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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Schulgeld.

Monate des Jahres arbeiten, wird hierdurch ein besonders schnelles Ab- und
Zufließen -- namentlich der arbeitenden Bevölkerung -- herbeigeführt. Das¬
selbe findet statt, wo es üblich und erforderlich ist, die nötigen Arbeitskräfte
für die Landwirtschaft von auswärts kommen zu lassen. Der Aufenthalt der
hierdurch herbeigezogenen Personen währt oft weniger als drei Monate. Dann
ist der Gemeinde die Möglichkeit genommen, sie zu den Lasten heranzuziehen,
während ihr doch erhebliche Ausgaben durch sie verursacht werden. Sie kann
diese Personen daher nur durch Gebühren zu Zahlung für die Gemeindezwecke
nötigen. Ganz besonders angemessen und erforderlich erscheint dies gegenüber
den Schullasten, welche durch die Notwendigkeit, für den Schulunterricht der
Kinder jener Bevölkerung zu sorgen, oft erheblich gesteigert werden.

Wir kommen zu den Gutsbezirken. Die Verfassung legt die Unterhaltung
der Volksschulen den "Gemeinden" auf, schweigt also von den selbständigen
Gutsbezirken, und sie mußte von diesen schweigen, weil sie an andrer Stelle die
Aufhebung jeder Sonderstellung der Gutsherren aussprach. Diese Aufhebung
ist jedoch nicht erfolgt, die bezüglichen Bestimmungen der Verfassung sind be¬
seitigt, und die selbständigen Gutsbezirke bestehen fort. Diese, vorherrschend in
den östlichen Provinzen vorhanden, umfassen ein Areal von mehr als acht
Millionen Hektaren mit über zwei Millionen Einwohnern. Ihre Verhältnisse
fallen daher neben denen der Gemeinden bei Regelung der Schulunterhaltungs-
last sehr ins Gewicht. So weit das laudrechtliche "Sozietätsprinzip" gilt, hat
die Sonderstellung derselben Einfluß nur bezüglich des Gutsbezirks des Schul¬
ortes, die übrigen Gutsherren sind nichts weiter als Hausväter. Dagegen trägt
die Gemeindelasten in allen Gutsbezirken samt und sonders der Gutsherr, eine
Verteilung derselben auf die Gutscinsassen ist öffentlich-rechtlich unzulässig.
Wird nun das "Kommunalprinzip" durchgeführt und damit die Schulunter¬
haltung Gemeindelaft, so haben, da Gutsbezirke grundsätzlich den Gemeinden
gleichgestellt sind, jene ebenso wie diese die Schnllast zu tragen. Es muß
daher dann der Gutsherr diese für den ganzen Gutsbezirk allein auf seine
Schultern nehmen. Dies ist aber heute an vielen Orten schlechterdings un¬
möglich. Denn der Begriff des Gutsbczirkes deckt sich keineswegs mehr mit
dem des gutsherrlichen Besitzes, es giebt vielmehr zahlreiche Gutsbezirke, in
denen der Gutsherr nur den allerkleinsten Teil des Grund und Bodens noch
sein eigen nennt, und innerhalb deren ganze Ortschaften entstanden sind und
zahlreiche Gutseinsassen den Gutsherrn an Leistungsfähigkeit weit überragen.
Gab es doch 1881 in Oberschlesien acht Gutsbezirke mit 2195 bis 7960 und
in der ganzen Monarchie nicht weniger als sechsundvierzig mit mehr als 1000
Einwohnern. In Gutsbezirken dieser Art kann unmöglich die ganze Schullast
den Gutsherren aufgebürdet werden. Entweder muß man von dem nur folge¬
richtigen Grundsatze der Unzulässigkeit einer Verteilung der Gemeindelasten
in Gutsbezirken eine Ausnahme machen, wie dies bereits hinsichtlich der Armen-


Das Schulgeld.

Monate des Jahres arbeiten, wird hierdurch ein besonders schnelles Ab- und
Zufließen — namentlich der arbeitenden Bevölkerung — herbeigeführt. Das¬
selbe findet statt, wo es üblich und erforderlich ist, die nötigen Arbeitskräfte
für die Landwirtschaft von auswärts kommen zu lassen. Der Aufenthalt der
hierdurch herbeigezogenen Personen währt oft weniger als drei Monate. Dann
ist der Gemeinde die Möglichkeit genommen, sie zu den Lasten heranzuziehen,
während ihr doch erhebliche Ausgaben durch sie verursacht werden. Sie kann
diese Personen daher nur durch Gebühren zu Zahlung für die Gemeindezwecke
nötigen. Ganz besonders angemessen und erforderlich erscheint dies gegenüber
den Schullasten, welche durch die Notwendigkeit, für den Schulunterricht der
Kinder jener Bevölkerung zu sorgen, oft erheblich gesteigert werden.

