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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

daß trotz aller unsrer Siege die Engländer immer noch höhern Kurs genießen.
Es war schon dunkel geworden, als wir dem Ziele nahe durch sumpfigen Boden
fuhren, dessen betäubende Dünste den Vergleich mit den pontinischen Sümpfen
aushalten können. Endlich erblickten wir das Meer, und nicht froher mögen
die Scharen Xenophons bei dem Anblicke des Pvntos euxeinos begeistert "Tha-
lassa, Thalassa" gerufen haben, als uns die Erlösung aus dem heißen Wagen
beglückte. Von Varna, dessen Lichter uns von fern entgegenstrahlten, haben
wir nichts gesehen und wohl auch nichts verloren; es scheint nur ein neues
bulgarisches Vollwerk russischer Herrschaft zu sein, deun auf dem Bahnhöfe
wimmelte es von Offizieren mit glänzenden Uniformen und zahllosen Sternen
auf der Heldenbrust. Wir mußten uns beeilen, in die Barken zu gelangen, die
uns an den weit draußen im Meere harrenden Dampfer bringen sollten. Daß
es keinen Hafen giebt, der den Schiffen ermöglicht, sich dem Ufer zu nähern,
sollte für uns nicht verhängnisvoll werden. Deun Neptun war uns günstig
und gestattete für diesmal, daß die Barten das Meer ruhig befahren konnten.
Das ist nicht immer so; oft werden die Reisenden einem Umlege- und Stapel¬
zwang in Varna unterworfen, wenn das unruhige Meer eine Beförderung der¬
selben zum Dampfer unmöglich macht. Gleich die zwei nächsten Schiffe
nach uns konnten wegen des heftigen Windes keine Personen an Bord nehmen.
Auch war uns der Kismeth weiter günstig, als wir beim Besteigen der Barken
weder Hals noch Beine brachen. Besteigen ist eigentlich ein unrichtiger Aus¬
druck, deun man muß von der beträchtlichen Höhe des Uferrandes in sie hinab-
springen, und dabei werden eigentlich nur Preisturner das Fallen vermeiden
können. Mich tröstete es einigermaßen, soweit gemeinsamer Unfall Trost ge¬
währt, daß auch Fuad Pascha, der von eiuer Mission aus Wien zurückkehrte,
dieselben equilibristischen Künste mit dem gleichen Erfolge üben mußte. Trotz
aller Fährlichkeiten langten wir über ein spiegelglattes Meer bei der "Danae"
an, einem mächtigen Dampfer des österreichisch-ungarischen Lloyd, der hier allein
den Verkehr vermittelt. Mit einem leichten Schaudern sahen wir in dem Namen
des Schiffes ein tiefbedentendes Vorzeichen, denn wie Danae, so liebt auch der
Orient den Goldregen, und was wir in dem bisher durchfcchrenen Halborient
davon erfahren hatten, flößte uns wenig Trost für den echten Orient ein. Aber
die Hauptsache sür den Augenblick war, daß das Schwarze Meer -- und am
Abend verdient es vor Varna diesen Namen sicherlich -- sich selbst verleugnete
und gastlicher war, als es schon seit dem Altertume den Uns hat. Das
Schiff glich einer Arche Noah, nur mit dem Unterschiede, daß sich seither die
Rassen erheblich vermehrt hatten und deshalb viel mehr Vertreter derselben aus
der Danae als in der Arche vorhanden waren. Ans dem Hinterdeck hatten
sich Slawen jeder Spielart, Türken und sonstige Orientalen mit ihren ver¬
hüllten Frauen malerisch auf Decken und Teppichen gelagert und blickten angst-
svll nach dem Himmel, der Regen zu verheißen schien. Auf dem Vorderdeck


Line Fahrt in den Grient.

