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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Runstausstellung in Berlin.

verlassen, unbeholfene Kinder, welche die naivsten Dinge verübten und dann in
helle Entrüstung gerieten, wenn die blöde Menge nicht vor diesen kindlichen
Schildereien in Enthusiasmus ausbrach. Das ist eine bittere Lehre für unsre
Kunst gewesen, und die Folge war eine starke Gegenströmung, welche vielleicht
minder heftig gewesen wäre, wen" nicht jene abgestorbene Kunstrichtung und
ihre mehr oder minder anfechtbaren Erzeugnisse in gewissen Leitern von öffent¬
lichen Kunstsammlungen zum Nachteile der neueren Kunst eifrige Beschützer ge¬
funden hätten. Diese thatsächliche, hie und da wohl auch nur vermeintliche
Zurücksetzung gab der Oppositon ein schrofferes Antlitz und chüele dem Natura¬
lismus den Weg.

Wenn man naturgroße Darstellungen aus dem täglichen Leben also unter
dem Gesichtspunkte von Vorarbeiten zur Lösung von größern, edlern Aufgaben
betrachtet, wird man sie gelten lassen müssen. Sie sind Mittel zum Zweck.
Durch sie eignet sich der Künstler viel leichter die Herrschaft über die Technik
an, als wenn er umgekehrt vom räumlich Kleinen zum räumlich Großen vor¬
schreiten wollte. Man wird die Frage nach dem Maßstabe eines Bildes über¬
haupt nicht nach vorgefaßten Meinungen entscheiden können, sondern von Fall
zu Fall versuchen müssen, das Richtige zu finden. Wenn wir wirklich eine
moderne Ästhetik aus unsrer Kunstentwicklung und -bewegung ableiten wollten
-- und das Bedürfnis einer solchen wird in Künstler- und Laienkreisen
vielfach empfunden --, so müßten wir nach meiner Überzeugung und
langjährigen Beobachtung eine Art von Teleologie im gemeinen Sinne des
Wortes als Grundlage annehmen. Die Frage nach der Zweckmäßigkeit würde
das kritische Urteil in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen zu leiten haben,
und wenn dieser Grundsatz auch äußerst nüchtern klingt und mit der Würde der
Kunst nicht in Einklang zu stehen scheint, namentlich im Hinblick auf das stolze,
aber im Grnnde hohle und nichtssagende Wort: "Die Kunst ist sich Selbst¬
zweck," so wird man doch bald einsehen, daß man mit dieser Zweckmäßigkeits¬
theorie viel weiter kommt als mit einem Schachtelsysteme vorher definirter Be¬
griffe von Schön und Häßlich, Erhaben und Trivial, Edel und Gemein u. s. w.,
in welches hinterher alles hineingepaßt werden soll. Wer sich an das Werk
einer modernen Ästhetik machen will, sehe von vornherein von der Aufstellung
allgemeiugiltiger Begriffe ab. Das Wort von den "ewigen unverrückbaren Ge¬
setzen der Menschheit" ist eine Phrase, wenn auch eine schönklingende. Ewige
Gesetze giebt es in der Kunst ebenso wenig wie in staatlichen Organismen
oder im Völkerrecht oder in sittlichen Anschauungen. Die Kunst würde sich von
dem beständigen Vorwärtsstreben aller übrigen Zweige der menschlichen Kultur
ausschließen, wenn sie nur auf die "ewigen Gesetze," mögen sie nun die Antike,
Naffael oder Tizian oder sonstwie heißen, blicken wollte. Sie würde sich in
einem Kreislaufe bewegen und am Ende so zu einem Formalismus erstarren
Wie die ägyptische und die indische Kunst. Wir wollen keineswegs sagen, daß


Die akademische Runstausstellung in Berlin.

verlassen, unbeholfene Kinder, welche die naivsten Dinge verübten und dann in
helle Entrüstung gerieten, wenn die blöde Menge nicht vor diesen kindlichen
Schildereien in Enthusiasmus ausbrach. Das ist eine bittere Lehre für unsre
Kunst gewesen, und die Folge war eine starke Gegenströmung, welche vielleicht
minder heftig gewesen wäre, wen» nicht jene abgestorbene Kunstrichtung und
ihre mehr oder minder anfechtbaren Erzeugnisse in gewissen Leitern von öffent¬
lichen Kunstsammlungen zum Nachteile der neueren Kunst eifrige Beschützer ge¬
funden hätten. Diese thatsächliche, hie und da wohl auch nur vermeintliche
Zurücksetzung gab der Oppositon ein schrofferes Antlitz und chüele dem Natura¬
lismus den Weg.

Wenn man naturgroße Darstellungen aus dem täglichen Leben also unter
dem Gesichtspunkte von Vorarbeiten zur Lösung von größern, edlern Aufgaben
betrachtet, wird man sie gelten lassen müssen. Sie sind Mittel zum Zweck.
Durch sie eignet sich der Künstler viel leichter die Herrschaft über die Technik
an, als wenn er umgekehrt vom räumlich Kleinen zum räumlich Großen vor¬
schreiten wollte. Man wird die Frage nach dem Maßstabe eines Bildes über¬
haupt nicht nach vorgefaßten Meinungen entscheiden können, sondern von Fall
zu Fall versuchen müssen, das Richtige zu finden. Wenn wir wirklich eine
moderne Ästhetik aus unsrer Kunstentwicklung und -bewegung ableiten wollten
— und das Bedürfnis einer solchen wird in Künstler- und Laienkreisen
vielfach empfunden —, so müßten wir nach meiner Überzeugung und
langjährigen Beobachtung eine Art von Teleologie im gemeinen Sinne des
Wortes als Grundlage annehmen. Die Frage nach der Zweckmäßigkeit würde
das kritische Urteil in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen zu leiten haben,
und wenn dieser Grundsatz auch äußerst nüchtern klingt und mit der Würde der
Kunst nicht in Einklang zu stehen scheint, namentlich im Hinblick auf das stolze,
aber im Grnnde hohle und nichtssagende Wort: „Die Kunst ist sich Selbst¬
zweck," so wird man doch bald einsehen, daß man mit dieser Zweckmäßigkeits¬
theorie viel weiter kommt als mit einem Schachtelsysteme vorher definirter Be¬
griffe von Schön und Häßlich, Erhaben und Trivial, Edel und Gemein u. s. w.,
in welches hinterher alles hineingepaßt werden soll. Wer sich an das Werk
einer modernen Ästhetik machen will, sehe von vornherein von der Aufstellung
allgemeiugiltiger Begriffe ab. Das Wort von den „ewigen unverrückbaren Ge¬
setzen der Menschheit" ist eine Phrase, wenn auch eine schönklingende. Ewige
Gesetze giebt es in der Kunst ebenso wenig wie in staatlichen Organismen
oder im Völkerrecht oder in sittlichen Anschauungen. Die Kunst würde sich von
dem beständigen Vorwärtsstreben aller übrigen Zweige der menschlichen Kultur
ausschließen, wenn sie nur auf die „ewigen Gesetze," mögen sie nun die Antike,
Naffael oder Tizian oder sonstwie heißen, blicken wollte. Sie würde sich in
einem Kreislaufe bewegen und am Ende so zu einem Formalismus erstarren
Wie die ägyptische und die indische Kunst. Wir wollen keineswegs sagen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/589>, abgerufen am 23.07.2024.