Wir kommen zu den Gutsbezirken. Die Verfassung legt die Unterhaltung
der Volksschulen den „Gemeinden" auf, schweigt also von den selbständigen
Gutsbezirken, und sie mußte von diesen schweigen, weil sie an andrer Stelle die
Aufhebung jeder Sonderstellung der Gutsherren aussprach. Diese Aufhebung
ist jedoch nicht erfolgt, die bezüglichen Bestimmungen der Verfassung sind be¬
seitigt, und die selbständigen Gutsbezirke bestehen fort. Diese, vorherrschend in
den östlichen Provinzen vorhanden, umfassen ein Areal von mehr als acht
Millionen Hektaren mit über zwei Millionen Einwohnern. Ihre Verhältnisse
fallen daher neben denen der Gemeinden bei Regelung der Schulunterhaltungs-
last sehr ins Gewicht. So weit das laudrechtliche „Sozietätsprinzip" gilt, hat
die Sonderstellung derselben Einfluß nur bezüglich des Gutsbezirks des Schul¬
ortes, die übrigen Gutsherren sind nichts weiter als Hausväter. Dagegen trägt
die Gemeindelasten in allen Gutsbezirken samt und sonders der Gutsherr, eine
Verteilung derselben auf die Gutscinsassen ist öffentlich-rechtlich unzulässig.
Wird nun das „Kommunalprinzip" durchgeführt und damit die Schulunter¬
haltung Gemeindelaft, so haben, da Gutsbezirke grundsätzlich den Gemeinden
gleichgestellt sind, jene ebenso wie diese die Schnllast zu tragen. Es muß
daher dann der Gutsherr diese für den ganzen Gutsbezirk allein auf seine
Schultern nehmen. Dies ist aber heute an vielen Orten schlechterdings un¬
möglich. Denn der Begriff des Gutsbczirkes deckt sich keineswegs mehr mit
dem des gutsherrlichen Besitzes, es giebt vielmehr zahlreiche Gutsbezirke, in
denen der Gutsherr nur den allerkleinsten Teil des Grund und Bodens noch
sein eigen nennt, und innerhalb deren ganze Ortschaften entstanden sind und
zahlreiche Gutseinsassen den Gutsherrn an Leistungsfähigkeit weit überragen.
Gab es doch 1881 in Oberschlesien acht Gutsbezirke mit 2195 bis 7960 und
in der ganzen Monarchie nicht weniger als sechsundvierzig mit mehr als 1000
Einwohnern. In Gutsbezirken dieser Art kann unmöglich die ganze Schullast
den Gutsherren aufgebürdet werden. Entweder muß man von dem nur folge¬
richtigen Grundsatze der Unzulässigkeit einer Verteilung der Gemeindelasten
in Gutsbezirken eine Ausnahme machen, wie dies bereits hinsichtlich der Armen-


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[0578] Das Schulgeld. Monate des Jahres arbeiten, wird hierdurch ein besonders schnelles Ab- und Zufließen — namentlich der arbeitenden Bevölkerung — herbeigeführt. Das¬ selbe findet statt, wo es üblich und erforderlich ist, die nötigen Arbeitskräfte für die Landwirtschaft von auswärts kommen zu lassen. Der Aufenthalt der hierdurch herbeigezogenen Personen währt oft weniger als drei Monate. Dann ist der Gemeinde die Möglichkeit genommen, sie zu den Lasten heranzuziehen, während ihr doch erhebliche Ausgaben durch sie verursacht werden. Sie kann diese Personen daher nur durch Gebühren zu Zahlung für die Gemeindezwecke nötigen. Ganz besonders angemessen und erforderlich erscheint dies gegenüber den Schullasten, welche durch die Notwendigkeit, für den Schulunterricht der Kinder jener Bevölkerung zu sorgen, oft erheblich gesteigert werden. Wir kommen zu den Gutsbezirken. Die Verfassung legt die Unterhaltung der Volksschulen den „Gemeinden" auf, schweigt also von den selbständigen Gutsbezirken, und sie mußte von diesen schweigen, weil sie an andrer Stelle die Aufhebung jeder Sonderstellung der Gutsherren aussprach. Diese Aufhebung ist jedoch nicht erfolgt, die bezüglichen Bestimmungen der Verfassung sind be¬ seitigt, und die selbständigen Gutsbezirke bestehen fort. Diese, vorherrschend in den östlichen Provinzen vorhanden, umfassen ein Areal von mehr als acht Millionen Hektaren mit über zwei Millionen Einwohnern. Ihre Verhältnisse fallen daher neben denen der Gemeinden bei Regelung der Schulunterhaltungs- last sehr ins Gewicht. So weit das laudrechtliche „Sozietätsprinzip" gilt, hat die Sonderstellung derselben Einfluß nur bezüglich des Gutsbezirks des Schul¬ ortes, die übrigen Gutsherren sind nichts weiter als Hausväter. Dagegen trägt die Gemeindelasten in allen Gutsbezirken samt und sonders der Gutsherr, eine Verteilung derselben auf die Gutscinsassen ist öffentlich-rechtlich unzulässig. Wird nun das „Kommunalprinzip" durchgeführt und damit die Schulunter¬ haltung Gemeindelaft, so haben, da Gutsbezirke grundsätzlich den Gemeinden gleichgestellt sind, jene ebenso wie diese die Schnllast zu tragen. Es muß daher dann der Gutsherr diese für den ganzen Gutsbezirk allein auf seine Schultern nehmen. Dies ist aber heute an vielen Orten schlechterdings un¬ möglich. Denn der Begriff des Gutsbczirkes deckt sich keineswegs mehr mit dem des gutsherrlichen Besitzes, es giebt vielmehr zahlreiche Gutsbezirke, in denen der Gutsherr nur den allerkleinsten Teil des Grund und Bodens noch sein eigen nennt, und innerhalb deren ganze Ortschaften entstanden sind und zahlreiche Gutseinsassen den Gutsherrn an Leistungsfähigkeit weit überragen. Gab es doch 1881 in Oberschlesien acht Gutsbezirke mit 2195 bis 7960 und in der ganzen Monarchie nicht weniger als sechsundvierzig mit mehr als 1000 Einwohnern. In Gutsbezirken dieser Art kann unmöglich die ganze Schullast den Gutsherren aufgebürdet werden. Entweder muß man von dem nur folge¬ richtigen Grundsatze der Unzulässigkeit einer Verteilung der Gemeindelasten in Gutsbezirken eine Ausnahme machen, wie dies bereits hinsichtlich der Armen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/578>, abgerufen am 23.07.2024.