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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Tage der Prozeßkostenfrage.

diese, um die Rechtskraft herbeizuführen, dem Gegner durch den Gerichts¬
vollzieher zustellen. Sind mehrere Personen innerhalb derselben Partei vor¬
handen, die nicht durch einen gemeinsamen Anwalt vertreten sind, so muß für
jede Person eine Abschrift angefertigt und ihr zugestellt werden. (Früher ließ
das Gericht die Ausfertigung nur einem der Beteiligten zustellen, den übrigen
nur vorweisen, was vollkommen genügte.) Die Urkunden über die Zustellung
müssen sorgfältigst aufbewahrt werden; denn an ihnen hängt der ganze Prozeß.
Will die eigne Partei des Urwalds das Urteil haben, so darf er doch nicht
wagen, die Urteilsausfertigung, auf welcher das wichtige Dokument der Zu-
stellungsbescheiuigung steht, aus den Händen zu geben. Es wird also eine neue
Abschrift angefertigt. So häuft sich Abschrift auf Abschrift. Erwägt mau nun
zugleich, wie dickleibig die Urteile durch den eingereihten Thatbestand oft ge¬
worden sind, und ferner, daß die neuen Kvstengesetze die Abschriftsgcbühren
erheblich gesteigert haben, so begreift man, daß diese Gebühren allein schon im
Prozeß zu einem hübschen Sümmchen aufwachsen können.

Wie mit den Urteilen, wird es übrigens auch mit allen andern bei Gericht
eingehenden Aktenstücken (z. B. Zeugen- oder Eidesprotokollen) gehalten. Stets
muß der Anwalt besonders um Abschrift bitte". Um sicher zu gehen, schreibt
er jedesmal an die Gerichtsschreiberei einen Brief, und das kostet jedesmal eine
Abschriftsgcbuhr. So wimmelt es förmlich in den heutigen Prozeßrechnnugcn
von Abschriftsgebührcn. Das sind die Segnungen der "reinen Mündlichkeit."

Wir wollen übrigens nicht verschweigen, daß jüngst in einer Zeitschrift
(Echo vom 14. Juli 1887) auch "ein Aktenabschreiber" sich gemeldet und dringend
gebeten hat, die Abschriftsgebührcu doch ja nicht herabzusetzen. Auch ein Abschreiber
habe eine fühlende Seele, und es müßte ihm peinlich sein, wenn er nicht für
seinen Prinzipal (den Anwalt) die vollen Kosten verdiene. Sehr bezeichnend für
den Standpunkt, von dem auf manchen Seiten die Kostenfrage betrachtet wird.

Gleichwohl ist die Klage des mehrerwähnten Kvmmissionsberichts, daß in
den Nebenkosten der Hauptgrund für die Verteuerung der Prozesse liege, doch
nur Schein. Die gegen den Gerichtsvollzieher erhobenen Beschuldigungen machen
fast den Eindruck, als ob dieser nnr der Sündenbock habe sein sollen, den man
für die Fehler des Ganzen preiszugeben bereit sei. In erster Linie liegt der
Grund der Verteuerung der Prozesse in der sehr erheblichen Steigerung der
Hanptgcbührcn für Gericht und Anwälte. Und wenn an diesen nichts geändert
wird, so wird auch eine Änderung der Ncbengebühren kaum als eine Erleich¬
terung empfunden werden. Freilich erklären nun die Anwälte, sie könnten un¬
möglich irgend etwas entbehren. Und wenn man sie darauf hinweist, daß doch
früher die Gebühren weit geringer gewesen seien, daß sie sogar (in Preußen)
bis zum Jahre 1375 nur etwa die Hälfte der jetzigen Gebühren betragen haben,
so antworten sie, wie der Kommissionsbericht ausweist: "daß das neue Ver¬
fahren an die Zeit und die Arbeitskraft des Anwaltes erheblich höhere An-


Die Tage der Prozeßkostenfrage.

diese, um die Rechtskraft herbeizuführen, dem Gegner durch den Gerichts¬
vollzieher zustellen. Sind mehrere Personen innerhalb derselben Partei vor¬
handen, die nicht durch einen gemeinsamen Anwalt vertreten sind, so muß für
jede Person eine Abschrift angefertigt und ihr zugestellt werden. (Früher ließ
das Gericht die Ausfertigung nur einem der Beteiligten zustellen, den übrigen
nur vorweisen, was vollkommen genügte.) Die Urkunden über die Zustellung
müssen sorgfältigst aufbewahrt werden; denn an ihnen hängt der ganze Prozeß.
Will die eigne Partei des Urwalds das Urteil haben, so darf er doch nicht
wagen, die Urteilsausfertigung, auf welcher das wichtige Dokument der Zu-
stellungsbescheiuigung steht, aus den Händen zu geben. Es wird also eine neue
Abschrift angefertigt. So häuft sich Abschrift auf Abschrift. Erwägt mau nun
zugleich, wie dickleibig die Urteile durch den eingereihten Thatbestand oft ge¬
worden sind, und ferner, daß die neuen Kvstengesetze die Abschriftsgcbühren
erheblich gesteigert haben, so begreift man, daß diese Gebühren allein schon im
Prozeß zu einem hübschen Sümmchen aufwachsen können.

Wie mit den Urteilen, wird es übrigens auch mit allen andern bei Gericht
eingehenden Aktenstücken (z. B. Zeugen- oder Eidesprotokollen) gehalten. Stets
muß der Anwalt besonders um Abschrift bitte«. Um sicher zu gehen, schreibt
er jedesmal an die Gerichtsschreiberei einen Brief, und das kostet jedesmal eine
Abschriftsgcbuhr. So wimmelt es förmlich in den heutigen Prozeßrechnnugcn
von Abschriftsgebührcn. Das sind die Segnungen der „reinen Mündlichkeit."

