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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Grübeleien eines Malers über seine Rnnsi.

hat. Ein grundsätzliche? Bedenken rufen uns freilich auch diese "Grübeleien"
hervor. Sobald ein Künstler anfängt, über seine Kunst nachzudenken, zu
spekuliren, zu philosophiren und das Gedachte zu Papier zu bringen, hat er
seine künstlerische Produktion entweder abgeschlossen oder er beginnt doch darin
nachzulassen. In dem Grade, als in Dürers Leben seine wissenschaftlichen
Forschungen in den Vordergrund traten, gerieten seine künstlerischen Arbeiten
ins Stocken. Eugen Fromentin hat in den letzten Jahren seines Lebens kein
Bild gemalt, welches sich mit dem glänzenden Erzeugnisse seiner Feder I^of
raartrss ä'Mtreckois messen könnte, und als Ludwig Richter mit der Nieder¬
schrift seiner köstlichen Selbstbiographie begann, hatte er von seiner Kunst Ab¬
schied genommen. Es scheint in den Grenzen menschlicher Fähigkeiten zu liegen,
daß das eine das andre ausschließt, daß das eine sich nur zu voller Reife ent¬
wickeln kann, wenn das andre abgestorben ist. Sonst entsteht das schwächliche
Zwitterwesen, welches wir mit dem Namen "Dilettantismus" bezeichnen.

Wenn wir bei Otto Knille auch kein völliges Stocken seiner künstlerischen
Thätigkeit zu befürchten haben, so kann doch nicht in Abrede gestellt werden,
daß seine Entwicklung nicht ganz den Hoffnungen entsprochen hat, welche sein
im Jahre 1873 gemaltes Bild "Tannhäuser und Venus" erweckte. Seit jener
Zeit hat er außer einigen kleinen Genrebildern und einer Reihe von Zeich¬
nungen nur jene vier Friese für die Universitätsbibliothek zu Berlin geschaffen,
welche die geistige Kultur des Altertums, des Mittelalters, der Renaissance
und der neueren Zeit in ihren Hauptsitzen Athen, Paris, Wittenberg und
Weimar durch Männer der Kunst und Wissenschaft darstellen. Ob seine eigen¬
tümliche, mehr auf Reflexion als auf Ursprünglichkeit gegründete Begabung,
oder ob seine Lehrthätigkeit an der Berliner Kunstakademie, oder ob endlich die
Erkenntnis, daß die moderne Kunst immer mehr von seinem eignen Ideale ab¬
weicht, seine Schaffenslust beeinträchtigt hat, wissen wir nicht. Vielleicht ist es
die letztere, die an mehr als einer Stelle seines Buches melancholisch zum
Durchbruch kommt. Unsre Kunstanschauungen und Kunstbegrisse haben sich seit
jener Zeit, wo Kuille seine akademischen Studien abschloß, also seit der Mitte
der fünfziger Jahre, so gründlich verschoben, daß die kühnen Realisten und
Revolutionäre von damals heute als verstockte und bezopfte Idealisten, im
günstigsten Falle als Romantiker und Phantasten gelten. Ein solcher Roman¬
tiker der alten Schule ist auch Knille, obwohl sein Kolorit an Glanz und Kraft
noch mit dem eines jeden Virtuosen der Farbe wetteifern kann. Seine Stellung
der Natur gegenüber ist es, welche ihn von der modernen, immer mehr um sich
greifenden Richtung, die man die naturalistische nennt, unterscheidet. "Das
Häßliche -- sagt er in seinem Büchlein -- hat nur insofern Berechtigung in der
Kunst, als aus ihm der negative Beweis des Schönen sich ergiebt." Damit ist
Kullich Standpunkt gekennzeichnet und zugleich das Ziel angedeutet, auf welches
seine "Grübeleien," die eigentlich systematisch eUntersnchungen sind, hinausstreben.


Grübeleien eines Malers über seine Rnnsi.

hat. Ein grundsätzliche? Bedenken rufen uns freilich auch diese „Grübeleien"
hervor. Sobald ein Künstler anfängt, über seine Kunst nachzudenken, zu
spekuliren, zu philosophiren und das Gedachte zu Papier zu bringen, hat er
seine künstlerische Produktion entweder abgeschlossen oder er beginnt doch darin
nachzulassen. In dem Grade, als in Dürers Leben seine wissenschaftlichen
Forschungen in den Vordergrund traten, gerieten seine künstlerischen Arbeiten
ins Stocken. Eugen Fromentin hat in den letzten Jahren seines Lebens kein
Bild gemalt, welches sich mit dem glänzenden Erzeugnisse seiner Feder I^of
raartrss ä'Mtreckois messen könnte, und als Ludwig Richter mit der Nieder¬
schrift seiner köstlichen Selbstbiographie begann, hatte er von seiner Kunst Ab¬
schied genommen. Es scheint in den Grenzen menschlicher Fähigkeiten zu liegen,
daß das eine das andre ausschließt, daß das eine sich nur zu voller Reife ent¬
wickeln kann, wenn das andre abgestorben ist. Sonst entsteht das schwächliche
Zwitterwesen, welches wir mit dem Namen „Dilettantismus" bezeichnen.

