Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Sraatsministers. war: das ausgearbeitete Verfassungswerk zuerst allen deutschen Regierungen zur Durch meine Bekanntschaft mit einem Grafen Keller, der mir eine Empfeh¬ In jenem Balkon befanden sich mit mir noch zwei andre Herren, von Enttäuscht und niedergeschlagen kehrte die Parlamentsdeputativn nach Frank¬ Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Sraatsministers. war: das ausgearbeitete Verfassungswerk zuerst allen deutschen Regierungen zur Durch meine Bekanntschaft mit einem Grafen Keller, der mir eine Empfeh¬ In jenem Balkon befanden sich mit mir noch zwei andre Herren, von Enttäuscht und niedergeschlagen kehrte die Parlamentsdeputativn nach Frank¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201330"/> <fw type="header" place="top"> Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Sraatsministers.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1824" prev="#ID_1823"> war: das ausgearbeitete Verfassungswerk zuerst allen deutschen Regierungen zur<lb/> Begutachtung vorzulegen. Das wurde natürlich abgelehnt. Unter Glocken¬<lb/> geläute wurde die neue Verfassung ausgerufen und der Beschluß gefaßt, eine<lb/> aus wenigstens fünfzehn Mitgliedern bestehende Deputation sofort nach Berlin<lb/> zu senden, die dem König die deutsche Kaiserkrone aufs Haupt setzen solle. Die<lb/> Antwort des Königs war vorauszusehen, dennoch war ich begierig, Form und<lb/> Begründung der Ablehnung zu erfahren; deshalb eilte ich der Deputation voraus<lb/> nach Berlin. Die äußerste Rechte war in der Frage, ob die Kaiserkrone anzu¬<lb/> nehmen oder abzulehnen sei, geteilter Ansicht; ich selbst — das bekenne ich<lb/> offen — habe eine Zeit lang die Annahme gewünscht, weil ich die Beseitigung<lb/> der wirren Zustände in Deutschland für dringend notwendig und unsern König,<lb/> als den mächtigsten deutschen Fürsten, für allein befähigt hielt, diese schwierige<lb/> Aufgabe zu lösen; ich hoffte im Stillen, daß er vielleicht doch noch annehmen<lb/> und später sein Verhältnis mit den übrigen deutschen Fürsten regeln würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1825"> Durch meine Bekanntschaft mit einem Grafen Keller, der mir eine Empfeh¬<lb/> lung an seinen Bruder, den Hofmarschall, mitgab, gelang es mir, einen Platz,<lb/> ich kann wohl sagen einen Versteck in dem silbernen Balkon des Rittersaales<lb/> zu gewinnen, von wo aus ich jedes Wort der Ansprache und der königlichen<lb/> Erwiederung hören konnte. Simson hielt in wohlgesetzter schwungvoller Rede<lb/> die feierliche Ansprache. Des Königs Antwort ist bekannt; sie war hinreißend<lb/> schön und mußte auch den überzeugen, der aus obengenannten Gründen die<lb/> Annahme im Prinzip gewünscht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1826"> In jenem Balkon befanden sich mit mir noch zwei andre Herren, von<lb/> denen mir einer bekannt war; es war der Gemahl meiner Reisegefährtin von<lb/> Eisenach nach Merseburg, ein angesehener Bankier ans Frankfurt und Mitglied<lb/> der Paulskirche; Gott weiß, durch welche Verbindungen er sich das Plätzchen<lb/> im Balkon verschafft hatte. Der andre Herr war mir damals noch unbekannt.<lb/> Beim Heraustreten sagte der Frankfurter Geldmann in höchster Aufregung:<lb/> „Jetzt ist alles verloren! Jetzt wird die Revolution an allen Ecken Deutschlands<lb/> losbrechen; wir werden jämmerlich untergehen!" — „Nein, erwiederte ich, es<lb/> ist nichts verloren. Wohl uns, daß wir einen solchen König haben! Bricht<lb/> irgendwo eine Revolution aus, so wird unser treffliches Kriegsherr sie nieder¬<lb/> schlagen; diejenigen aber, welche die Revolution schüren, werden wir mit eignen<lb/> Händen aufhängen." Der unbekannte Herr trat nun an mich heran, drückte<lb/> mir die Hand und sagte warm: „Solch kräftiges Wort habe ich lange nicht<lb/> gehört; wir müssen Freunde werden; darf ich um Ihren Namen bitten?" Auf<lb/> diese Weise machte ich die Bekanntschaft des Oberstkümmerers Grafen von Redern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1827" next="#ID_1828"> Enttäuscht und niedergeschlagen kehrte die Parlamentsdeputativn nach Frank¬<lb/> furt zurück. Ich blieb noch einige Tage in Berlin und benutzte diese Zeit, um<lb/> das Abgeordnetenhaus kennen zu lernen, welches einberufen war, die oktroyirte<lb/> Verfassung vom 5. Dezember 1848 zu beraten. Die Einberufung war offenbar</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0551]
Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Sraatsministers.
