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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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aus seiner Jugendzeit, wo er die damalige Modekrankheit der Heineschwcir-
merei redlich mit durchgemacht hat, die Heineschen Gedichte ziemlich genau,
aber er kennt keins, worin der deutsche Kaiser zur Guillotine ginge. Er kann
also nicht umhin, diese Behauptung des Herrn Lapisse für eine grobe Fälschung
zu erklären, wie sie sich die Franzosen nicht selten entweder aus mangelhafter
Kenntnis der deutschen Sprache zu Schulden kommen lassen -- denn wie käme
selbst heutzutage ein Franzose dazu, das Deutsche gründlich zu lernen, das erst
kürzlich der Modeschriftsteller Daudet eine Sprache von "Räubern und Mördern"
genannt hat -- oder geradezu absichtlich begehen, wenn ihnen eine solche
Fälschung des Effektes halber gerade in den Kram paßt.

Wie wenig genau es überhaupt die französischen Schriftsteller mit der
Wahrheit nehmen, beweist wiederum Herr Lapisse oder eigentlich der Verfasser
des Buches I/^llsirmg-nez aotruzlls (Paris, 1887), welches jener in seinem Ar¬
tikel der lisvus clss äsux wonclss bespricht, an der Stelle, wo er die Ein¬
weihung des Niederwalddenkmals im September 1883 erzählt. Da soll, während
der Kaiser und die andern Fürsten um das Denkmal versammelt waren, ein
Sturm durch die Lüfte gehaust sein; die Wolken seien von Windstößen gejagt
worden und hätten die Sonne, deren fahler Schein in Zwischenräumen geleuchtet
habe, bald bedeckt, bald enthüllt; heftige Güsse von Regen und Hagel hätten
den Niederwald gepeitscht und die Wellen des Rheins in Aufruhr gebracht!
Zum Glück hat der Verfasser dieser Zeilen damals der Feier auf dem Nieder¬
walde beigewohnt und kann wahrheitsgemäß bezeugen, daß dieser melodramatisch
aufgeputzte Wetterbericht des Herrn Franzosen im wahren Sinne des Wortes
aus der Luft gegriffen ist. Der Himmel war an jenem denkwürdige" 23. Sep¬
tember 1883 in den ersten Vormittagsstunden zweifelhaft, und es fiel von Zeit
zu Zeit ein leichter Sprühregen, der bei der herrschenden Hitze als eine wahre
Wohlthat empfunden wurde; um elf Uhr aber, wo die Auffahrt der fürstlichen
Herrschaften von Nüdesheim auf den Niederwald begann, hatte sich der Himmel
völlig aufgeheitert, und es herrschte von da den ganzen Tag über das herr¬
lichste "Kaiserwetter."

An diese erste Unwahrheit über das Wetter schließt sich alsbald eine zweite.
"Wenn man -- erzählt der Herr Franzose weiter -- die Steine des Grund-
baues für die Bildsäule der Germania in die Höhe gehoben hätte, so hätte
mau ein Faß mit Dynamik entdeckt, und daran befestigt eine Zündschnur, die
ihren Dienst schlecht verrichtete (natürlich leider! nach französischem Sinne). Einer
der Mordgesellen, der nachher selbst das Verbrechen enthüllt hat, behauptete,
daß er, von Gewissensbissen gepeinigt, die Schnur durchschnitten habe, weil er
vor dem Unglück, das sich entladen sollte, zurückschreckte. Wenn die Dynamit¬
mine gesprungen wäre, so flogen die deutschen Fürsten in die Luft und endeten
gerade an dem Fuße des Denkmals, welches ihrem Ruhme geweiht ist. Alle (?)
Throne wären erledigt gewesen; kaum hätte man hier oder dort Kinder darauf


aus seiner Jugendzeit, wo er die damalige Modekrankheit der Heineschwcir-
merei redlich mit durchgemacht hat, die Heineschen Gedichte ziemlich genau,
aber er kennt keins, worin der deutsche Kaiser zur Guillotine ginge. Er kann
also nicht umhin, diese Behauptung des Herrn Lapisse für eine grobe Fälschung
zu erklären, wie sie sich die Franzosen nicht selten entweder aus mangelhafter
Kenntnis der deutschen Sprache zu Schulden kommen lassen — denn wie käme
selbst heutzutage ein Franzose dazu, das Deutsche gründlich zu lernen, das erst
kürzlich der Modeschriftsteller Daudet eine Sprache von „Räubern und Mördern"
genannt hat — oder geradezu absichtlich begehen, wenn ihnen eine solche
Fälschung des Effektes halber gerade in den Kram paßt.

Wie wenig genau es überhaupt die französischen Schriftsteller mit der
Wahrheit nehmen, beweist wiederum Herr Lapisse oder eigentlich der Verfasser
des Buches I/^llsirmg-nez aotruzlls (Paris, 1887), welches jener in seinem Ar¬
tikel der lisvus clss äsux wonclss bespricht, an der Stelle, wo er die Ein¬
weihung des Niederwalddenkmals im September 1883 erzählt. Da soll, während
der Kaiser und die andern Fürsten um das Denkmal versammelt waren, ein
Sturm durch die Lüfte gehaust sein; die Wolken seien von Windstößen gejagt
worden und hätten die Sonne, deren fahler Schein in Zwischenräumen geleuchtet
habe, bald bedeckt, bald enthüllt; heftige Güsse von Regen und Hagel hätten
den Niederwald gepeitscht und die Wellen des Rheins in Aufruhr gebracht!
Zum Glück hat der Verfasser dieser Zeilen damals der Feier auf dem Nieder¬
walde beigewohnt und kann wahrheitsgemäß bezeugen, daß dieser melodramatisch
aufgeputzte Wetterbericht des Herrn Franzosen im wahren Sinne des Wortes
aus der Luft gegriffen ist. Der Himmel war an jenem denkwürdige» 23. Sep¬
tember 1883 in den ersten Vormittagsstunden zweifelhaft, und es fiel von Zeit
zu Zeit ein leichter Sprühregen, der bei der herrschenden Hitze als eine wahre
Wohlthat empfunden wurde; um elf Uhr aber, wo die Auffahrt der fürstlichen
Herrschaften von Nüdesheim auf den Niederwald begann, hatte sich der Himmel
völlig aufgeheitert, und es herrschte von da den ganzen Tag über das herr¬
lichste „Kaiserwetter."

An diese erste Unwahrheit über das Wetter schließt sich alsbald eine zweite.
„Wenn man — erzählt der Herr Franzose weiter — die Steine des Grund-
baues für die Bildsäule der Germania in die Höhe gehoben hätte, so hätte
mau ein Faß mit Dynamik entdeckt, und daran befestigt eine Zündschnur, die
ihren Dienst schlecht verrichtete (natürlich leider! nach französischem Sinne). Einer
der Mordgesellen, der nachher selbst das Verbrechen enthüllt hat, behauptete,
daß er, von Gewissensbissen gepeinigt, die Schnur durchschnitten habe, weil er
vor dem Unglück, das sich entladen sollte, zurückschreckte. Wenn die Dynamit¬
mine gesprungen wäre, so flogen die deutschen Fürsten in die Luft und endeten
gerade an dem Fuße des Denkmals, welches ihrem Ruhme geweiht ist. Alle (?)
Throne wären erledigt gewesen; kaum hätte man hier oder dort Kinder darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/210>, abgerufen am 03.07.2024.