daß trotz aller unsrer Siege die Engländer immer noch höhern Kurs genießen.
Es war schon dunkel geworden, als wir dem Ziele nahe durch sumpfigen Boden
fuhren, dessen betäubende Dünste den Vergleich mit den pontinischen Sümpfen
aushalten können. Endlich erblickten wir das Meer, und nicht froher mögen
die Scharen Xenophons bei dem Anblicke des Pvntos euxeinos begeistert „Tha-
lassa, Thalassa" gerufen haben, als uns die Erlösung aus dem heißen Wagen
beglückte. Von Varna, dessen Lichter uns von fern entgegenstrahlten, haben
wir nichts gesehen und wohl auch nichts verloren; es scheint nur ein neues
bulgarisches Vollwerk russischer Herrschaft zu sein, deun auf dem Bahnhöfe
wimmelte es von Offizieren mit glänzenden Uniformen und zahllosen Sternen
auf der Heldenbrust. Wir mußten uns beeilen, in die Barken zu gelangen, die
uns an den weit draußen im Meere harrenden Dampfer bringen sollten. Daß
es keinen Hafen giebt, der den Schiffen ermöglicht, sich dem Ufer zu nähern,
sollte für uns nicht verhängnisvoll werden. Deun Neptun war uns günstig
und gestattete für diesmal, daß die Barten das Meer ruhig befahren konnten.
Das ist nicht immer so; oft werden die Reisenden einem Umlege- und Stapel¬
zwang in Varna unterworfen, wenn das unruhige Meer eine Beförderung der¬
selben zum Dampfer unmöglich macht. Gleich die zwei nächsten Schiffe
nach uns konnten wegen des heftigen Windes keine Personen an Bord nehmen.
Auch war uns der Kismeth weiter günstig, als wir beim Besteigen der Barken
weder Hals noch Beine brachen. Besteigen ist eigentlich ein unrichtiger Aus¬
druck, deun man muß von der beträchtlichen Höhe des Uferrandes in sie hinab-
springen, und dabei werden eigentlich nur Preisturner das Fallen vermeiden
können. Mich tröstete es einigermaßen, soweit gemeinsamer Unfall Trost ge¬
währt, daß auch Fuad Pascha, der von eiuer Mission aus Wien zurückkehrte,
dieselben equilibristischen Künste mit dem gleichen Erfolge üben mußte. Trotz
aller Fährlichkeiten langten wir über ein spiegelglattes Meer bei der „Danae"
an, einem mächtigen Dampfer des österreichisch-ungarischen Lloyd, der hier allein
den Verkehr vermittelt. Mit einem leichten Schaudern sahen wir in dem Namen
des Schiffes ein tiefbedentendes Vorzeichen, denn wie Danae, so liebt auch der
Orient den Goldregen, und was wir in dem bisher durchfcchrenen Halborient
davon erfahren hatten, flößte uns wenig Trost für den echten Orient ein. Aber
die Hauptsache sür den Augenblick war, daß das Schwarze Meer — und am
Abend verdient es vor Varna diesen Namen sicherlich — sich selbst verleugnete
und gastlicher war, als es schon seit dem Altertume den Uns hat. Das
Schiff glich einer Arche Noah, nur mit dem Unterschiede, daß sich seither die
Rassen erheblich vermehrt hatten und deshalb viel mehr Vertreter derselben aus
der Danae als in der Arche vorhanden waren. Ans dem Hinterdeck hatten
sich Slawen jeder Spielart, Türken und sonstige Orientalen mit ihren ver¬
hüllten Frauen malerisch auf Decken und Teppichen gelagert und blickten angst-
svll nach dem Himmel, der Regen zu verheißen schien. Auf dem Vorderdeck


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[0108] Line Fahrt in den Grient. daß trotz aller unsrer Siege die Engländer immer noch höhern Kurs genießen. Es war schon dunkel geworden, als wir dem Ziele nahe durch sumpfigen Boden fuhren, dessen betäubende Dünste den Vergleich mit den pontinischen Sümpfen aushalten können. Endlich erblickten wir das Meer, und nicht froher mögen die Scharen Xenophons bei dem Anblicke des Pvntos euxeinos begeistert „Tha- lassa, Thalassa" gerufen haben, als uns die Erlösung aus dem heißen Wagen beglückte. Von Varna, dessen Lichter uns von fern entgegenstrahlten, haben wir nichts gesehen und wohl auch nichts verloren; es scheint nur ein neues bulgarisches Vollwerk russischer Herrschaft zu sein, deun auf dem Bahnhöfe wimmelte es von Offizieren mit glänzenden Uniformen und zahllosen Sternen auf der Heldenbrust. Wir mußten uns beeilen, in die Barken zu gelangen, die uns an den weit draußen im Meere harrenden Dampfer bringen sollten. Daß es keinen Hafen giebt, der den Schiffen ermöglicht, sich dem Ufer zu nähern, sollte für uns nicht verhängnisvoll werden. Deun Neptun war uns günstig und gestattete für diesmal, daß die Barten das Meer ruhig befahren konnten. Das ist nicht immer so; oft werden die Reisenden einem Umlege- und Stapel¬ zwang in Varna unterworfen, wenn das unruhige Meer eine Beförderung der¬ selben zum Dampfer unmöglich macht. Gleich die zwei nächsten Schiffe nach uns konnten wegen des heftigen Windes keine Personen an Bord nehmen. Auch war uns der Kismeth weiter günstig, als wir beim Besteigen der Barken weder Hals noch Beine brachen. Besteigen ist eigentlich ein unrichtiger Aus¬ druck, deun man muß von der beträchtlichen Höhe des Uferrandes in sie hinab- springen, und dabei werden eigentlich nur Preisturner das Fallen vermeiden können. Mich tröstete es einigermaßen, soweit gemeinsamer Unfall Trost ge¬ währt, daß auch Fuad Pascha, der von eiuer Mission aus Wien zurückkehrte, dieselben equilibristischen Künste mit dem gleichen Erfolge üben mußte. Trotz aller Fährlichkeiten langten wir über ein spiegelglattes Meer bei der „Danae" an, einem mächtigen Dampfer des österreichisch-ungarischen Lloyd, der hier allein den Verkehr vermittelt. Mit einem leichten Schaudern sahen wir in dem Namen des Schiffes ein tiefbedentendes Vorzeichen, denn wie Danae, so liebt auch der Orient den Goldregen, und was wir in dem bisher durchfcchrenen Halborient davon erfahren hatten, flößte uns wenig Trost für den echten Orient ein. Aber die Hauptsache sür den Augenblick war, daß das Schwarze Meer — und am Abend verdient es vor Varna diesen Namen sicherlich — sich selbst verleugnete und gastlicher war, als es schon seit dem Altertume den Uns hat. Das Schiff glich einer Arche Noah, nur mit dem Unterschiede, daß sich seither die Rassen erheblich vermehrt hatten und deshalb viel mehr Vertreter derselben aus der Danae als in der Arche vorhanden waren. Ans dem Hinterdeck hatten sich Slawen jeder Spielart, Türken und sonstige Orientalen mit ihren ver¬ hüllten Frauen malerisch auf Decken und Teppichen gelagert und blickten angst- svll nach dem Himmel, der Regen zu verheißen schien. Auf dem Vorderdeck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/108>, abgerufen am 24.08.2024.