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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

ich ihrer in besondrer Dankbarkeit gedenke, denn sie verhinderte durch ihr an¬
mutiges Plaudern, daß wir gänzlich in politische Kannegießeret versanken, und
tröstete uns über die geringen landschaftlichen Schönheiten durch ihre begeisterten
Schilderungen dessen, was uns am goldnen Horn erwarte. Ihr könnt euch
übrigeus deuten, daß man ein wahrer Mezzofanti sein müßte, um sich überall
in dieser Sprachverwirrung auf dem Schiffe einzurichten, und ohne die Kenntnis
der vier Hauptsprachen würde der Verkehr fast unmöglich werden.

Von Belgrad haben wir nicht viel zu Gesicht bekommen, obwohl wir dort
am Morgen etwa eine Stunde mit Ein- und Ausladen beschäftigt vor Anker
lagen. Von der save aus sind nur einige kleine Häuser zu sehen, dagegen
zeigt sich die emporstrebende Stadt von der Douauseite in günstigeren Lichte.
Der Fez und die Pumphosen mit dem breiten bunten Gürtel beginnen Landes¬
tracht zu werden, und die Züge der Männer zeigen immer mehr den Typus,
wie ich ihn euch von Pest aus geschildert habe. Heute haben wir den land¬
schaftlichen Höhepunkt der Fahrt erreicht und haben jenen Teil der Donau
durchzogen, der eigentlich allein die Fahrt auf ihr verdient. Der Strom macht
unausgesetzt Biegungen, von beiden Seiten erheben sich hohe Berge, die Ufer
verengen sich, sodaß sich der Fluß oft wie ein ringsumschlossener See zeigt. Bei
alledem kann ich doch nicht behaupten, daß es hier schöner sei als auf dem
Rhein zwischen Bingen und Mainz, es ist wilder, aber auch weniger harmonisch.
Bei dem Genuß schöner Dinge soll man zwar nicht vergleichen, aber für das
richtige Verständnis ist gerade die vergleichende Methode die richtige. Daß
von Bazias ans die Donau reißend und die Schifffahrt gefährlich ist, wißt ihr,
und so erwähne ich dies nur, ohne näher zu beschreiben, was ihr in allen Reise¬
handbüchern finden könnt. Aber inmitten dieser halbasiatischen Kultur stießen
wir auf Spuren des mächtigsten Volkes im Altertum; bei dem Engpaß von
Kazan verkündete uns eine Inschrift, daß Kaiser Trajan bis hierher siegreich
vorgedrungen war, und an dem rechten Ufer scheu wir noch die Neste der
Römerstraße und der Brückeulöcher, welche die Balken hielten; denn wo der Weg
bei dem Mangel an Sprengstoffen nicht durch die Felsen hatte getrieben werden
können, scheinen sie von dein Flusse aus eine Art von Brücke bis zu den Felsen
hergestellt zu haben. Wie die Landschaft, so wechselt auch die Staatsangehörigkeit
der Ufer, sodaß wir aus Serbien bald wieder nach Ungarn kamen und in
Orsova zum Übermächten landeten. Es war noch hell genug, um einen Gang
ans Land zu machen, weniger um uns das kleine schmutzige Grenzstädtchen
anzusehen, als um die Briefe an euch zur Post zu befördern und wieder einmal
festen Boden unter den Füßen zu fühle". Der Charakter der Grenzstadt zeigte
sich in den vielen fragwürdigen Gestalten, die uns auf unserm Gange begegneten.
Da gab es Serben und Türken, Popen, die im Rufe russischer Agitatoren
stehen, Zigeunerweiber mit weißen Röcken und laugen seidnen Franzen, welche
von der Taille herabhingen, und ähnliche Typen. Wie wir auf das Schiff


Line Fahrt in den Grient.

ich ihrer in besondrer Dankbarkeit gedenke, denn sie verhinderte durch ihr an¬
mutiges Plaudern, daß wir gänzlich in politische Kannegießeret versanken, und
tröstete uns über die geringen landschaftlichen Schönheiten durch ihre begeisterten
Schilderungen dessen, was uns am goldnen Horn erwarte. Ihr könnt euch
übrigeus deuten, daß man ein wahrer Mezzofanti sein müßte, um sich überall
in dieser Sprachverwirrung auf dem Schiffe einzurichten, und ohne die Kenntnis
der vier Hauptsprachen würde der Verkehr fast unmöglich werden.

