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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Neue Dramen.

Schlüsse, der gar nicht zur tragischen Anlage der ganzen vorhergehenden Hand¬
lung passen will. Es ist eines jeuer Dramen, worin die Menschen im Edelmut
sich überbieten, indes zugleich andre Figuren ungewöhnliche Bosheit offenbaren.
Was dem Stücke Herrigs im Übermaß eigen ist: die symbolische Vvrbildlichkeit
der Handlung, das fehlt dem Stücke Linggs: die große, allgemein menschliche
Idee, es ist nnr historischer und historisch-allegorischer Stoff. Auch fehlt es
seiner Handlang an der strengen Einheit, an einer vergleichsfreien Mittelfigur,
die zwei neben einander hergehenden Handlungen sind nur äußerlich verknüpft.
Das Augenmerk des Dichters war nicht auf die künstlerisch liebevolle Aus¬
führung und Gestaltung der Charaktere gerichtet, deshalb interessirt man sich
auch nicht menschlich für die Personen als solche, sondern bloß für die Lösung
der Verwicklung. Das geschichtliche Kolorit hätte von vorteilhafterer Wirkung
für die Stimmung des Ganzen werden können, aber es ist nicht angestrebt
worden. Die Hauptgestalten sind eine Frau von der Art der Orsina oder der
Lady Milford: eine kriegerische Amazone, eine gewissenlose Abenteurerin, welche
das "Soldatenglück," die Mühe des dreißigjährigen Krieges gewissermaßen ver¬
körpern soll; sodann der schwedische General Wrangel, der in Deutschland Krieg
führt, um sich selbst zu bereichern, und vorgiebt, es für die Protestanten zu
thun; sein Sohn Reinhold, ein Abkömmling des Max Piccolomini, ein hei߬
blütiger Gesell, der sich unbegreiflich schnell in die schöne Katholikin Pia
Montfort verliebt, deren väterliches Schloß am Bodensee die Schweden soeben
besetzt haben und die die egoistischen Liebesanträge der französischen Emissärin
Marfisa höhnisch zurückweist. Im Vordergründe endlich stehen der Kastellan
des Schlosses Montfort, ein dnrch die Schweden um Hab und Gut gebrachter
reicher Bauer und sein Sohn. Dieser ging in den Studentenjahren durch,
verlockt durch das abenteuerliche Svldatenglück, und kam in schwedische Dienste.
Nun finden sich Vater und Sohn wieder (große Erkennungsszene), eben als
der Kastellan die Schweden als scheinbarer Ephialtes dnrch die Bregenzer Klause
zum Sturm auf die befestigte Handelsstadt führen will. Da aber der eigne
Sohn -- Kapitän Falkenberg nennt er sich -- jenen dem Tode geweihten
Schwedentrupp führen soll, tritt der Kastellan zurück, nun ein doppelter Ver¬
räter. Der edle Falkenberg bleibt aber seinem Offiziersworte treu, er geht mit
den Schweden durch die Schlucht, von deren Höhen die Vorarlberger sicher
treffende Angeln herabsenden, entkommt wunderbar dem sichern Tode und ge¬
langt gerade noch rechtzeitig auf die Bühne, als sein Vater zu Pulver und
Blei begnadigt worden ist. Seine Bitten rühren überraschenderweise den alten
rohen Wrangel, der soeben seinen Sohn bei demselben Sturm auf Bregenz ver¬
loren hat. Gleichzeitig ertönen die Glocken der nahen Stadt, die den sehnlichst
erwarteten Münsterschen Frieden verkünden. Der alte Wrangel muß also auf
seine Ideale, den Weg zum Papst nach Italien zu finden, stillschweigend ver¬
zichten und uolsus Volvos in die Friedensgebete einstimmen. Die Abenteurerin


Neue Dramen.

