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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation,

Größe ausgegangen; von dort aus haben sich hauptsächlich jene Regimenter
rekrutirt, deren Fahnen in den Entscheidnngskämpfen der Sieg gefolgt ist. Bei
der jetzigen politischen Lage ist der Osten das wichtigste Land; denn dasselbe
soll das Bollwerk sein gegen das Überfluten und den Ansturm des Pcmsla-
wismus. In nationaler Hinsicht muß daher die Stärkung der östlichen Pro¬
vinzen der erste Gesichtspunkt sein; diese Stärkung wird aber zuerst in der
Verdichtung der ländlichen, ackerbautreibenden Bevölkerung zu suchen sein. Eine
der größten Thaten des deutschen Volkes wird immer die Kolonisation des
Ostens bleiben. Möge an die Thaten des deutschen Ordens, Friedrich Wil¬
helms I. und Friedrichs des Großen mit modernen Mitteln, d. h. mit dem Gelde,
angeknüpft werden!

Die zweite Folge der befürworteten Maßregel würde die Hebung der
Landwirtschaft sein. Was die jetzige, zum großen Teile an dem Vorwiegen des
Großgrundbesitzes kränkende Lage der Landwirtschaft in volkswirtschaftlicher
Hinsicht und für die Interessen der Bodenkultur zu bedeuten und welche Nach¬
teile diese Lage im Gefolge hat, beweist z. B. eine einzige Nachricht in einem
Berichte eines pommerschen Hanptvereins, wonach ein großes Gut fast dreiviertel
Jahre ohne Besitzer, ohne sonstige Bewohner gewesen ist, bis endlich die Land¬
schaft die Sequestration eingeleitet, das Inventar wieder angeschafft und so die
Wirtschaft in Gang gebracht hat. Während in der Nähe der großen Städte,
namentlich um Berlin herum, jeder Quadratmeter Raum kaum mit Geld auf-
zuwiegen ist, ist ein großes Besitztum in Pommern kaum des Aufhebens wert!
Große Teile von Pommern und viele andre Striche in den östlichen Pro¬
vinzen sind nicht allzu fruchtbar, sie bestehen aus leichtem Boden. Hier kann nur
der Kleinbetrieb eine bessere Kultur des Bodens herbeiführen. Der Großgrund¬
besitzer ist bei den immer mehr versiegenden Einnahmequellen hierzu nicht im¬
stande. Die besten Schläge werden bei der Bestellung bevorzugt, die leichten
Anßeuschlcige vernachlässigt oder ihre Beackernng gar allmählich eingestellt.

Eine weitere Folge der Ausführung dieses Vorschlages würde ein Entgegen¬
treten gegen die zunehmende Übervölkerung der Städte und gegen das Zuströmen
der Massen zu den Mittelpunkten der Industrie sei". Jeder Mensch möchte
einmal selbständig werden; daher wird derjenige Beruf vorgezogen, in dem dieses
Ziel am ehesten winkt. Alle die Größen der Industrie, die es zu Millionen
gebracht haben, sind in ihre spätere Wirkungsstätte als arme Arbeiter oder
Handwerker eingezogen. Den Zauberstnb dieses Emporkommens kaun jedweder
in der Industrie, dies sagt er sich, in seinem Tornister tragen. Bei den jetzigen
Besitzverhältnissen im Osten, die selbst tüchtigen und allmählich zu etwas Ver¬
mögen gelangenden Arbeitern die Seßhaftigkeit unmöglich machen, ist das Ab¬
strömen gerade der bessern und tüchtigem Elemente nur zu leicht erklärlich.
Schon an dem immer akuter werdenden, durch keine sonstigen Mittel ab¬
wendbaren Arbeitermangel muß der Großgrundbesitz zu Grunde gehen.


Innere Kolonisation,

Größe ausgegangen; von dort aus haben sich hauptsächlich jene Regimenter
rekrutirt, deren Fahnen in den Entscheidnngskämpfen der Sieg gefolgt ist. Bei
der jetzigen politischen Lage ist der Osten das wichtigste Land; denn dasselbe
soll das Bollwerk sein gegen das Überfluten und den Ansturm des Pcmsla-
wismus. In nationaler Hinsicht muß daher die Stärkung der östlichen Pro¬
vinzen der erste Gesichtspunkt sein; diese Stärkung wird aber zuerst in der
Verdichtung der ländlichen, ackerbautreibenden Bevölkerung zu suchen sein. Eine
der größten Thaten des deutschen Volkes wird immer die Kolonisation des
Ostens bleiben. Möge an die Thaten des deutschen Ordens, Friedrich Wil¬
helms I. und Friedrichs des Großen mit modernen Mitteln, d. h. mit dem Gelde,
angeknüpft werden!

Die zweite Folge der befürworteten Maßregel würde die Hebung der
Landwirtschaft sein. Was die jetzige, zum großen Teile an dem Vorwiegen des
Großgrundbesitzes kränkende Lage der Landwirtschaft in volkswirtschaftlicher
Hinsicht und für die Interessen der Bodenkultur zu bedeuten und welche Nach¬
teile diese Lage im Gefolge hat, beweist z. B. eine einzige Nachricht in einem
Berichte eines pommerschen Hanptvereins, wonach ein großes Gut fast dreiviertel
Jahre ohne Besitzer, ohne sonstige Bewohner gewesen ist, bis endlich die Land¬
schaft die Sequestration eingeleitet, das Inventar wieder angeschafft und so die
Wirtschaft in Gang gebracht hat. Während in der Nähe der großen Städte,
namentlich um Berlin herum, jeder Quadratmeter Raum kaum mit Geld auf-
zuwiegen ist, ist ein großes Besitztum in Pommern kaum des Aufhebens wert!
Große Teile von Pommern und viele andre Striche in den östlichen Pro¬
vinzen sind nicht allzu fruchtbar, sie bestehen aus leichtem Boden. Hier kann nur
der Kleinbetrieb eine bessere Kultur des Bodens herbeiführen. Der Großgrund¬
besitzer ist bei den immer mehr versiegenden Einnahmequellen hierzu nicht im¬
stande. Die besten Schläge werden bei der Bestellung bevorzugt, die leichten
Anßeuschlcige vernachlässigt oder ihre Beackernng gar allmählich eingestellt.