Von Belgrad haben wir nicht viel zu Gesicht bekommen, obwohl wir dort
am Morgen etwa eine Stunde mit Ein- und Ausladen beschäftigt vor Anker
lagen. Von der save aus sind nur einige kleine Häuser zu sehen, dagegen
zeigt sich die emporstrebende Stadt von der Douauseite in günstigeren Lichte.
Der Fez und die Pumphosen mit dem breiten bunten Gürtel beginnen Landes¬
tracht zu werden, und die Züge der Männer zeigen immer mehr den Typus,
wie ich ihn euch von Pest aus geschildert habe. Heute haben wir den land¬
schaftlichen Höhepunkt der Fahrt erreicht und haben jenen Teil der Donau
durchzogen, der eigentlich allein die Fahrt auf ihr verdient. Der Strom macht
unausgesetzt Biegungen, von beiden Seiten erheben sich hohe Berge, die Ufer
verengen sich, sodaß sich der Fluß oft wie ein ringsumschlossener See zeigt. Bei
alledem kann ich doch nicht behaupten, daß es hier schöner sei als auf dem
Rhein zwischen Bingen und Mainz, es ist wilder, aber auch weniger harmonisch.
Bei dem Genuß schöner Dinge soll man zwar nicht vergleichen, aber für das
richtige Verständnis ist gerade die vergleichende Methode die richtige. Daß
von Bazias ans die Donau reißend und die Schifffahrt gefährlich ist, wißt ihr,
und so erwähne ich dies nur, ohne näher zu beschreiben, was ihr in allen Reise¬
handbüchern finden könnt. Aber inmitten dieser halbasiatischen Kultur stießen
wir auf Spuren des mächtigsten Volkes im Altertum; bei dem Engpaß von
Kazan verkündete uns eine Inschrift, daß Kaiser Trajan bis hierher siegreich
vorgedrungen war, und an dem rechten Ufer scheu wir noch die Neste der
Römerstraße und der Brückeulöcher, welche die Balken hielten; denn wo der Weg
bei dem Mangel an Sprengstoffen nicht durch die Felsen hatte getrieben werden
können, scheinen sie von dein Flusse aus eine Art von Brücke bis zu den Felsen
hergestellt zu haben. Wie die Landschaft, so wechselt auch die Staatsangehörigkeit
der Ufer, sodaß wir aus Serbien bald wieder nach Ungarn kamen und in
Orsova zum Übermächten landeten. Es war noch hell genug, um einen Gang
ans Land zu machen, weniger um uns das kleine schmutzige Grenzstädtchen
anzusehen, als um die Briefe an euch zur Post zu befördern und wieder einmal
festen Boden unter den Füßen zu fühle». Der Charakter der Grenzstadt zeigte
sich in den vielen fragwürdigen Gestalten, die uns auf unserm Gange begegneten.
Da gab es Serben und Türken, Popen, die im Rufe russischer Agitatoren
stehen, Zigeunerweiber mit weißen Röcken und laugen seidnen Franzen, welche
von der Taille herabhingen, und ähnliche Typen. Wie wir auf das Schiff


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[0104] Line Fahrt in den Grient. ich ihrer in besondrer Dankbarkeit gedenke, denn sie verhinderte durch ihr an¬ mutiges Plaudern, daß wir gänzlich in politische Kannegießeret versanken, und tröstete uns über die geringen landschaftlichen Schönheiten durch ihre begeisterten Schilderungen dessen, was uns am goldnen Horn erwarte. Ihr könnt euch übrigeus deuten, daß man ein wahrer Mezzofanti sein müßte, um sich überall in dieser Sprachverwirrung auf dem Schiffe einzurichten, und ohne die Kenntnis der vier Hauptsprachen würde der Verkehr fast unmöglich werden. Von Belgrad haben wir nicht viel zu Gesicht bekommen, obwohl wir dort am Morgen etwa eine Stunde mit Ein- und Ausladen beschäftigt vor Anker lagen. Von der save aus sind nur einige kleine Häuser zu sehen, dagegen zeigt sich die emporstrebende Stadt von der Douauseite in günstigeren Lichte. Der Fez und die Pumphosen mit dem breiten bunten Gürtel beginnen Landes¬ tracht zu werden, und die Züge der Männer zeigen immer mehr den Typus, wie ich ihn euch von Pest aus geschildert habe. Heute haben wir den land¬ schaftlichen Höhepunkt der Fahrt erreicht und haben jenen Teil der Donau durchzogen, der eigentlich allein die Fahrt auf ihr verdient. Der Strom macht unausgesetzt Biegungen, von beiden Seiten erheben sich hohe Berge, die Ufer verengen sich, sodaß sich der Fluß oft wie ein ringsumschlossener See zeigt. Bei alledem kann ich doch nicht behaupten, daß es hier schöner sei als auf dem Rhein zwischen Bingen und Mainz, es ist wilder, aber auch weniger harmonisch. Bei dem Genuß schöner Dinge soll man zwar nicht vergleichen, aber für das richtige Verständnis ist gerade die vergleichende Methode die richtige. Daß von Bazias ans die Donau reißend und die Schifffahrt gefährlich ist, wißt ihr, und so erwähne ich dies nur, ohne näher zu beschreiben, was ihr in allen Reise¬ handbüchern finden könnt. Aber inmitten dieser halbasiatischen Kultur stießen wir auf Spuren des mächtigsten Volkes im Altertum; bei dem Engpaß von Kazan verkündete uns eine Inschrift, daß Kaiser Trajan bis hierher siegreich vorgedrungen war, und an dem rechten Ufer scheu wir noch die Neste der Römerstraße und der Brückeulöcher, welche die Balken hielten; denn wo der Weg bei dem Mangel an Sprengstoffen nicht durch die Felsen hatte getrieben werden können, scheinen sie von dein Flusse aus eine Art von Brücke bis zu den Felsen hergestellt zu haben. Wie die Landschaft, so wechselt auch die Staatsangehörigkeit der Ufer, sodaß wir aus Serbien bald wieder nach Ungarn kamen und in Orsova zum Übermächten landeten. Es war noch hell genug, um einen Gang ans Land zu machen, weniger um uns das kleine schmutzige Grenzstädtchen anzusehen, als um die Briefe an euch zur Post zu befördern und wieder einmal festen Boden unter den Füßen zu fühle». Der Charakter der Grenzstadt zeigte sich in den vielen fragwürdigen Gestalten, die uns auf unserm Gange begegneten. Da gab es Serben und Türken, Popen, die im Rufe russischer Agitatoren stehen, Zigeunerweiber mit weißen Röcken und laugen seidnen Franzen, welche von der Taille herabhingen, und ähnliche Typen. Wie wir auf das Schiff

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/104>, abgerufen am 21.06.2024.