Schlüsse, der gar nicht zur tragischen Anlage der ganzen vorhergehenden Hand¬
lung passen will. Es ist eines jeuer Dramen, worin die Menschen im Edelmut
sich überbieten, indes zugleich andre Figuren ungewöhnliche Bosheit offenbaren.
Was dem Stücke Herrigs im Übermaß eigen ist: die symbolische Vvrbildlichkeit
der Handlung, das fehlt dem Stücke Linggs: die große, allgemein menschliche
Idee, es ist nnr historischer und historisch-allegorischer Stoff. Auch fehlt es
seiner Handlang an der strengen Einheit, an einer vergleichsfreien Mittelfigur,
die zwei neben einander hergehenden Handlungen sind nur äußerlich verknüpft.
Das Augenmerk des Dichters war nicht auf die künstlerisch liebevolle Aus¬
führung und Gestaltung der Charaktere gerichtet, deshalb interessirt man sich
auch nicht menschlich für die Personen als solche, sondern bloß für die Lösung
der Verwicklung. Das geschichtliche Kolorit hätte von vorteilhafterer Wirkung
für die Stimmung des Ganzen werden können, aber es ist nicht angestrebt
worden. Die Hauptgestalten sind eine Frau von der Art der Orsina oder der
Lady Milford: eine kriegerische Amazone, eine gewissenlose Abenteurerin, welche
das „Soldatenglück," die Mühe des dreißigjährigen Krieges gewissermaßen ver¬
körpern soll; sodann der schwedische General Wrangel, der in Deutschland Krieg
führt, um sich selbst zu bereichern, und vorgiebt, es für die Protestanten zu
thun; sein Sohn Reinhold, ein Abkömmling des Max Piccolomini, ein hei߬
blütiger Gesell, der sich unbegreiflich schnell in die schöne Katholikin Pia
Montfort verliebt, deren väterliches Schloß am Bodensee die Schweden soeben
besetzt haben und die die egoistischen Liebesanträge der französischen Emissärin
Marfisa höhnisch zurückweist. Im Vordergründe endlich stehen der Kastellan
des Schlosses Montfort, ein dnrch die Schweden um Hab und Gut gebrachter
reicher Bauer und sein Sohn. Dieser ging in den Studentenjahren durch,
verlockt durch das abenteuerliche Svldatenglück, und kam in schwedische Dienste.
Nun finden sich Vater und Sohn wieder (große Erkennungsszene), eben als
der Kastellan die Schweden als scheinbarer Ephialtes dnrch die Bregenzer Klause
zum Sturm auf die befestigte Handelsstadt führen will. Da aber der eigne
Sohn — Kapitän Falkenberg nennt er sich — jenen dem Tode geweihten
Schwedentrupp führen soll, tritt der Kastellan zurück, nun ein doppelter Ver¬
räter. Der edle Falkenberg bleibt aber seinem Offiziersworte treu, er geht mit
den Schweden durch die Schlucht, von deren Höhen die Vorarlberger sicher
treffende Angeln herabsenden, entkommt wunderbar dem sichern Tode und ge¬
langt gerade noch rechtzeitig auf die Bühne, als sein Vater zu Pulver und
Blei begnadigt worden ist. Seine Bitten rühren überraschenderweise den alten
rohen Wrangel, der soeben seinen Sohn bei demselben Sturm auf Bregenz ver¬
loren hat. Gleichzeitig ertönen die Glocken der nahen Stadt, die den sehnlichst
erwarteten Münsterschen Frieden verkünden. Der alte Wrangel muß also auf
seine Ideale, den Weg zum Papst nach Italien zu finden, stillschweigend ver¬
zichten und uolsus Volvos in die Friedensgebete einstimmen. Die Abenteurerin


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[0282] Neue Dramen. Schlüsse, der gar nicht zur tragischen Anlage der ganzen vorhergehenden Hand¬ lung passen will. Es ist eines jeuer Dramen, worin die Menschen im Edelmut sich überbieten, indes zugleich andre Figuren ungewöhnliche Bosheit offenbaren. Was dem Stücke Herrigs im Übermaß eigen ist: die symbolische Vvrbildlichkeit der Handlung, das fehlt dem Stücke Linggs: die große, allgemein menschliche Idee, es ist nnr historischer und historisch-allegorischer Stoff. Auch fehlt es seiner Handlang an der strengen Einheit, an einer vergleichsfreien Mittelfigur, die zwei neben einander hergehenden Handlungen sind nur äußerlich verknüpft. Das Augenmerk des Dichters war nicht auf die künstlerisch liebevolle Aus¬ führung und Gestaltung der Charaktere gerichtet, deshalb interessirt man sich auch nicht menschlich für die Personen als solche, sondern bloß für die Lösung der Verwicklung. Das geschichtliche Kolorit hätte von vorteilhafterer Wirkung für die Stimmung des Ganzen werden können, aber es ist nicht angestrebt worden. Die Hauptgestalten sind eine Frau von der Art der Orsina oder der Lady Milford: eine kriegerische Amazone, eine gewissenlose Abenteurerin, welche das „Soldatenglück," die Mühe des dreißigjährigen Krieges gewissermaßen ver¬ körpern soll; sodann der schwedische General Wrangel, der in Deutschland Krieg führt, um sich selbst zu bereichern, und vorgiebt, es für die Protestanten zu thun; sein Sohn Reinhold, ein Abkömmling des Max Piccolomini, ein hei߬ blütiger Gesell, der sich unbegreiflich schnell in die schöne Katholikin Pia Montfort verliebt, deren väterliches Schloß am Bodensee die Schweden soeben besetzt haben und die die egoistischen Liebesanträge der französischen Emissärin Marfisa höhnisch zurückweist. Im Vordergründe endlich stehen der Kastellan des Schlosses Montfort, ein dnrch die Schweden um Hab und Gut gebrachter reicher Bauer und sein Sohn. Dieser ging in den Studentenjahren durch, verlockt durch das abenteuerliche Svldatenglück, und kam in schwedische Dienste. Nun finden sich Vater und Sohn wieder (große Erkennungsszene), eben als der Kastellan die Schweden als scheinbarer Ephialtes dnrch die Bregenzer Klause zum Sturm auf die befestigte Handelsstadt führen will. Da aber der eigne Sohn — Kapitän Falkenberg nennt er sich — jenen dem Tode geweihten Schwedentrupp führen soll, tritt der Kastellan zurück, nun ein doppelter Ver¬ räter. Der edle Falkenberg bleibt aber seinem Offiziersworte treu, er geht mit den Schweden durch die Schlucht, von deren Höhen die Vorarlberger sicher treffende Angeln herabsenden, entkommt wunderbar dem sichern Tode und ge¬ langt gerade noch rechtzeitig auf die Bühne, als sein Vater zu Pulver und Blei begnadigt worden ist. Seine Bitten rühren überraschenderweise den alten rohen Wrangel, der soeben seinen Sohn bei demselben Sturm auf Bregenz ver¬ loren hat. Gleichzeitig ertönen die Glocken der nahen Stadt, die den sehnlichst erwarteten Münsterschen Frieden verkünden. Der alte Wrangel muß also auf seine Ideale, den Weg zum Papst nach Italien zu finden, stillschweigend ver¬ zichten und uolsus Volvos in die Friedensgebete einstimmen. Die Abenteurerin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/282>, abgerufen am 22.07.2024.