es uns doch vorteilhafter, dieses ohne Vermittlung eines guten Freundes zu thun, der dafür eine Provision verlangt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/352>, abgerufen am 22.07.2024.