war: das ausgearbeitete Verfassungswerk zuerst allen deutschen Regierungen zur
Begutachtung vorzulegen. Das wurde natürlich abgelehnt. Unter Glocken¬
geläute wurde die neue Verfassung ausgerufen und der Beschluß gefaßt, eine
aus wenigstens fünfzehn Mitgliedern bestehende Deputation sofort nach Berlin
zu senden, die dem König die deutsche Kaiserkrone aufs Haupt setzen solle. Die
Antwort des Königs war vorauszusehen, dennoch war ich begierig, Form und
Begründung der Ablehnung zu erfahren; deshalb eilte ich der Deputation voraus
nach Berlin. Die äußerste Rechte war in der Frage, ob die Kaiserkrone anzu¬
nehmen oder abzulehnen sei, geteilter Ansicht; ich selbst — das bekenne ich
offen — habe eine Zeit lang die Annahme gewünscht, weil ich die Beseitigung
der wirren Zustände in Deutschland für dringend notwendig und unsern König,
als den mächtigsten deutschen Fürsten, für allein befähigt hielt, diese schwierige
Aufgabe zu lösen; ich hoffte im Stillen, daß er vielleicht doch noch annehmen
und später sein Verhältnis mit den übrigen deutschen Fürsten regeln würde.
Durch meine Bekanntschaft mit einem Grafen Keller, der mir eine Empfeh¬
lung an seinen Bruder, den Hofmarschall, mitgab, gelang es mir, einen Platz,
ich kann wohl sagen einen Versteck in dem silbernen Balkon des Rittersaales
zu gewinnen, von wo aus ich jedes Wort der Ansprache und der königlichen
Erwiederung hören konnte. Simson hielt in wohlgesetzter schwungvoller Rede
die feierliche Ansprache. Des Königs Antwort ist bekannt; sie war hinreißend
schön und mußte auch den überzeugen, der aus obengenannten Gründen die
Annahme im Prinzip gewünscht hatte.
In jenem Balkon befanden sich mit mir noch zwei andre Herren, von
denen mir einer bekannt war; es war der Gemahl meiner Reisegefährtin von
Eisenach nach Merseburg, ein angesehener Bankier ans Frankfurt und Mitglied
der Paulskirche; Gott weiß, durch welche Verbindungen er sich das Plätzchen
im Balkon verschafft hatte. Der andre Herr war mir damals noch unbekannt.
Beim Heraustreten sagte der Frankfurter Geldmann in höchster Aufregung:
„Jetzt ist alles verloren! Jetzt wird die Revolution an allen Ecken Deutschlands
losbrechen; wir werden jämmerlich untergehen!" — „Nein, erwiederte ich, es
ist nichts verloren. Wohl uns, daß wir einen solchen König haben! Bricht
irgendwo eine Revolution aus, so wird unser treffliches Kriegsherr sie nieder¬
schlagen; diejenigen aber, welche die Revolution schüren, werden wir mit eignen
Händen aufhängen." Der unbekannte Herr trat nun an mich heran, drückte
mir die Hand und sagte warm: „Solch kräftiges Wort habe ich lange nicht
gehört; wir müssen Freunde werden; darf ich um Ihren Namen bitten?" Auf
diese Weise machte ich die Bekanntschaft des Oberstkümmerers Grafen von Redern.
Enttäuscht und niedergeschlagen kehrte die Parlamentsdeputativn nach Frank¬
furt zurück. Ich blieb noch einige Tage in Berlin und benutzte diese Zeit, um
das Abgeordnetenhaus kennen zu lernen, welches einberufen war, die oktroyirte
Verfassung vom 5. Dezember 1848 zu beraten. Die Einberufung war offenbar
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