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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Lahrt in den Grient.

für eigne Zwecke verwendet wird. Für uns war es freilich belustigend, zu
Wagen zu reisen, und gerade dies ermöglichte uns, den Anblick eines Hvchzeits-
zuges zu genießen, welcher die junge Frau ihrer neuen Heimat zuführte. Vorauf
dem Zuge gingen Flötenbläser, Geiger und Cymbelschläger, deren Zusammen¬
wirken keineswegs melodisch genannt werden konnte; ihnen folgten auf Eseln die
Beteiligten, die Braut von ihren Jugendgespielinnen begleitet, alle in seidenen
Gewändern, aber mit verschleierten Gesichtern, der Bräutigam und die Ver¬
wandten. Die elenden Häuser des Dorfes, in welches der Zug lenkte, bildeten
zu der Pracht der Kleidung einen schroffen Gegensatz, und nach den Häusern
zu schließe", dürfte sich dem jungen Paare keine freudenreiche Zukunft eröffnen.
In der Mitte des Weges muß der Wagen in Ermangelung einer Brücke den
alten Odrhsessluß -- sein jetziger Name ist Ulfer-Tschai -- durch eine Furt
überschreiten, an deren Ende unter hohen Bäumen auf grünem Platze ein
Kaffecwirt seine Baracke aufgeschlagen hat, um auch seinerseits gegen die Spende
des üblichen Kaffees von den Reisenden einen Tribut zu erhebe".

Näher rückten die wasserreichen Berge des Olympos, und plötzlich veränderte
sich auch die Vegetation; die Felder wurden zahlreicher, das Grün frischer und
saftiger, und endlich ragten ans den dichten Pflanzungen die Minarets von
Brussa hervor, dem wir uns gegen die Zeit des Sonnenunterganges näherten.
Eine kleine Differenz mit unserm braven Wagenlenker, der in echt griechischer
Weise seine Forderung in das Ungemessene stellte, brachte uns in ein im Reise¬
buche uoch nicht erwähntes neues Hotel (ä'^rmtoliv). Die freundliche französische
Wirtin, Madame Brodte, und deren diensteifriger Sohn Alexander verdienen
wohl, daß ich ihrer auch in diesem Briefe dankbar gedenke. Wir haben nirgends
eine so wohlthuende Aufnahme gefunden; die energische Frau, welche nach dem
Tode ihres in einer Seidenfabrik beschäftigt gewesenen Mannes dieses Gasthaus
eröffnete, versteht auch dem einheimischen Dienstpersonal die Grundsätze europäischer
Reinlichkeit praktisch einzuflößen; nirgends waren die Stuben, welche der Sorge
Glylerens anvertraut waren, so reinlich wie hier, und niemals blitzten unsre
Stiefeln so hell, als unter der Hand unsers Hausknechtes Homeros. Auch die
große Gesandtschaft, welche unter der Führung des Fürsten Nadziwill von
unserm Kaiser an den Hof Abdul Hamids geschickt wurde, ist bei ihrem Ausfluge
nach Brussa Gast der Madame Brodte gewesen und hat ihr im Fremdenbuche
ein ehrendes Denkmal gesetzt. Dabei sind -- um auch diesen Punkt zu er¬
ledigen -- die Preise bescheiden und die Verpflegung ausgezeichnet.

Trotz der zeitig eintretenden Dunkelheit konnte ich es mir nicht versagen, in
Begleitung Alexanders einen Gang mit der Laterne nach den berühmten Sultan¬
gräbern zu machen. Der Vollmond gab der Landschaft einen magischen Glanz,
als wir zu der Höhe hinauf längs der cyklopischen Stadtmauern durch die
malerischen Ruinen des Thores von Hisfar auf das Plateau gelangten, wo in
einem Rosengarten die Gräber (Turbe) der sechs ersten Sultane aus der Osman-


Line Lahrt in den Grient.

für eigne Zwecke verwendet wird. Für uns war es freilich belustigend, zu
Wagen zu reisen, und gerade dies ermöglichte uns, den Anblick eines Hvchzeits-
zuges zu genießen, welcher die junge Frau ihrer neuen Heimat zuführte. Vorauf
dem Zuge gingen Flötenbläser, Geiger und Cymbelschläger, deren Zusammen¬
wirken keineswegs melodisch genannt werden konnte; ihnen folgten auf Eseln die
Beteiligten, die Braut von ihren Jugendgespielinnen begleitet, alle in seidenen
Gewändern, aber mit verschleierten Gesichtern, der Bräutigam und die Ver¬
wandten. Die elenden Häuser des Dorfes, in welches der Zug lenkte, bildeten
zu der Pracht der Kleidung einen schroffen Gegensatz, und nach den Häusern
zu schließe», dürfte sich dem jungen Paare keine freudenreiche Zukunft eröffnen.
In der Mitte des Weges muß der Wagen in Ermangelung einer Brücke den
alten Odrhsessluß — sein jetziger Name ist Ulfer-Tschai — durch eine Furt
überschreiten, an deren Ende unter hohen Bäumen auf grünem Platze ein
Kaffecwirt seine Baracke aufgeschlagen hat, um auch seinerseits gegen die Spende
des üblichen Kaffees von den Reisenden einen Tribut zu erhebe».

Näher rückten die wasserreichen Berge des Olympos, und plötzlich veränderte
sich auch die Vegetation; die Felder wurden zahlreicher, das Grün frischer und
saftiger, und endlich ragten ans den dichten Pflanzungen die Minarets von
Brussa hervor, dem wir uns gegen die Zeit des Sonnenunterganges näherten.
Eine kleine Differenz mit unserm braven Wagenlenker, der in echt griechischer
Weise seine Forderung in das Ungemessene stellte, brachte uns in ein im Reise¬
buche uoch nicht erwähntes neues Hotel (ä'^rmtoliv). Die freundliche französische
Wirtin, Madame Brodte, und deren diensteifriger Sohn Alexander verdienen
wohl, daß ich ihrer auch in diesem Briefe dankbar gedenke. Wir haben nirgends
eine so wohlthuende Aufnahme gefunden; die energische Frau, welche nach dem
Tode ihres in einer Seidenfabrik beschäftigt gewesenen Mannes dieses Gasthaus
eröffnete, versteht auch dem einheimischen Dienstpersonal die Grundsätze europäischer
Reinlichkeit praktisch einzuflößen; nirgends waren die Stuben, welche der Sorge
Glylerens anvertraut waren, so reinlich wie hier, und niemals blitzten unsre
Stiefeln so hell, als unter der Hand unsers Hausknechtes Homeros. Auch die
große Gesandtschaft, welche unter der Führung des Fürsten Nadziwill von
unserm Kaiser an den Hof Abdul Hamids geschickt wurde, ist bei ihrem Ausfluge
nach Brussa Gast der Madame Brodte gewesen und hat ihr im Fremdenbuche
ein ehrendes Denkmal gesetzt. Dabei sind — um auch diesen Punkt zu er¬
ledigen — die Preise bescheiden und die Verpflegung ausgezeichnet.

Trotz der zeitig eintretenden Dunkelheit konnte ich es mir nicht versagen, in
Begleitung Alexanders einen Gang mit der Laterne nach den berühmten Sultan¬
gräbern zu machen. Der Vollmond gab der Landschaft einen magischen Glanz,
als wir zu der Höhe hinauf längs der cyklopischen Stadtmauern durch die
malerischen Ruinen des Thores von Hisfar auf das Plateau gelangten, wo in
einem Rosengarten die Gräber (Turbe) der sechs ersten Sultane aus der Osman-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/252>, abgerufen am 22.07.2024.