Eine weitere Folge der Ausführung dieses Vorschlages würde ein Entgegen¬
treten gegen die zunehmende Übervölkerung der Städte und gegen das Zuströmen
der Massen zu den Mittelpunkten der Industrie sei». Jeder Mensch möchte
einmal selbständig werden; daher wird derjenige Beruf vorgezogen, in dem dieses
Ziel am ehesten winkt. Alle die Größen der Industrie, die es zu Millionen
gebracht haben, sind in ihre spätere Wirkungsstätte als arme Arbeiter oder
Handwerker eingezogen. Den Zauberstnb dieses Emporkommens kaun jedweder
in der Industrie, dies sagt er sich, in seinem Tornister tragen. Bei den jetzigen
Besitzverhältnissen im Osten, die selbst tüchtigen und allmählich zu etwas Ver¬
mögen gelangenden Arbeitern die Seßhaftigkeit unmöglich machen, ist das Ab¬
strömen gerade der bessern und tüchtigem Elemente nur zu leicht erklärlich.
Schon an dem immer akuter werdenden, durch keine sonstigen Mittel ab¬
wendbaren Arbeitermangel muß der Großgrundbesitz zu Grunde gehen.


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[0612] Innere Kolonisation, Größe ausgegangen; von dort aus haben sich hauptsächlich jene Regimenter rekrutirt, deren Fahnen in den Entscheidnngskämpfen der Sieg gefolgt ist. Bei der jetzigen politischen Lage ist der Osten das wichtigste Land; denn dasselbe soll das Bollwerk sein gegen das Überfluten und den Ansturm des Pcmsla- wismus. In nationaler Hinsicht muß daher die Stärkung der östlichen Pro¬ vinzen der erste Gesichtspunkt sein; diese Stärkung wird aber zuerst in der Verdichtung der ländlichen, ackerbautreibenden Bevölkerung zu suchen sein. Eine der größten Thaten des deutschen Volkes wird immer die Kolonisation des Ostens bleiben. Möge an die Thaten des deutschen Ordens, Friedrich Wil¬ helms I. und Friedrichs des Großen mit modernen Mitteln, d. h. mit dem Gelde, angeknüpft werden! Die zweite Folge der befürworteten Maßregel würde die Hebung der Landwirtschaft sein. Was die jetzige, zum großen Teile an dem Vorwiegen des Großgrundbesitzes kränkende Lage der Landwirtschaft in volkswirtschaftlicher Hinsicht und für die Interessen der Bodenkultur zu bedeuten und welche Nach¬ teile diese Lage im Gefolge hat, beweist z. B. eine einzige Nachricht in einem Berichte eines pommerschen Hanptvereins, wonach ein großes Gut fast dreiviertel Jahre ohne Besitzer, ohne sonstige Bewohner gewesen ist, bis endlich die Land¬ schaft die Sequestration eingeleitet, das Inventar wieder angeschafft und so die Wirtschaft in Gang gebracht hat. Während in der Nähe der großen Städte, namentlich um Berlin herum, jeder Quadratmeter Raum kaum mit Geld auf- zuwiegen ist, ist ein großes Besitztum in Pommern kaum des Aufhebens wert! Große Teile von Pommern und viele andre Striche in den östlichen Pro¬ vinzen sind nicht allzu fruchtbar, sie bestehen aus leichtem Boden. Hier kann nur der Kleinbetrieb eine bessere Kultur des Bodens herbeiführen. Der Großgrund¬ besitzer ist bei den immer mehr versiegenden Einnahmequellen hierzu nicht im¬ stande. Die besten Schläge werden bei der Bestellung bevorzugt, die leichten Anßeuschlcige vernachlässigt oder ihre Beackernng gar allmählich eingestellt. Eine weitere Folge der Ausführung dieses Vorschlages würde ein Entgegen¬ treten gegen die zunehmende Übervölkerung der Städte und gegen das Zuströmen der Massen zu den Mittelpunkten der Industrie sei». Jeder Mensch möchte einmal selbständig werden; daher wird derjenige Beruf vorgezogen, in dem dieses Ziel am ehesten winkt. Alle die Größen der Industrie, die es zu Millionen gebracht haben, sind in ihre spätere Wirkungsstätte als arme Arbeiter oder Handwerker eingezogen. Den Zauberstnb dieses Emporkommens kaun jedweder in der Industrie, dies sagt er sich, in seinem Tornister tragen. Bei den jetzigen Besitzverhältnissen im Osten, die selbst tüchtigen und allmählich zu etwas Ver¬ mögen gelangenden Arbeitern die Seßhaftigkeit unmöglich machen, ist das Ab¬ strömen gerade der bessern und tüchtigem Elemente nur zu leicht erklärlich. Schon an dem immer akuter werdenden, durch keine sonstigen Mittel ab¬ wendbaren Arbeitermangel muß der Großgrundbesitz zu Grunde gehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/612>, abgerufen am 25.08.2024.