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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage der Prozeßkostenfrage.

in der Hand eines denkenden Menschen, der die Verantwortung dafür trug und
der in seiner richterlichen Stellung eine höhere Bürgschaft persönlicher Unan¬
tastbarkeit darbot. Für die Erledigung untergeordneter Aufgaben bediente sich
der Richter allerdings eines untergeordneten Werkzeuges, des Gerichtsdieners.
Aber dieser übte seine Thätigkeit nicht selbständig, sondern nur im besondern
Auftrage und unter ständiger Aufsicht des Richters. Das alles sollte im
neuen Prozeß anders werden. In blinder Nachahmung französischer Einrich¬
tungen (in die man sich zu einer Zeit hineingedacht hatte, als noch französisches
Wesen überhaupt in Deutschland als Ausbund aller Vortrefflichkeit galt) stellte
man den Grundsatz auf, "daß der Richter der Reinheit seines Richtcrberufes
wiedergegeben werden müsse." Das heißt, er sollte dasitzen wie ein Pagode
und lediglich auf die mündliche Verhandlung der Anwälte seinen Spruch ab¬
geben. Dagegen sollte das ganze übrige Prozeßverfahren und ebenso die Voll¬
ziehungsinstanz, die bisher gewissermaßen Handarbeit des Richters gewesen
waren, zu einer Maschinenarbeit des Gesetzes werden. Um dies zu erreichen,
mußte man zunächst das Gesetz selbst höchst umfangreich gestalten. Da es
doch nicht möglich war, alles ohne den denkenden Menschengeist fertig zu bringen,
so wurde der angeordnete mechanische Betrieb wieder vielfach durchbrochen durch
Bestimmungen, wonach der Richter oder der Gerichtspräsident in den Betrieb
eingreifen soll. Dadurch ist natürlich der ganze Bau höchst verwickelt ge¬
worden. Und dies alles hat die Folge gehabt, daß es heute in unsern Rechts¬
streiten von Prozeßfragen wimmelt. Alle unsre Präjudizienbücher sind etwa
zu einem Dritten mit Entscheidungen über Prozeßfragen angefüllt. Niemals hat
das rechtsuchende Publikum unter diesen ganz nutzlos heraufbeschwornen Fragen
so viel zu leiden gehabt. Auch die Summe der Ausführungsverordnungen für
das ganze neue Verfahren ist Legion. Und einzelnes darunter hat sich bereits
bitter gerächt. Hat man doch die gleichfalls im Sinne jenes Grundsatzes in
Preußen angeordnete Trennung der Gerichtskostenverwaltnng von den Gerichten,
da sie sich als völlig unerträglich erwies, schon vor mehreren Jahren mit großen
Mühen und Kosten wieder rückgängig machen müssen.

Daß man mit der Lostrennung des Richters aus dem ganzen übrigen
Betriebe des Prozesses denselben zur Kälte und Gleichgiltigkeit gegen die Partei¬
interessen förmlich erzieht, mochte allerdings solchen entgehen, die selbst viel¬
leicht niemals mit andern Empfindungen den Parteiinteressen gegenüber ge¬
standen hatten. Um aber überhaupt jenen mechanischen Betrieb des Prozesses
zu ermöglichen, mußte ein eignes Organ dafür geschaffen werden. Das ist der
Gerichtsvollzieher. Die Gerichtsvollzieher sind Männer von halber Bildung,
meist aus dem Schreiber- oder Untcroffiziersstande hervorgegangen. Früher
hielt man dafür, daß Menschen von dieser Bildungsstufe, die ja persönlich
durchaus achtungswert sein können, doch keine selbständige Stellung im Staats¬
leben anzuvertrauen sei. Hier aber wies man ihnen wichtige Aufgabe" der


Die Lage der Prozeßkostenfrage.

in der Hand eines denkenden Menschen, der die Verantwortung dafür trug und
der in seiner richterlichen Stellung eine höhere Bürgschaft persönlicher Unan¬
tastbarkeit darbot. Für die Erledigung untergeordneter Aufgaben bediente sich
der Richter allerdings eines untergeordneten Werkzeuges, des Gerichtsdieners.
Aber dieser übte seine Thätigkeit nicht selbständig, sondern nur im besondern
Auftrage und unter ständiger Aufsicht des Richters. Das alles sollte im
neuen Prozeß anders werden. In blinder Nachahmung französischer Einrich¬
tungen (in die man sich zu einer Zeit hineingedacht hatte, als noch französisches
Wesen überhaupt in Deutschland als Ausbund aller Vortrefflichkeit galt) stellte
man den Grundsatz auf, „daß der Richter der Reinheit seines Richtcrberufes
wiedergegeben werden müsse." Das heißt, er sollte dasitzen wie ein Pagode
und lediglich auf die mündliche Verhandlung der Anwälte seinen Spruch ab¬
geben. Dagegen sollte das ganze übrige Prozeßverfahren und ebenso die Voll¬
ziehungsinstanz, die bisher gewissermaßen Handarbeit des Richters gewesen
waren, zu einer Maschinenarbeit des Gesetzes werden. Um dies zu erreichen,
mußte man zunächst das Gesetz selbst höchst umfangreich gestalten. Da es
doch nicht möglich war, alles ohne den denkenden Menschengeist fertig zu bringen,
so wurde der angeordnete mechanische Betrieb wieder vielfach durchbrochen durch
Bestimmungen, wonach der Richter oder der Gerichtspräsident in den Betrieb
eingreifen soll. Dadurch ist natürlich der ganze Bau höchst verwickelt ge¬
worden. Und dies alles hat die Folge gehabt, daß es heute in unsern Rechts¬
streiten von Prozeßfragen wimmelt. Alle unsre Präjudizienbücher sind etwa
zu einem Dritten mit Entscheidungen über Prozeßfragen angefüllt. Niemals hat
das rechtsuchende Publikum unter diesen ganz nutzlos heraufbeschwornen Fragen
so viel zu leiden gehabt. Auch die Summe der Ausführungsverordnungen für
das ganze neue Verfahren ist Legion. Und einzelnes darunter hat sich bereits
bitter gerächt. Hat man doch die gleichfalls im Sinne jenes Grundsatzes in
Preußen angeordnete Trennung der Gerichtskostenverwaltnng von den Gerichten,
da sie sich als völlig unerträglich erwies, schon vor mehreren Jahren mit großen
Mühen und Kosten wieder rückgängig machen müssen.