Wenn wir bei Otto Knille auch kein völliges Stocken seiner künstlerischen
Thätigkeit zu befürchten haben, so kann doch nicht in Abrede gestellt werden,
daß seine Entwicklung nicht ganz den Hoffnungen entsprochen hat, welche sein
im Jahre 1873 gemaltes Bild „Tannhäuser und Venus" erweckte. Seit jener
Zeit hat er außer einigen kleinen Genrebildern und einer Reihe von Zeich¬
nungen nur jene vier Friese für die Universitätsbibliothek zu Berlin geschaffen,
welche die geistige Kultur des Altertums, des Mittelalters, der Renaissance
und der neueren Zeit in ihren Hauptsitzen Athen, Paris, Wittenberg und
Weimar durch Männer der Kunst und Wissenschaft darstellen. Ob seine eigen¬
tümliche, mehr auf Reflexion als auf Ursprünglichkeit gegründete Begabung,
oder ob seine Lehrthätigkeit an der Berliner Kunstakademie, oder ob endlich die
Erkenntnis, daß die moderne Kunst immer mehr von seinem eignen Ideale ab¬
weicht, seine Schaffenslust beeinträchtigt hat, wissen wir nicht. Vielleicht ist es
die letztere, die an mehr als einer Stelle seines Buches melancholisch zum
Durchbruch kommt. Unsre Kunstanschauungen und Kunstbegrisse haben sich seit
jener Zeit, wo Kuille seine akademischen Studien abschloß, also seit der Mitte
der fünfziger Jahre, so gründlich verschoben, daß die kühnen Realisten und
Revolutionäre von damals heute als verstockte und bezopfte Idealisten, im
günstigsten Falle als Romantiker und Phantasten gelten. Ein solcher Roman¬
tiker der alten Schule ist auch Knille, obwohl sein Kolorit an Glanz und Kraft
noch mit dem eines jeden Virtuosen der Farbe wetteifern kann. Seine Stellung
der Natur gegenüber ist es, welche ihn von der modernen, immer mehr um sich
greifenden Richtung, die man die naturalistische nennt, unterscheidet. „Das
Häßliche — sagt er in seinem Büchlein — hat nur insofern Berechtigung in der
Kunst, als aus ihm der negative Beweis des Schönen sich ergiebt." Damit ist
Kullich Standpunkt gekennzeichnet und zugleich das Ziel angedeutet, auf welches
seine „Grübeleien," die eigentlich systematisch eUntersnchungen sind, hinausstreben.


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[0047] Grübeleien eines Malers über seine Rnnsi. hat. Ein grundsätzliche? Bedenken rufen uns freilich auch diese „Grübeleien" hervor. Sobald ein Künstler anfängt, über seine Kunst nachzudenken, zu spekuliren, zu philosophiren und das Gedachte zu Papier zu bringen, hat er seine künstlerische Produktion entweder abgeschlossen oder er beginnt doch darin nachzulassen. In dem Grade, als in Dürers Leben seine wissenschaftlichen Forschungen in den Vordergrund traten, gerieten seine künstlerischen Arbeiten ins Stocken. Eugen Fromentin hat in den letzten Jahren seines Lebens kein Bild gemalt, welches sich mit dem glänzenden Erzeugnisse seiner Feder I^of raartrss ä'Mtreckois messen könnte, und als Ludwig Richter mit der Nieder¬ schrift seiner köstlichen Selbstbiographie begann, hatte er von seiner Kunst Ab¬ schied genommen. Es scheint in den Grenzen menschlicher Fähigkeiten zu liegen, daß das eine das andre ausschließt, daß das eine sich nur zu voller Reife ent¬ wickeln kann, wenn das andre abgestorben ist. Sonst entsteht das schwächliche Zwitterwesen, welches wir mit dem Namen „Dilettantismus" bezeichnen. Wenn wir bei Otto Knille auch kein völliges Stocken seiner künstlerischen Thätigkeit zu befürchten haben, so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, daß seine Entwicklung nicht ganz den Hoffnungen entsprochen hat, welche sein im Jahre 1873 gemaltes Bild „Tannhäuser und Venus" erweckte. Seit jener Zeit hat er außer einigen kleinen Genrebildern und einer Reihe von Zeich¬ nungen nur jene vier Friese für die Universitätsbibliothek zu Berlin geschaffen, welche die geistige Kultur des Altertums, des Mittelalters, der Renaissance und der neueren Zeit in ihren Hauptsitzen Athen, Paris, Wittenberg und Weimar durch Männer der Kunst und Wissenschaft darstellen. Ob seine eigen¬ tümliche, mehr auf Reflexion als auf Ursprünglichkeit gegründete Begabung, oder ob seine Lehrthätigkeit an der Berliner Kunstakademie, oder ob endlich die Erkenntnis, daß die moderne Kunst immer mehr von seinem eignen Ideale ab¬ weicht, seine Schaffenslust beeinträchtigt hat, wissen wir nicht. Vielleicht ist es die letztere, die an mehr als einer Stelle seines Buches melancholisch zum Durchbruch kommt. Unsre Kunstanschauungen und Kunstbegrisse haben sich seit jener Zeit, wo Kuille seine akademischen Studien abschloß, also seit der Mitte der fünfziger Jahre, so gründlich verschoben, daß die kühnen Realisten und Revolutionäre von damals heute als verstockte und bezopfte Idealisten, im günstigsten Falle als Romantiker und Phantasten gelten. Ein solcher Roman¬ tiker der alten Schule ist auch Knille, obwohl sein Kolorit an Glanz und Kraft noch mit dem eines jeden Virtuosen der Farbe wetteifern kann. Seine Stellung der Natur gegenüber ist es, welche ihn von der modernen, immer mehr um sich greifenden Richtung, die man die naturalistische nennt, unterscheidet. „Das Häßliche — sagt er in seinem Büchlein — hat nur insofern Berechtigung in der Kunst, als aus ihm der negative Beweis des Schönen sich ergiebt." Damit ist Kullich Standpunkt gekennzeichnet und zugleich das Ziel angedeutet, auf welches seine „Grübeleien," die eigentlich systematisch eUntersnchungen sind, hinausstreben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/47>, abgerufen am 23.07.2024.