Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Die Bestrafung der Trunkenheit. werden muß. Daß ein Bedürfnis zur Bestrafung der Trunkenheit in Deutsch¬ Der Entwurf bedrohte jeden, welcher an öffentlichen Orten in einem nicht Grenzboten III. 1387. S
Die Bestrafung der Trunkenheit. werden muß. Daß ein Bedürfnis zur Bestrafung der Trunkenheit in Deutsch¬ Der Entwurf bedrohte jeden, welcher an öffentlichen Orten in einem nicht Grenzboten III. 1387. S
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200852"/> <fw type="header" place="top"> Die Bestrafung der Trunkenheit.</fw><lb/> <p xml:id="ID_215" prev="#ID_214"> werden muß. Daß ein Bedürfnis zur Bestrafung der Trunkenheit in Deutsch¬<lb/> land vorhanden ist, wird von keinem einsichtsvollen und vorurteilsfreien Be¬<lb/> obachter des deutschen Volkslebens bestritten. Die verschiedensten gemeinnützigen<lb/> Vereine und Versammlungen treten seit Jahren energisch dafür ein, daß von<lb/> Reichs wegen sür eine Befriedigung desselben gesorgt werde, und mögen im<lb/> übrigen auch über die Heilung der sittlichen Schäden des Volkslebens die An¬<lb/> sichten und Vorschläge noch so weit auseincindcrgehen, in diesem Punkte ist<lb/> man im großen und ganzen so ziemlich der gleichen Meinung. Die Theologen<lb/> beider Konfessionen verlangen ebenso ein strafrechtliches Vorgehen gegen die<lb/> Trunkenheit wie die Strafanstaltsbeamten, die evangelischen Synoden ünßern<lb/> nicht minder dahin gerichtete Wünsche lvie die Rheinisch-Westfälische Ge¬<lb/> fängnisgesellschaft, die Armenpfleger sind in diesem Punkte mit dem Verein<lb/> gegen den Mißbrauch geistiger Getränke ganz einer Ansicht, Beweis genug,<lb/> daß in den weitesten Kreisen das Bedürfnis als dringend anerkannt wird und<lb/> man die Hoffnung hat, mit Hilfe eines schneidigen Trunkenheitsgesetzes und<lb/> einer schneidigen Anwendung desselben dem heillosen Unwesen des Alkoholismus<lb/> einigermaßen steuern zu können. Bereits im Jahre 1881 beschäftigte diese<lb/> Frage die Reichsgesetzgebung. Es wurde damals von der Neichsregierung<lb/> dem Reichstage ein Gesetzentwurf zur Bestrafung der Trunkenheit vorgelegt,<lb/> dessen wichtigste Bestimmung in der zu seiner Beratung gewählten Kom¬<lb/> mission lediglich einer redaktionellen Änderung unterzogen wurde. Gleich¬<lb/> wohl erlangte der Entwurf, um dessen Vorlegung sich die Rheinisch-Westfälische<lb/> Gefüngnisgesellschaft sehr bemüht hatte, aus hier nicht weiter zu erörternden<lb/> Gründen keine Gesetzeskraft, und seitdem wurde kein weiterer Schritt von der<lb/> Regierung unternommen, eine Ergänzung oder Vervollständigung des deutschen<lb/> Strafrechtes in dieser Richtung herbeizuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_216" next="#ID_217"> Der Entwurf bedrohte jeden, welcher an öffentlichen Orten in einem nicht<lb/> unverschuldeten Zustande ärgerniserregender Trunkenheit betroffen wird, mit<lb/> Strafe. Die Reichstagskommission war mit der Beschränkung der Strafbarkeit<lb/> auf diesen Fall vollkommen einverstanden, und sah sich nur veranlaßt, das<lb/> „nicht unverschuldet" in ein „selbstverschuldet" umzuwandeln, was dem bisher<lb/> von der Reichsgesetzgebung festgehaltenen Sprachgebrauche entspricht. Aus<lb/> dieser Fassung geht mit Deutlichkeit hervor, daß die Reichsgesetzgebung nicht<lb/> schon in der Trunkenheit an und für sich eine strafbare Handlung erblickte,<lb/> sondern nur dann, wenn sie der Öffentlichkeit und zwar in einer solchen Weise<lb/> gegenübertritt, daß hierdurch ein Ärgernis erregt wird. Wie das Gesetz auch<lb/> in andern Fällen gewisse unsittliche Handlungen mir unter der Voraussetzung<lb/> straft, daß sie öffentlich verübt werden und Ärgernis erregen oder doch zu er¬<lb/> regen geeignet sind — Gotteslästerung, unzüchtiges Betragen, Tierquälerei —,<lb/> so wollte es auch die Trunkenheit nur unter dieser Voraussetzung gestraft<lb/> wissen; nur der Betrunkene, dessen Zustand auf öffentlichen Plätzen Ärgernis</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1387. S</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Die Bestrafung der Trunkenheit.
