Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Vichterfreundinnen. Frau Karoline hatte den besten Willen, zufrieden zu sein. Auch konnte sie Es ist für ein Mädchen immer schwer, wenn sie in entferntere und ein¬ Kann ihn fesseln und gefangen nehmen, Du mußt mir andre Kost auftischen. Versteh, du sollst mir was aus dem Buch¬ Vichterfreundinnen. Frau Karoline hatte den besten Willen, zufrieden zu sein. Auch konnte sie Es ist für ein Mädchen immer schwer, wenn sie in entferntere und ein¬ Kann ihn fesseln und gefangen nehmen, Du mußt mir andre Kost auftischen. Versteh, du sollst mir was aus dem Buch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201569"/> <fw type="header" place="top"> Vichterfreundinnen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_318" prev="#ID_317"> Frau Karoline hatte den besten Willen, zufrieden zu sein. Auch konnte sie<lb/> hoffen, es zu bleiben, denn sie liebte, ehrte und fürchtete ihren Mann. Aber<lb/> lesen mußte sie, viel lesen, um nur bestehen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_319"> Es ist für ein Mädchen immer schwer, wenn sie in entferntere und ein¬<lb/> samere Verhältnisse verpflanzt wird, doppelt schwer für eine, deren Sinn für<lb/> umfassende literarische Bestrebungen geöffnet ist. Karoline war zu klug, als<lb/> daß sie ihre Lage nicht hätte von der besten Seite nehmen sollen, aber in ihren<lb/> Briefen an die Schwester Lotte macht sich ein Galgenhumor Luft, der die leere<lb/> Stelle in ihrem Innern blvßlegt. „Ich für meine« Teil — schreibt sie bald<lb/> nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat — werfe mich alle Tage mehr in Klaus¬<lb/> thal herein, ohne mich in die hiesige Form zu gießen. Mißgönne doch einem ehr¬<lb/> lichen Menschen die Lust nicht, sich an zwanzig bis fünfzig albernen Menschen-<lb/> gesichtern zu amüsiren, und laß lieber in der katholischen Kirche in der Kurzen<lb/> Straße eine Messe dafür lesen, daß ich das Ding von der Seite zu nehmen<lb/> anfange." Und einige Monate später: „Meisterin brotloser Künste, unholdiger<lb/> Geist, ich beschwöre dich, schicke mir keine Uhrbänder, sondern diesmal etwas<lb/> zu lesen in gothischen Buchstaben. Ich bitte dich um Brot, und du giebst mir<lb/> einen Stein. Wie kann ich lachen? Der Spiritus verfliegt, keine Macht</p><lb/> <quote> Kann ihn fesseln und gefangen nehmen,<lb/> Leicht wie Äther schlüpft er fort.</quote><lb/> <p xml:id="ID_320" next="#ID_321"> Du mußt mir andre Kost auftischen. Versteh, du sollst mir was aus dem Buch¬<lb/> laden schicken, und künftige Woche kommt der ganze Bast mit eins zurück. Ich<lb/> danke dir dennoch für deinen gestrigen Wisch und empfehle mich und mein un¬<lb/> geborenes Kind dir in höchster Eile." Schon nach zwei Jahren weiß sie kaum<lb/> noch, wie sie sich in Klausthal aufrecht erhalten soll: „Mich däucht, ich sehe<lb/> hier den Winter mit leichteren Herzen kommen als den Frühling. Der Winter<lb/> darf nun einmal rauh sein und die Natur im Winter arm und kalt. Auch seh<lb/> ich die Hälfte des Tages über nichts von ihr und bin die andre Hälfte un¬<lb/> gestört ich, in meiner Stube. Der Frühling macht mir Heimweh; es ist immer<lb/> die Jahreszeit süßer Schwermut, tut, tdsrs is no occasion lor g. svsgt vns,<lb/> so wird dann eine bittre draus." Durch allerhand Erwägungen suchte sie sich<lb/> zu beruhigen: „Ich bin nicht unglücklich, wenigstens nicht durch meine Lage,<lb/> ja, was sage ich wenigstens? bin ichs denn überall ^überhaupt)? Fiel mir<lb/> auch in den ersten Zeiten wohl der Gedanke ein: Warum mußt du hier deine<lb/> Jugend verleben, warum du hier vor so vielen andern und vor manchen doch<lb/> fähig, eine große Rolle zu spielen, zu höheren Hoffnungen berechtigt? Das war<lb/> Eitelkeit. Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe giebt mir nichts zu thun, als<lb/> in leichten häuslichen Pflichten, ich erwarte nichts mehr von einer rosenfarbigen<lb/> Zukunft, mein Loos ist geworfen." Rührend ist ihr fortwährendes Bitten und<lb/> Flehen um Bücher: „Schicke mir doch ja Archenholz das nächste mal. Ich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
Vichterfreundinnen.
