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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.

lässigen Zeugnissen wissen wir, daß er wirklich beim König von Sachsen gewesen
ist, denn sowohl in den Aufzeichnungen des sächsischen Generalleutnants v.Zeschau,
als im "Tagebuche der sächsischen Leibgardegrenadiere" wird Graf Schulenburg
als ein an den König von Sachsen abgesandter Offizier der Verbündeten er¬
wähnt. Ist sonach an der Sendung selbst nicht zu zweifeln, so wird man die
Zeit, in welcher die Sendung erfüllt wurde, nach den im Bericht des Gesendeten
angegebenen Nebenumständen in die Stunden von elf bis ein Uhr mittags legen
müssen.

Vor allem ist es jedoch von Interesse, zu prüfen, inwieweit der Bericht
des Grafen Schulenburg innere Glaubwürdigkeit hat. Hierbei muß zunächst
darauf hingewiesen werden, daß die Darstellung der ganzen Vorgänge ebenso
einfach wie natürlich ist, und daß auch Einzelheiten, wie z. B. die Besetzung
des innern Grimmaischen Thores, mit denen andrer Schlachtberichte überein¬
stimmen. Andre Dinge, wie das Sichergeben der polnischen Offiziere, werden
sogar durch das bereits erwähnte "Tagebuch der sächsischen Leibgardegrenadiere"
in aller Form bestätigt, denn dort heißt es, "daß der Adjutant Graf Schulen¬
burg den im Thomäschen Hause befindlichen polnischen Offizieren die Degen
abnahm." Sind solche Nebendinge richtig geschildert, dann gewinnt man auch
das Zutrauen, daß die Sendung zum Könige mit voller Wahrheit wiedergegeben
sei. Von selbst drängt sich die Erwägung auf, daß Graf Schulenburg mit
besonderm Auftrage betraut gewesen sein muß, denn sonst schwindet jeder Be¬
weggrund dafür, daß er sich nach dem Thonräschen Hause begab.

Nun sind allerdings in jenen Stunden des 19. Oktober noch einige andre
Offiziere der verbündeten Armeen an den König hon Sachsen gesandt worden,
und zwar erwähnen die darüber vorhandenen Berichte hauptsächlich den rus¬
sischen General von Toll und den preußischen Migeladjutanten Oberstleutnant
von Natzmer. Letzterer hat über die gemeinsame Sendung veröffentlicht, daß
der Auftrag beider Offiziere darin bestanden habe, den König aufzufordern,
"die Verteidigung von Leipzig aufzugeben und die sächsischen Truppen zurück¬
zuziehen," und daß der König hierauf erklärt habe, "weder über das eine, noch
über das andre verfügen zu können, da Napoleon ihn eben erst verlassen und
versprochen habe, in zwei bis drei Tagen wiederzukommen, während welcher Zeit
er zu manövriren beabsichtige." Bei ruhiger Betrachtung dieser Darstellung
mag zwar der Auftrag, den die genannten beiden Offiziere empfingen, noch
glaubhaft erscheinen; die wiedergegebene Antwort des Königs von Sachsen
aber ist höchst unwahrscheinlich, denn unmöglich konnte er, selbst wenn ihm
Napoleon eine Rückkunft zugesagt hätte, in dem Glauben befangen sein, daß ihn
die verbündeten Mächte bis dahin als "neutral" ansehen würden Auf die
höchstens zweitausend Mann, über die er noch verfügte, brauchten ste über¬
haupt keine Rücksichten mehr zu, nehmen, wie das^ ja auch thatsächlich nicht
geschehen ist.


Aus den Tagen der Völkerschlacht bei Leipzig.

lässigen Zeugnissen wissen wir, daß er wirklich beim König von Sachsen gewesen
ist, denn sowohl in den Aufzeichnungen des sächsischen Generalleutnants v.Zeschau,
als im „Tagebuche der sächsischen Leibgardegrenadiere" wird Graf Schulenburg
als ein an den König von Sachsen abgesandter Offizier der Verbündeten er¬
wähnt. Ist sonach an der Sendung selbst nicht zu zweifeln, so wird man die
Zeit, in welcher die Sendung erfüllt wurde, nach den im Bericht des Gesendeten
angegebenen Nebenumständen in die Stunden von elf bis ein Uhr mittags legen
müssen.

Vor allem ist es jedoch von Interesse, zu prüfen, inwieweit der Bericht
des Grafen Schulenburg innere Glaubwürdigkeit hat. Hierbei muß zunächst
darauf hingewiesen werden, daß die Darstellung der ganzen Vorgänge ebenso
einfach wie natürlich ist, und daß auch Einzelheiten, wie z. B. die Besetzung
des innern Grimmaischen Thores, mit denen andrer Schlachtberichte überein¬
stimmen. Andre Dinge, wie das Sichergeben der polnischen Offiziere, werden
sogar durch das bereits erwähnte „Tagebuch der sächsischen Leibgardegrenadiere"
in aller Form bestätigt, denn dort heißt es, „daß der Adjutant Graf Schulen¬
burg den im Thomäschen Hause befindlichen polnischen Offizieren die Degen
abnahm." Sind solche Nebendinge richtig geschildert, dann gewinnt man auch
das Zutrauen, daß die Sendung zum Könige mit voller Wahrheit wiedergegeben
sei. Von selbst drängt sich die Erwägung auf, daß Graf Schulenburg mit
besonderm Auftrage betraut gewesen sein muß, denn sonst schwindet jeder Be¬
weggrund dafür, daß er sich nach dem Thonräschen Hause begab.

Nun sind allerdings in jenen Stunden des 19. Oktober noch einige andre
Offiziere der verbündeten Armeen an den König hon Sachsen gesandt worden,
und zwar erwähnen die darüber vorhandenen Berichte hauptsächlich den rus¬
sischen General von Toll und den preußischen Migeladjutanten Oberstleutnant
von Natzmer. Letzterer hat über die gemeinsame Sendung veröffentlicht, daß
der Auftrag beider Offiziere darin bestanden habe, den König aufzufordern,
„die Verteidigung von Leipzig aufzugeben und die sächsischen Truppen zurück¬
zuziehen," und daß der König hierauf erklärt habe, „weder über das eine, noch
über das andre verfügen zu können, da Napoleon ihn eben erst verlassen und
versprochen habe, in zwei bis drei Tagen wiederzukommen, während welcher Zeit
er zu manövriren beabsichtige." Bei ruhiger Betrachtung dieser Darstellung
mag zwar der Auftrag, den die genannten beiden Offiziere empfingen, noch
glaubhaft erscheinen; die wiedergegebene Antwort des Königs von Sachsen
aber ist höchst unwahrscheinlich, denn unmöglich konnte er, selbst wenn ihm
Napoleon eine Rückkunft zugesagt hätte, in dem Glauben befangen sein, daß ihn
die verbündeten Mächte bis dahin als „neutral" ansehen würden Auf die
höchstens zweitausend Mann, über die er noch verfügte, brauchten ste über¬
haupt keine Rücksichten mehr zu, nehmen, wie das^ ja auch thatsächlich nicht
geschehen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/182>, abgerufen am 21.06.2024.