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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hiddensee.

auch alle, die tags zuvor gefallen waren. Und in den Liedern heißt es, die
Hiadnigc würden so fortfahren bis zur Götterdämmerung." Offenbar hat diese
Darstellung vor der des Saxo einige echte und altertümliche Züge voraus,
wenngleich auch hier schon Hilde ans einer Göttin in eine Königstochter um¬
gedeutet ist.

Noch tiefer aber in den Mythos greift jene von edelster Poesie erfüllte
Gestaltung der Sage zurück, die uns in den Helgiliedern der sogenannten
Sämund-Edda vorliegt. Helgi, Sigmunds Sohn, aus dem Wölsungengeschlechte,
der kühne Held, welcher den Huudiug samt seinen Söhnen überwunden und er¬
schlagen hat, wird vou Sigruu, Högnis Tochter, geliebt, noch ehe sie ihn gesehen
hat. Diesen Zug, sowie den Namen Högni, hat also das Eddalied mit der
Überlieferung des Saxo gemein. Aber im Liede erscheint die Liebende als
Walküre, die als solche mit der Macht ausgestattet ist, ihre Lieblinge zu schützen.
Als daher Helgi in den Kampf zieht wider Högni und Granmar, dessen Sohn
Hödbrod von Sigruu mit höhnenden Worten zurückgewiesen worden ist, geleitet die
Walküre den Geliebten nicht uur durch die Schrecken des Seestnrms. sondern
schirmt ihn auch im Kampfgetümmel. Und wenn sie nach dem Kampfe spricht:
"Zu Lebenden möcht' ich mir erkiesen, die heimgegangen sind," so finden wir
das Schlußmotiv der eben geschilderten Überlieferungen wenigstens augedeutet.
schöner und bedeutungsvoller aber, wenn auch anders geformt, tritt dieses am
Schlüsse der Dichtung hervor. Denn als Helgi, dem sich die Walküre nach Högnis
und Hödbrods Tode vermählt hat, von ihrem Brnoer Dag, dem einzig Über¬
senden ihres Geschlechtes, meuchlings erschlagen ist, ruft die Liebende durch
ihre Klagen den Gatten aus seinem Grabe ans Licht; so ist ihr den Tod über¬
windender Schmerz das Urbild der weitverzweigten Lenorensage, die für uns
Deutsche Bürger klassisch gestaltet hat. Daß auch Hedinsö in einem der
Lieder genannt wird, mag Zufall sein. Viele Helden, so lesen wir im ersten
Helgiliede. kamen dem Helgi von Hedinsö zu Hilfe. Man sieht, das unwirtliche
Eiland ist i" der Phantasie des nordischen Dichters zu einem volkreichen und
"nichtigen Reiche geworden; und es ist uicht notwendig, mit einem Herausgeber
der Edda an ein andres Land gleichen Namens zu denken.

Einen weiteren Nachklang aller dieser Sagen finden wir endlich im zweiten
Teile der Gudrundichtung. Auch hier Fraueuraub, Kampf und Versöhnung.
Denn der König Hettel läßt durch seine Getreuen Hilde, die Tochter des Königs
Hagen, entführen, und als der Vater den Fliehenden nachsetzt, entspinnt sich am
User ein heftiger Kampf, der aber bald, nicht ohne Zuthun der geraubten
Königstochter, beendigt wird. Und hier ist die Gleichheit des Namens -- Hagen
lst nämlich gleich dem nordischen Högni -- wohl nicht bloßer Zufall, sondern
Zeichen, daß wir es mit der neuen Abwandlung eines alten Grnndthemas
thun haben.

So hat sich denn in dem Worte Hiddensee, das uns jetzt erstarrt wie ein


Hiddensee.

auch alle, die tags zuvor gefallen waren. Und in den Liedern heißt es, die
Hiadnigc würden so fortfahren bis zur Götterdämmerung." Offenbar hat diese
Darstellung vor der des Saxo einige echte und altertümliche Züge voraus,
wenngleich auch hier schon Hilde ans einer Göttin in eine Königstochter um¬
gedeutet ist.

Noch tiefer aber in den Mythos greift jene von edelster Poesie erfüllte
Gestaltung der Sage zurück, die uns in den Helgiliedern der sogenannten
Sämund-Edda vorliegt. Helgi, Sigmunds Sohn, aus dem Wölsungengeschlechte,
der kühne Held, welcher den Huudiug samt seinen Söhnen überwunden und er¬
schlagen hat, wird vou Sigruu, Högnis Tochter, geliebt, noch ehe sie ihn gesehen
hat. Diesen Zug, sowie den Namen Högni, hat also das Eddalied mit der
Überlieferung des Saxo gemein. Aber im Liede erscheint die Liebende als
Walküre, die als solche mit der Macht ausgestattet ist, ihre Lieblinge zu schützen.
Als daher Helgi in den Kampf zieht wider Högni und Granmar, dessen Sohn
Hödbrod von Sigruu mit höhnenden Worten zurückgewiesen worden ist, geleitet die
Walküre den Geliebten nicht uur durch die Schrecken des Seestnrms. sondern
schirmt ihn auch im Kampfgetümmel. Und wenn sie nach dem Kampfe spricht:
»Zu Lebenden möcht' ich mir erkiesen, die heimgegangen sind," so finden wir
das Schlußmotiv der eben geschilderten Überlieferungen wenigstens augedeutet.
schöner und bedeutungsvoller aber, wenn auch anders geformt, tritt dieses am
Schlüsse der Dichtung hervor. Denn als Helgi, dem sich die Walküre nach Högnis
und Hödbrods Tode vermählt hat, von ihrem Brnoer Dag, dem einzig Über¬
senden ihres Geschlechtes, meuchlings erschlagen ist, ruft die Liebende durch
ihre Klagen den Gatten aus seinem Grabe ans Licht; so ist ihr den Tod über¬
windender Schmerz das Urbild der weitverzweigten Lenorensage, die für uns
Deutsche Bürger klassisch gestaltet hat. Daß auch Hedinsö in einem der
Lieder genannt wird, mag Zufall sein. Viele Helden, so lesen wir im ersten
Helgiliede. kamen dem Helgi von Hedinsö zu Hilfe. Man sieht, das unwirtliche
Eiland ist i„ der Phantasie des nordischen Dichters zu einem volkreichen und
"nichtigen Reiche geworden; und es ist uicht notwendig, mit einem Herausgeber
der Edda an ein andres Land gleichen Namens zu denken.