werden muß. Daß ein Bedürfnis zur Bestrafung der Trunkenheit in Deutsch¬
land vorhanden ist, wird von keinem einsichtsvollen und vorurteilsfreien Be¬
obachter des deutschen Volkslebens bestritten. Die verschiedensten gemeinnützigen
Vereine und Versammlungen treten seit Jahren energisch dafür ein, daß von
Reichs wegen sür eine Befriedigung desselben gesorgt werde, und mögen im
übrigen auch über die Heilung der sittlichen Schäden des Volkslebens die An¬
sichten und Vorschläge noch so weit auseincindcrgehen, in diesem Punkte ist
man im großen und ganzen so ziemlich der gleichen Meinung. Die Theologen
beider Konfessionen verlangen ebenso ein strafrechtliches Vorgehen gegen die
Trunkenheit wie die Strafanstaltsbeamten, die evangelischen Synoden ünßern
nicht minder dahin gerichtete Wünsche lvie die Rheinisch-Westfälische Ge¬
fängnisgesellschaft, die Armenpfleger sind in diesem Punkte mit dem Verein
gegen den Mißbrauch geistiger Getränke ganz einer Ansicht, Beweis genug,
daß in den weitesten Kreisen das Bedürfnis als dringend anerkannt wird und
man die Hoffnung hat, mit Hilfe eines schneidigen Trunkenheitsgesetzes und
einer schneidigen Anwendung desselben dem heillosen Unwesen des Alkoholismus
einigermaßen steuern zu können. Bereits im Jahre 1881 beschäftigte diese
Frage die Reichsgesetzgebung. Es wurde damals von der Neichsregierung
dem Reichstage ein Gesetzentwurf zur Bestrafung der Trunkenheit vorgelegt,
dessen wichtigste Bestimmung in der zu seiner Beratung gewählten Kom¬
mission lediglich einer redaktionellen Änderung unterzogen wurde. Gleich¬
wohl erlangte der Entwurf, um dessen Vorlegung sich die Rheinisch-Westfälische
Gefüngnisgesellschaft sehr bemüht hatte, aus hier nicht weiter zu erörternden
Gründen keine Gesetzeskraft, und seitdem wurde kein weiterer Schritt von der
Regierung unternommen, eine Ergänzung oder Vervollständigung des deutschen
Strafrechtes in dieser Richtung herbeizuführen.
Der Entwurf bedrohte jeden, welcher an öffentlichen Orten in einem nicht
unverschuldeten Zustande ärgerniserregender Trunkenheit betroffen wird, mit
Strafe. Die Reichstagskommission war mit der Beschränkung der Strafbarkeit
auf diesen Fall vollkommen einverstanden, und sah sich nur veranlaßt, das
„nicht unverschuldet" in ein „selbstverschuldet" umzuwandeln, was dem bisher
von der Reichsgesetzgebung festgehaltenen Sprachgebrauche entspricht. Aus
dieser Fassung geht mit Deutlichkeit hervor, daß die Reichsgesetzgebung nicht
schon in der Trunkenheit an und für sich eine strafbare Handlung erblickte,
sondern nur dann, wenn sie der Öffentlichkeit und zwar in einer solchen Weise
gegenübertritt, daß hierdurch ein Ärgernis erregt wird. Wie das Gesetz auch
in andern Fällen gewisse unsittliche Handlungen mir unter der Voraussetzung
straft, daß sie öffentlich verübt werden und Ärgernis erregen oder doch zu er¬
regen geeignet sind — Gotteslästerung, unzüchtiges Betragen, Tierquälerei —,
so wollte es auch die Trunkenheit nur unter dieser Voraussetzung gestraft
wissen; nur der Betrunkene, dessen Zustand auf öffentlichen Plätzen Ärgernis
Grenzboten III. 1387. S
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