Frau Karoline hatte den besten Willen, zufrieden zu sein. Auch konnte sie
hoffen, es zu bleiben, denn sie liebte, ehrte und fürchtete ihren Mann. Aber
lesen mußte sie, viel lesen, um nur bestehen zu können.
Es ist für ein Mädchen immer schwer, wenn sie in entferntere und ein¬
samere Verhältnisse verpflanzt wird, doppelt schwer für eine, deren Sinn für
umfassende literarische Bestrebungen geöffnet ist. Karoline war zu klug, als
daß sie ihre Lage nicht hätte von der besten Seite nehmen sollen, aber in ihren
Briefen an die Schwester Lotte macht sich ein Galgenhumor Luft, der die leere
Stelle in ihrem Innern blvßlegt. „Ich für meine« Teil — schreibt sie bald
nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat — werfe mich alle Tage mehr in Klaus¬
thal herein, ohne mich in die hiesige Form zu gießen. Mißgönne doch einem ehr¬
lichen Menschen die Lust nicht, sich an zwanzig bis fünfzig albernen Menschen-
gesichtern zu amüsiren, und laß lieber in der katholischen Kirche in der Kurzen
Straße eine Messe dafür lesen, daß ich das Ding von der Seite zu nehmen
anfange." Und einige Monate später: „Meisterin brotloser Künste, unholdiger
Geist, ich beschwöre dich, schicke mir keine Uhrbänder, sondern diesmal etwas
zu lesen in gothischen Buchstaben. Ich bitte dich um Brot, und du giebst mir
einen Stein. Wie kann ich lachen? Der Spiritus verfliegt, keine Macht
Kann ihn fesseln und gefangen nehmen,
Leicht wie Äther schlüpft er fort.
Du mußt mir andre Kost auftischen. Versteh, du sollst mir was aus dem Buch¬
laden schicken, und künftige Woche kommt der ganze Bast mit eins zurück. Ich
danke dir dennoch für deinen gestrigen Wisch und empfehle mich und mein un¬
geborenes Kind dir in höchster Eile." Schon nach zwei Jahren weiß sie kaum
noch, wie sie sich in Klausthal aufrecht erhalten soll: „Mich däucht, ich sehe
hier den Winter mit leichteren Herzen kommen als den Frühling. Der Winter
darf nun einmal rauh sein und die Natur im Winter arm und kalt. Auch seh
ich die Hälfte des Tages über nichts von ihr und bin die andre Hälfte un¬
gestört ich, in meiner Stube. Der Frühling macht mir Heimweh; es ist immer
die Jahreszeit süßer Schwermut, tut, tdsrs is no occasion lor g. svsgt vns,
so wird dann eine bittre draus." Durch allerhand Erwägungen suchte sie sich
zu beruhigen: „Ich bin nicht unglücklich, wenigstens nicht durch meine Lage,
ja, was sage ich wenigstens? bin ichs denn überall ^überhaupt)? Fiel mir
auch in den ersten Zeiten wohl der Gedanke ein: Warum mußt du hier deine
Jugend verleben, warum du hier vor so vielen andern und vor manchen doch
fähig, eine große Rolle zu spielen, zu höheren Hoffnungen berechtigt? Das war
Eitelkeit. Ich bin nicht mehr Mädchen, die Liebe giebt mir nichts zu thun, als
in leichten häuslichen Pflichten, ich erwarte nichts mehr von einer rosenfarbigen
Zukunft, mein Loos ist geworfen." Rührend ist ihr fortwährendes Bitten und
Flehen um Bücher: „Schicke mir doch ja Archenholz das nächste mal. Ich
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