Einen weiteren Nachklang aller dieser Sagen finden wir endlich im zweiten
Teile der Gudrundichtung. Auch hier Fraueuraub, Kampf und Versöhnung.
Denn der König Hettel läßt durch seine Getreuen Hilde, die Tochter des Königs
Hagen, entführen, und als der Vater den Fliehenden nachsetzt, entspinnt sich am
User ein heftiger Kampf, der aber bald, nicht ohne Zuthun der geraubten
Königstochter, beendigt wird. Und hier ist die Gleichheit des Namens — Hagen
lst nämlich gleich dem nordischen Högni — wohl nicht bloßer Zufall, sondern
Zeichen, daß wir es mit der neuen Abwandlung eines alten Grnndthemas
thun haben.

So hat sich denn in dem Worte Hiddensee, das uns jetzt erstarrt wie ein


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[0627] Hiddensee. auch alle, die tags zuvor gefallen waren. Und in den Liedern heißt es, die Hiadnigc würden so fortfahren bis zur Götterdämmerung." Offenbar hat diese Darstellung vor der des Saxo einige echte und altertümliche Züge voraus, wenngleich auch hier schon Hilde ans einer Göttin in eine Königstochter um¬ gedeutet ist. Noch tiefer aber in den Mythos greift jene von edelster Poesie erfüllte Gestaltung der Sage zurück, die uns in den Helgiliedern der sogenannten Sämund-Edda vorliegt. Helgi, Sigmunds Sohn, aus dem Wölsungengeschlechte, der kühne Held, welcher den Huudiug samt seinen Söhnen überwunden und er¬ schlagen hat, wird vou Sigruu, Högnis Tochter, geliebt, noch ehe sie ihn gesehen hat. Diesen Zug, sowie den Namen Högni, hat also das Eddalied mit der Überlieferung des Saxo gemein. Aber im Liede erscheint die Liebende als Walküre, die als solche mit der Macht ausgestattet ist, ihre Lieblinge zu schützen. Als daher Helgi in den Kampf zieht wider Högni und Granmar, dessen Sohn Hödbrod von Sigruu mit höhnenden Worten zurückgewiesen worden ist, geleitet die Walküre den Geliebten nicht uur durch die Schrecken des Seestnrms. sondern schirmt ihn auch im Kampfgetümmel. Und wenn sie nach dem Kampfe spricht: »Zu Lebenden möcht' ich mir erkiesen, die heimgegangen sind," so finden wir das Schlußmotiv der eben geschilderten Überlieferungen wenigstens augedeutet. schöner und bedeutungsvoller aber, wenn auch anders geformt, tritt dieses am Schlüsse der Dichtung hervor. Denn als Helgi, dem sich die Walküre nach Högnis und Hödbrods Tode vermählt hat, von ihrem Brnoer Dag, dem einzig Über¬ senden ihres Geschlechtes, meuchlings erschlagen ist, ruft die Liebende durch ihre Klagen den Gatten aus seinem Grabe ans Licht; so ist ihr den Tod über¬ windender Schmerz das Urbild der weitverzweigten Lenorensage, die für uns Deutsche Bürger klassisch gestaltet hat. Daß auch Hedinsö in einem der Lieder genannt wird, mag Zufall sein. Viele Helden, so lesen wir im ersten Helgiliede. kamen dem Helgi von Hedinsö zu Hilfe. Man sieht, das unwirtliche Eiland ist i„ der Phantasie des nordischen Dichters zu einem volkreichen und "nichtigen Reiche geworden; und es ist uicht notwendig, mit einem Herausgeber der Edda an ein andres Land gleichen Namens zu denken. Einen weiteren Nachklang aller dieser Sagen finden wir endlich im zweiten Teile der Gudrundichtung. Auch hier Fraueuraub, Kampf und Versöhnung. Denn der König Hettel läßt durch seine Getreuen Hilde, die Tochter des Königs Hagen, entführen, und als der Vater den Fliehenden nachsetzt, entspinnt sich am User ein heftiger Kampf, der aber bald, nicht ohne Zuthun der geraubten Königstochter, beendigt wird. Und hier ist die Gleichheit des Namens — Hagen lst nämlich gleich dem nordischen Högni — wohl nicht bloßer Zufall, sondern Zeichen, daß wir es mit der neuen Abwandlung eines alten Grnndthemas thun haben. So hat sich denn in dem Worte Hiddensee, das uns jetzt erstarrt wie ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/627>, abgerufen am 25.08.2024.