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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssesston.

Auch die Freisinnigen stimmten mit ein in den ultramontanen Klagegesang
über die Erweiterung der Macht des Staates. Es war rührend, wie die
Volkszeitung für die Stärkung der klerikalen und päpstlichen Macht in die
Schranken trat. Indessen, die Freisinnigen langten auch nach einer andern
Seite aus, indem sie den Nationalliberalen schöne, zärtliche Worte ins Ohr
bliesen. Nach Miquels erster Rede über die Reichseinkommensteuer, in welcher
er damit einen Fehler gemacht hatte, daß er dem freisinnigen Projekte viel zu
viel Ehre anthat, indem er es ernst nahm, schrieb Hänels Blatt, die Kieler
Zeitung: "Das Finanzprogramm Miquels verdient ohne Zweifel eine vor¬
urteilsfreie Erörterung. Es ist nicht ganz das unsrige, aber es steht uns viel
näher als das der Konservativen und Agrarier." Herr Hänel fand überhaupt,
daß die Freisinnigen den Nationalliberalen viel näher stünden als ihren bis¬
herigen Freunden, den Ultramontanen, natürlich, da ihm ein Ministerium
Bennigsen-Miqnel "mir eine Frage der Zeit zu sein schien," das dann "der
äußersten Rechten einfach auf Gnade und Ungnade überliefert sein würde, wenn
es sich nicht auch noch auf einen außerhalb der nationalliberale" Partei
stehenden unabhängigen linken Flügel stützen könnte." So außerordentlich be¬
sorgt war das Organ Herrn Hänels für den Bestand des zukünftigen Mini¬
steriums, das sich auf den "linken Flügel stützen" soll. Mit den Ultramontanen
ist es nichts gewesen; sie haben zu den zweiunddreißig Mann vom Fortschritt,
von denen siebzehn durch Mithilfe der Sozialdemokraten durchgebracht wurden,
allerdings noch etliche liefern helfen, wie z. B. den tapfern Bamberger; aber
der gute Deutsche will doch schließlich von der schwarzroten Verbrüderung zu
wenig wissen, als daß man das Spiel fortzusetzen wagen könnte. Aber die
Nationalliberalen, vielleicht gehen sie wieder, wie zu Lasters Zeiten, auf den Leim!

"Wir haben schon früher ausgeführt -- schrieb das Organ des Herrn
Hänel , daß die nationalliberalen Parteiführer auch ihren Blick in die Zu¬
kunft gerichtet halten werden." Bei diesem Blick in die Zukunft wird man den
Vertreter der "großen liberalen Partei" schon verstehen, wenn er prophezeit,
"daß die Bahnen für eine maßvolle liberale Politik in absehbarer Zeit wieder
frei werden können." Herr Hänel hält gewiß seine Politik, wie sie sich z. B.
bei der Frage über den zweiten Direktor im auswärtigen Amte und bei der
Pvlendebatte gezeigt, für ebenso "maßvoll" als "wirklich liberal." Und so
wurde denn jede Gelegenheit benutzt, um sich an die früher so sehr verhöhnten
und verworfenen Nationalliberalen heranzuschlängeln. Der Großherzog von
Hessen hatte einem nationalliberalen Wahlausschuß auf die Meldung von
günstigem Ausfall der Wahlen zurücktelegraphirt: "Freue mich, daß ihre Be¬
mühungen mit Erfolg gekrönt, . . . jetzt gilt es, sich wieder mit den Wählern
der andern Parteien zu versöhnen." Den letzten Satz druckt die Kieler Zeitung
eiligst mit fetten Buchstaben nach. Vor einem Monat hatte die Volkszeitung,
die schöne Schwester der Kielerin, den Nationalliberalen die Aussicht gemacht,


Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssesston.

Auch die Freisinnigen stimmten mit ein in den ultramontanen Klagegesang
über die Erweiterung der Macht des Staates. Es war rührend, wie die
Volkszeitung für die Stärkung der klerikalen und päpstlichen Macht in die
Schranken trat. Indessen, die Freisinnigen langten auch nach einer andern
Seite aus, indem sie den Nationalliberalen schöne, zärtliche Worte ins Ohr
bliesen. Nach Miquels erster Rede über die Reichseinkommensteuer, in welcher
er damit einen Fehler gemacht hatte, daß er dem freisinnigen Projekte viel zu
viel Ehre anthat, indem er es ernst nahm, schrieb Hänels Blatt, die Kieler
Zeitung: „Das Finanzprogramm Miquels verdient ohne Zweifel eine vor¬
urteilsfreie Erörterung. Es ist nicht ganz das unsrige, aber es steht uns viel
näher als das der Konservativen und Agrarier." Herr Hänel fand überhaupt,
daß die Freisinnigen den Nationalliberalen viel näher stünden als ihren bis¬
herigen Freunden, den Ultramontanen, natürlich, da ihm ein Ministerium
Bennigsen-Miqnel „mir eine Frage der Zeit zu sein schien," das dann „der
äußersten Rechten einfach auf Gnade und Ungnade überliefert sein würde, wenn
es sich nicht auch noch auf einen außerhalb der nationalliberale» Partei
stehenden unabhängigen linken Flügel stützen könnte." So außerordentlich be¬
sorgt war das Organ Herrn Hänels für den Bestand des zukünftigen Mini¬
steriums, das sich auf den „linken Flügel stützen" soll. Mit den Ultramontanen
ist es nichts gewesen; sie haben zu den zweiunddreißig Mann vom Fortschritt,
von denen siebzehn durch Mithilfe der Sozialdemokraten durchgebracht wurden,
allerdings noch etliche liefern helfen, wie z. B. den tapfern Bamberger; aber
der gute Deutsche will doch schließlich von der schwarzroten Verbrüderung zu
wenig wissen, als daß man das Spiel fortzusetzen wagen könnte. Aber die
Nationalliberalen, vielleicht gehen sie wieder, wie zu Lasters Zeiten, auf den Leim!

„Wir haben schon früher ausgeführt — schrieb das Organ des Herrn
Hänel , daß die nationalliberalen Parteiführer auch ihren Blick in die Zu¬
kunft gerichtet halten werden." Bei diesem Blick in die Zukunft wird man den
Vertreter der „großen liberalen Partei" schon verstehen, wenn er prophezeit,
"daß die Bahnen für eine maßvolle liberale Politik in absehbarer Zeit wieder
frei werden können." Herr Hänel hält gewiß seine Politik, wie sie sich z. B.
bei der Frage über den zweiten Direktor im auswärtigen Amte und bei der
Pvlendebatte gezeigt, für ebenso „maßvoll" als „wirklich liberal." Und so
wurde denn jede Gelegenheit benutzt, um sich an die früher so sehr verhöhnten
und verworfenen Nationalliberalen heranzuschlängeln. Der Großherzog von
Hessen hatte einem nationalliberalen Wahlausschuß auf die Meldung von
günstigem Ausfall der Wahlen zurücktelegraphirt: „Freue mich, daß ihre Be¬
mühungen mit Erfolg gekrönt, . . . jetzt gilt es, sich wieder mit den Wählern
der andern Parteien zu versöhnen." Den letzten Satz druckt die Kieler Zeitung
eiligst mit fetten Buchstaben nach. Vor einem Monat hatte die Volkszeitung,
die schöne Schwester der Kielerin, den Nationalliberalen die Aussicht gemacht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/307>, abgerufen am 22.07.2024.