Wir wollen übrigens nicht verschweigen, daß jüngst in einer Zeitschrift
(Echo vom 14. Juli 1887) auch „ein Aktenabschreiber" sich gemeldet und dringend
gebeten hat, die Abschriftsgebührcu doch ja nicht herabzusetzen. Auch ein Abschreiber
habe eine fühlende Seele, und es müßte ihm peinlich sein, wenn er nicht für
seinen Prinzipal (den Anwalt) die vollen Kosten verdiene. Sehr bezeichnend für
den Standpunkt, von dem auf manchen Seiten die Kostenfrage betrachtet wird.

Gleichwohl ist die Klage des mehrerwähnten Kvmmissionsberichts, daß in
den Nebenkosten der Hauptgrund für die Verteuerung der Prozesse liege, doch
nur Schein. Die gegen den Gerichtsvollzieher erhobenen Beschuldigungen machen
fast den Eindruck, als ob dieser nnr der Sündenbock habe sein sollen, den man
für die Fehler des Ganzen preiszugeben bereit sei. In erster Linie liegt der
Grund der Verteuerung der Prozesse in der sehr erheblichen Steigerung der
Hanptgcbührcn für Gericht und Anwälte. Und wenn an diesen nichts geändert
wird, so wird auch eine Änderung der Ncbengebühren kaum als eine Erleich¬
terung empfunden werden. Freilich erklären nun die Anwälte, sie könnten un¬
möglich irgend etwas entbehren. Und wenn man sie darauf hinweist, daß doch
früher die Gebühren weit geringer gewesen seien, daß sie sogar (in Preußen)
bis zum Jahre 1375 nur etwa die Hälfte der jetzigen Gebühren betragen haben,
so antworten sie, wie der Kommissionsbericht ausweist: „daß das neue Ver¬
fahren an die Zeit und die Arbeitskraft des Anwaltes erheblich höhere An-


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[0570] Die Tage der Prozeßkostenfrage. diese, um die Rechtskraft herbeizuführen, dem Gegner durch den Gerichts¬ vollzieher zustellen. Sind mehrere Personen innerhalb derselben Partei vor¬ handen, die nicht durch einen gemeinsamen Anwalt vertreten sind, so muß für jede Person eine Abschrift angefertigt und ihr zugestellt werden. (Früher ließ das Gericht die Ausfertigung nur einem der Beteiligten zustellen, den übrigen nur vorweisen, was vollkommen genügte.) Die Urkunden über die Zustellung müssen sorgfältigst aufbewahrt werden; denn an ihnen hängt der ganze Prozeß. Will die eigne Partei des Urwalds das Urteil haben, so darf er doch nicht wagen, die Urteilsausfertigung, auf welcher das wichtige Dokument der Zu- stellungsbescheiuigung steht, aus den Händen zu geben. Es wird also eine neue Abschrift angefertigt. So häuft sich Abschrift auf Abschrift. Erwägt mau nun zugleich, wie dickleibig die Urteile durch den eingereihten Thatbestand oft ge¬ worden sind, und ferner, daß die neuen Kvstengesetze die Abschriftsgcbühren erheblich gesteigert haben, so begreift man, daß diese Gebühren allein schon im Prozeß zu einem hübschen Sümmchen aufwachsen können. Wie mit den Urteilen, wird es übrigens auch mit allen andern bei Gericht eingehenden Aktenstücken (z. B. Zeugen- oder Eidesprotokollen) gehalten. Stets muß der Anwalt besonders um Abschrift bitte«. Um sicher zu gehen, schreibt er jedesmal an die Gerichtsschreiberei einen Brief, und das kostet jedesmal eine Abschriftsgcbuhr. So wimmelt es förmlich in den heutigen Prozeßrechnnugcn von Abschriftsgebührcn. Das sind die Segnungen der „reinen Mündlichkeit." Wir wollen übrigens nicht verschweigen, daß jüngst in einer Zeitschrift (Echo vom 14. Juli 1887) auch „ein Aktenabschreiber" sich gemeldet und dringend gebeten hat, die Abschriftsgebührcu doch ja nicht herabzusetzen. Auch ein Abschreiber habe eine fühlende Seele, und es müßte ihm peinlich sein, wenn er nicht für seinen Prinzipal (den Anwalt) die vollen Kosten verdiene. Sehr bezeichnend für den Standpunkt, von dem auf manchen Seiten die Kostenfrage betrachtet wird. Gleichwohl ist die Klage des mehrerwähnten Kvmmissionsberichts, daß in den Nebenkosten der Hauptgrund für die Verteuerung der Prozesse liege, doch nur Schein. Die gegen den Gerichtsvollzieher erhobenen Beschuldigungen machen fast den Eindruck, als ob dieser nnr der Sündenbock habe sein sollen, den man für die Fehler des Ganzen preiszugeben bereit sei. In erster Linie liegt der Grund der Verteuerung der Prozesse in der sehr erheblichen Steigerung der Hanptgcbührcn für Gericht und Anwälte. Und wenn an diesen nichts geändert wird, so wird auch eine Änderung der Ncbengebühren kaum als eine Erleich¬ terung empfunden werden. Freilich erklären nun die Anwälte, sie könnten un¬ möglich irgend etwas entbehren. Und wenn man sie darauf hinweist, daß doch früher die Gebühren weit geringer gewesen seien, daß sie sogar (in Preußen) bis zum Jahre 1375 nur etwa die Hälfte der jetzigen Gebühren betragen haben, so antworten sie, wie der Kommissionsbericht ausweist: „daß das neue Ver¬ fahren an die Zeit und die Arbeitskraft des Anwaltes erheblich höhere An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/570>, abgerufen am 23.07.2024.