Daß man mit der Lostrennung des Richters aus dem ganzen übrigen
Betriebe des Prozesses denselben zur Kälte und Gleichgiltigkeit gegen die Partei¬
interessen förmlich erzieht, mochte allerdings solchen entgehen, die selbst viel¬
leicht niemals mit andern Empfindungen den Parteiinteressen gegenüber ge¬
standen hatten. Um aber überhaupt jenen mechanischen Betrieb des Prozesses
zu ermöglichen, mußte ein eignes Organ dafür geschaffen werden. Das ist der
Gerichtsvollzieher. Die Gerichtsvollzieher sind Männer von halber Bildung,
meist aus dem Schreiber- oder Untcroffiziersstande hervorgegangen. Früher
hielt man dafür, daß Menschen von dieser Bildungsstufe, die ja persönlich
durchaus achtungswert sein können, doch keine selbständige Stellung im Staats¬
leben anzuvertrauen sei. Hier aber wies man ihnen wichtige Aufgabe» der


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[0566] Die Lage der Prozeßkostenfrage. in der Hand eines denkenden Menschen, der die Verantwortung dafür trug und der in seiner richterlichen Stellung eine höhere Bürgschaft persönlicher Unan¬ tastbarkeit darbot. Für die Erledigung untergeordneter Aufgaben bediente sich der Richter allerdings eines untergeordneten Werkzeuges, des Gerichtsdieners. Aber dieser übte seine Thätigkeit nicht selbständig, sondern nur im besondern Auftrage und unter ständiger Aufsicht des Richters. Das alles sollte im neuen Prozeß anders werden. In blinder Nachahmung französischer Einrich¬ tungen (in die man sich zu einer Zeit hineingedacht hatte, als noch französisches Wesen überhaupt in Deutschland als Ausbund aller Vortrefflichkeit galt) stellte man den Grundsatz auf, „daß der Richter der Reinheit seines Richtcrberufes wiedergegeben werden müsse." Das heißt, er sollte dasitzen wie ein Pagode und lediglich auf die mündliche Verhandlung der Anwälte seinen Spruch ab¬ geben. Dagegen sollte das ganze übrige Prozeßverfahren und ebenso die Voll¬ ziehungsinstanz, die bisher gewissermaßen Handarbeit des Richters gewesen waren, zu einer Maschinenarbeit des Gesetzes werden. Um dies zu erreichen, mußte man zunächst das Gesetz selbst höchst umfangreich gestalten. Da es doch nicht möglich war, alles ohne den denkenden Menschengeist fertig zu bringen, so wurde der angeordnete mechanische Betrieb wieder vielfach durchbrochen durch Bestimmungen, wonach der Richter oder der Gerichtspräsident in den Betrieb eingreifen soll. Dadurch ist natürlich der ganze Bau höchst verwickelt ge¬ worden. Und dies alles hat die Folge gehabt, daß es heute in unsern Rechts¬ streiten von Prozeßfragen wimmelt. Alle unsre Präjudizienbücher sind etwa zu einem Dritten mit Entscheidungen über Prozeßfragen angefüllt. Niemals hat das rechtsuchende Publikum unter diesen ganz nutzlos heraufbeschwornen Fragen so viel zu leiden gehabt. Auch die Summe der Ausführungsverordnungen für das ganze neue Verfahren ist Legion. Und einzelnes darunter hat sich bereits bitter gerächt. Hat man doch die gleichfalls im Sinne jenes Grundsatzes in Preußen angeordnete Trennung der Gerichtskostenverwaltnng von den Gerichten, da sie sich als völlig unerträglich erwies, schon vor mehreren Jahren mit großen Mühen und Kosten wieder rückgängig machen müssen. Daß man mit der Lostrennung des Richters aus dem ganzen übrigen Betriebe des Prozesses denselben zur Kälte und Gleichgiltigkeit gegen die Partei¬ interessen förmlich erzieht, mochte allerdings solchen entgehen, die selbst viel¬ leicht niemals mit andern Empfindungen den Parteiinteressen gegenüber ge¬ standen hatten. Um aber überhaupt jenen mechanischen Betrieb des Prozesses zu ermöglichen, mußte ein eignes Organ dafür geschaffen werden. Das ist der Gerichtsvollzieher. Die Gerichtsvollzieher sind Männer von halber Bildung, meist aus dem Schreiber- oder Untcroffiziersstande hervorgegangen. Früher hielt man dafür, daß Menschen von dieser Bildungsstufe, die ja persönlich durchaus achtungswert sein können, doch keine selbständige Stellung im Staats¬ leben anzuvertrauen sei. Hier aber wies man ihnen wichtige Aufgabe» der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/566>, abgerufen am 23.07.2024.