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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Politik Ludwig Philipps suchte sich ihre Gunst durch dreißig Millionen
Staatsvvrschüsse zu erkaufen, aber sie jubelten der zweiten Republick zu, und
trotz der von dieser gewährten Verdoppelung der Exportprämien hießen sie bald
nachher den Staatsstreich Napoleons des Dritten willkommen. Ja wir begegnen
sogar dem bezeichnenden Vorgange, daß einige Fabrikanten, ärgerlich über
gewisse Maßregeln des zweiten Kaiserreiches, beim Ausbruche des deutsch-
französischen Krieges sich mit einem Aufrufe an die deutsche Nationalität der
Arbeiter wenden und sie gegen die französische Regierung aufregen. Fast
selbstverständlich ist es, daß sie es auch mit der deutschen Regierung bloß inso¬
weit halten, als diese ihren Interessen Förderung verspricht. Einzig und allein
mit der katholischen Kirche haben sich diese klugen Patrizier dauernd verständigt,
da diese nicht wie die weltlichen Mächte dem Wechsel unterworfen ist und
ihnen gefährlicher werden kann als jene, indem sie namentlich auf die weib¬
lichen Kreise der Arbeiterschaft einen sehr bedeutenden Einfluß ausübt. Hält
die Geistlichkeit die Arbeiter nicht mehr zur Unterwürfigkeit gegen ihre Brot¬
herren an, so steht eS schlimm um deren Macht und deren Interesse. Seit
der Annexion aber vereint den Klerus und die Fabrikanten ein gleicher Haß
gegen die Regierung, und so kam es zu einem stillschweigenden Einver¬
nehmen zwischen ihnen, das seine Spitze gegen das Reich kehrt. Der prote¬
stantische und freimaurerische Fabrikant überläßt den Pfarrern und Kapläncn
die Herrschaft über die Seelen der Arbeiter, und dieser Klerus erhält die letzter"
willig, ihre Kräfte durch die Fabrikanten in unbilligen Maße ausbeuten zu lassen.
Die Arbeiterbevölkerung ist nach ihrem innersten Wesen durchaus deutsch und
könnte, wenn sie von der Herrschaft der Koalition befreit und selbständiger
gemacht würde, dem deutschen Reiche bald gewonnen werden. Die Fabrikanten
sind dagegen französisch gesinnt und nicht mit den neuen Zustünden zu ver¬
söhnen, und sie sind bis jetzt die unbeschränkten Gebieter in den Thälern des
Oberelsaß. Im Münsterthale gehören fast alle Werke und ein großer Teil der
ländlichen Grundstücke einer einzigen Firma. Da die von ihr beschäftigten Leute
uur bei ihr Verdienst finden, herrscht sie hier unbedingt. Ihre Inhaber aber
wohnen in Paris, und zu ihnen zählt infolge seiner Heirat sogar ein Offizier
der französischen Armee, und so wird natürlich niemand erwarten können, sie
werde ihre Gewalt über die Bewohner der Gegend, eine Gewalt, die infolge
der Nichteinführung der deutscheu Gewerbeordnung beinahe absolut ist, im Inter¬
esse des Reiches anwenden. Wenden wir uns nach Themm, so steht dort die
Fabrik eines bekannten französischen Senators, dessen Schwiegersohn als fran¬
zösischer Ministerpräsident eine Rolle spielte. Kann es zweifelhaft sein, in
wessen politischem Interesse hier die Macht des Arbeitgebers über den Arbeiter
geltend gemacht wird? Ähnlich steht es in andern Thälern, ähnlich in Mül-
hnusen. Allenthalben sind die Fabrikherren Anhänger Frankreichs, ihre Söhne
nehmen Frauen von da, ihre Töchter heiraten dahin; auch wo die Väter sich


Die Politik Ludwig Philipps suchte sich ihre Gunst durch dreißig Millionen
Staatsvvrschüsse zu erkaufen, aber sie jubelten der zweiten Republick zu, und
trotz der von dieser gewährten Verdoppelung der Exportprämien hießen sie bald
nachher den Staatsstreich Napoleons des Dritten willkommen. Ja wir begegnen
sogar dem bezeichnenden Vorgange, daß einige Fabrikanten, ärgerlich über
gewisse Maßregeln des zweiten Kaiserreiches, beim Ausbruche des deutsch-
französischen Krieges sich mit einem Aufrufe an die deutsche Nationalität der
Arbeiter wenden und sie gegen die französische Regierung aufregen. Fast
selbstverständlich ist es, daß sie es auch mit der deutschen Regierung bloß inso¬
weit halten, als diese ihren Interessen Förderung verspricht. Einzig und allein
mit der katholischen Kirche haben sich diese klugen Patrizier dauernd verständigt,
da diese nicht wie die weltlichen Mächte dem Wechsel unterworfen ist und
ihnen gefährlicher werden kann als jene, indem sie namentlich auf die weib¬
lichen Kreise der Arbeiterschaft einen sehr bedeutenden Einfluß ausübt. Hält
die Geistlichkeit die Arbeiter nicht mehr zur Unterwürfigkeit gegen ihre Brot¬
herren an, so steht eS schlimm um deren Macht und deren Interesse. Seit
der Annexion aber vereint den Klerus und die Fabrikanten ein gleicher Haß
gegen die Regierung, und so kam es zu einem stillschweigenden Einver¬
nehmen zwischen ihnen, das seine Spitze gegen das Reich kehrt. Der prote¬
stantische und freimaurerische Fabrikant überläßt den Pfarrern und Kapläncn
die Herrschaft über die Seelen der Arbeiter, und dieser Klerus erhält die letzter»
willig, ihre Kräfte durch die Fabrikanten in unbilligen Maße ausbeuten zu lassen.
Die Arbeiterbevölkerung ist nach ihrem innersten Wesen durchaus deutsch und
könnte, wenn sie von der Herrschaft der Koalition befreit und selbständiger
gemacht würde, dem deutschen Reiche bald gewonnen werden. Die Fabrikanten
sind dagegen französisch gesinnt und nicht mit den neuen Zustünden zu ver¬
söhnen, und sie sind bis jetzt die unbeschränkten Gebieter in den Thälern des
Oberelsaß. Im Münsterthale gehören fast alle Werke und ein großer Teil der
ländlichen Grundstücke einer einzigen Firma. Da die von ihr beschäftigten Leute
uur bei ihr Verdienst finden, herrscht sie hier unbedingt. Ihre Inhaber aber
wohnen in Paris, und zu ihnen zählt infolge seiner Heirat sogar ein Offizier
der französischen Armee, und so wird natürlich niemand erwarten können, sie
werde ihre Gewalt über die Bewohner der Gegend, eine Gewalt, die infolge
der Nichteinführung der deutscheu Gewerbeordnung beinahe absolut ist, im Inter¬
esse des Reiches anwenden. Wenden wir uns nach Themm, so steht dort die
Fabrik eines bekannten französischen Senators, dessen Schwiegersohn als fran¬
zösischer Ministerpräsident eine Rolle spielte. Kann es zweifelhaft sein, in
wessen politischem Interesse hier die Macht des Arbeitgebers über den Arbeiter
geltend gemacht wird? Ähnlich steht es in andern Thälern, ähnlich in Mül-
hnusen. Allenthalben sind die Fabrikherren Anhänger Frankreichs, ihre Söhne
nehmen Frauen von da, ihre Töchter heiraten dahin; auch wo die Väter sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/220>, abgerufen am 22.07.2024.