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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

die Berliner Negierung stimmen würden, und um sie demnächst als Missethäter
brandmarken zu können, fanden über sehr viele Amendements namentliche Ab¬
stimmungen statt. Während dieser namentlicher Abstimmungen (es waren deren
vierzehn; jede dauerte ungefähr eine halbe Stunde, in welcher Zeit man nur
einmal, wenn der Name verlesen wurde, ein Ja oder Nein zu rufen hatte)
benutzte ich meine Muße, um Briefe zu schreiben. Diese Briefe trug ich dann
in einer Pause selbst zur Post. Auf dem Rückwege zur Paulskirche fand ich
aber deu Platz vor derselben von einer solchen Menschenmenge angefüllt, daß
mir das Durchdrängen schon schwer wurde. Die Sitzung, welche, wie gewöhnlich,
um zehn Uhr vormittags begonnen hatte, währte bis in den dunkeln Abend;
das Lokal war auf Erleuchtung nicht eingerichtet, und die provisorische Er¬
leuchtung durch einige Stearinkerzen auf dem Präsidententische genügte gerade,
um zu erkennen, wie finster es war, und um den Helden der obersten Galerie
ihr Spiel zu erleichtern, wenn sie im Zwielicht ihre Knüttel auf die Köpfe der
Rechten herabwarfen, so oft ein Ja oder Nein der Abstimmung ihren Beifall
nicht fand. Nach dem Schluß der Sitzung, etwa um sieben Uhr abends, begaben
sich die meisten Mitglieder der Rechten nach dem "Englischen Hofe," um dort
zu speisen. Ich selbst hatte an diesem Tage einen Besuch, den ich als Gast
mit dorthin nahm. Unser Hunger war noch nicht gestillt, als plötzlich ein Stein
auf den Tisch flog. Vor den Fenstern wütete ein großer Volkshaufe, der das
Haus angriff, weil es notorisch der Versammlungsort der Rechten war. Wir
verteidigten die Festung, so gut wir konnten. Die Fensterladen wurden ge¬
schlossen, die Thüren verrammelt, und an jedes Fenster stellten sich zwei Mann
mit Flaschen oder Stühlen bewaffnet; der heftige Steinhagel aber zertrümmerte
bald die Fensterladen, und durch diese Breschen steckten schon einige "Turner"
ihre wutverzerrten Gesichter. Ich erinnere mich, daß ich einem derselben mit
einer Flasche so kräftig entgegenfuhr, daß er sich schnell zurückzog und es mir
zweifelhaft blieb, ob ihn nicht der bloße Schreck vom.weitern Vordringen abstehen
ließ. Endlich meldeten uns die Kellner, daß sie auf dem Hofe eine Thür ge¬
öffnet hätten, durch welche wir in ein Hintergäßchen entkommen könnten.
Dringend forderten sie uns zu dieser Flucht auf, die dem tobenden Volke das
Ziel seiner Wut entziehen und so das Hans außer Gefahr setzen würde. Wir
folgten widerwillig. Ich darf nicht verschweigen, daß mich beim Hinaustreten
ins Freie ein Gefühl beschlich, wie es ein Kommandant haben mag, der seine
Festung aufgiebt. Ich mischte mich nnn selbst unter den Volkshaufen und
habe mehrere Nachtstunden hindurch mich mit demselben auf dem Frankfurter
Straßenpflaster herumgetrieben, immer hoffend, ich würde endlich doch noch
erfahren, was die Leute eigentlich wollten. Aber nein! Niemand in der wüsten
Menge schien dies selbst zu wissen. Skandal machen, Fenster einwerfen, Laternen
zertrümmern und recht viel Branntwein saufen war offenbar der einzige Zweck;
an Branntwein trug jedes Mitglied dieser souveränen Menge eine wohlgefülltc


Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

die Berliner Negierung stimmen würden, und um sie demnächst als Missethäter
brandmarken zu können, fanden über sehr viele Amendements namentliche Ab¬
stimmungen statt. Während dieser namentlicher Abstimmungen (es waren deren
vierzehn; jede dauerte ungefähr eine halbe Stunde, in welcher Zeit man nur
einmal, wenn der Name verlesen wurde, ein Ja oder Nein zu rufen hatte)
benutzte ich meine Muße, um Briefe zu schreiben. Diese Briefe trug ich dann
in einer Pause selbst zur Post. Auf dem Rückwege zur Paulskirche fand ich
aber deu Platz vor derselben von einer solchen Menschenmenge angefüllt, daß
mir das Durchdrängen schon schwer wurde. Die Sitzung, welche, wie gewöhnlich,
um zehn Uhr vormittags begonnen hatte, währte bis in den dunkeln Abend;
das Lokal war auf Erleuchtung nicht eingerichtet, und die provisorische Er¬
leuchtung durch einige Stearinkerzen auf dem Präsidententische genügte gerade,
um zu erkennen, wie finster es war, und um den Helden der obersten Galerie
ihr Spiel zu erleichtern, wenn sie im Zwielicht ihre Knüttel auf die Köpfe der
Rechten herabwarfen, so oft ein Ja oder Nein der Abstimmung ihren Beifall
nicht fand. Nach dem Schluß der Sitzung, etwa um sieben Uhr abends, begaben
sich die meisten Mitglieder der Rechten nach dem „Englischen Hofe," um dort
zu speisen. Ich selbst hatte an diesem Tage einen Besuch, den ich als Gast
mit dorthin nahm. Unser Hunger war noch nicht gestillt, als plötzlich ein Stein
auf den Tisch flog. Vor den Fenstern wütete ein großer Volkshaufe, der das
Haus angriff, weil es notorisch der Versammlungsort der Rechten war. Wir
verteidigten die Festung, so gut wir konnten. Die Fensterladen wurden ge¬
schlossen, die Thüren verrammelt, und an jedes Fenster stellten sich zwei Mann
mit Flaschen oder Stühlen bewaffnet; der heftige Steinhagel aber zertrümmerte
bald die Fensterladen, und durch diese Breschen steckten schon einige „Turner"
ihre wutverzerrten Gesichter. Ich erinnere mich, daß ich einem derselben mit
einer Flasche so kräftig entgegenfuhr, daß er sich schnell zurückzog und es mir
zweifelhaft blieb, ob ihn nicht der bloße Schreck vom.weitern Vordringen abstehen
ließ. Endlich meldeten uns die Kellner, daß sie auf dem Hofe eine Thür ge¬
öffnet hätten, durch welche wir in ein Hintergäßchen entkommen könnten.
Dringend forderten sie uns zu dieser Flucht auf, die dem tobenden Volke das
Ziel seiner Wut entziehen und so das Hans außer Gefahr setzen würde. Wir
folgten widerwillig. Ich darf nicht verschweigen, daß mich beim Hinaustreten
ins Freie ein Gefühl beschlich, wie es ein Kommandant haben mag, der seine
Festung aufgiebt. Ich mischte mich nnn selbst unter den Volkshaufen und
habe mehrere Nachtstunden hindurch mich mit demselben auf dem Frankfurter
Straßenpflaster herumgetrieben, immer hoffend, ich würde endlich doch noch
erfahren, was die Leute eigentlich wollten. Aber nein! Niemand in der wüsten
Menge schien dies selbst zu wissen. Skandal machen, Fenster einwerfen, Laternen
zertrümmern und recht viel Branntwein saufen war offenbar der einzige Zweck;
an Branntwein trug jedes Mitglied dieser souveränen Menge eine wohlgefülltc


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[0447] Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers. die Berliner Negierung stimmen würden, und um sie demnächst als Missethäter brandmarken zu können, fanden über sehr viele Amendements namentliche Ab¬ stimmungen statt. Während dieser namentlicher Abstimmungen (es waren deren vierzehn; jede dauerte ungefähr eine halbe Stunde, in welcher Zeit man nur einmal, wenn der Name verlesen wurde, ein Ja oder Nein zu rufen hatte) benutzte ich meine Muße, um Briefe zu schreiben. Diese Briefe trug ich dann in einer Pause selbst zur Post. Auf dem Rückwege zur Paulskirche fand ich aber deu Platz vor derselben von einer solchen Menschenmenge angefüllt, daß mir das Durchdrängen schon schwer wurde. Die Sitzung, welche, wie gewöhnlich, um zehn Uhr vormittags begonnen hatte, währte bis in den dunkeln Abend; das Lokal war auf Erleuchtung nicht eingerichtet, und die provisorische Er¬ leuchtung durch einige Stearinkerzen auf dem Präsidententische genügte gerade, um zu erkennen, wie finster es war, und um den Helden der obersten Galerie ihr Spiel zu erleichtern, wenn sie im Zwielicht ihre Knüttel auf die Köpfe der Rechten herabwarfen, so oft ein Ja oder Nein der Abstimmung ihren Beifall nicht fand. Nach dem Schluß der Sitzung, etwa um sieben Uhr abends, begaben sich die meisten Mitglieder der Rechten nach dem „Englischen Hofe," um dort zu speisen. Ich selbst hatte an diesem Tage einen Besuch, den ich als Gast mit dorthin nahm. Unser Hunger war noch nicht gestillt, als plötzlich ein Stein auf den Tisch flog. Vor den Fenstern wütete ein großer Volkshaufe, der das Haus angriff, weil es notorisch der Versammlungsort der Rechten war. Wir verteidigten die Festung, so gut wir konnten. Die Fensterladen wurden ge¬ schlossen, die Thüren verrammelt, und an jedes Fenster stellten sich zwei Mann mit Flaschen oder Stühlen bewaffnet; der heftige Steinhagel aber zertrümmerte bald die Fensterladen, und durch diese Breschen steckten schon einige „Turner" ihre wutverzerrten Gesichter. Ich erinnere mich, daß ich einem derselben mit einer Flasche so kräftig entgegenfuhr, daß er sich schnell zurückzog und es mir zweifelhaft blieb, ob ihn nicht der bloße Schreck vom.weitern Vordringen abstehen ließ. Endlich meldeten uns die Kellner, daß sie auf dem Hofe eine Thür ge¬ öffnet hätten, durch welche wir in ein Hintergäßchen entkommen könnten. Dringend forderten sie uns zu dieser Flucht auf, die dem tobenden Volke das Ziel seiner Wut entziehen und so das Hans außer Gefahr setzen würde. Wir folgten widerwillig. Ich darf nicht verschweigen, daß mich beim Hinaustreten ins Freie ein Gefühl beschlich, wie es ein Kommandant haben mag, der seine Festung aufgiebt. Ich mischte mich nnn selbst unter den Volkshaufen und habe mehrere Nachtstunden hindurch mich mit demselben auf dem Frankfurter Straßenpflaster herumgetrieben, immer hoffend, ich würde endlich doch noch erfahren, was die Leute eigentlich wollten. Aber nein! Niemand in der wüsten Menge schien dies selbst zu wissen. Skandal machen, Fenster einwerfen, Laternen zertrümmern und recht viel Branntwein saufen war offenbar der einzige Zweck; an Branntwein trug jedes Mitglied dieser souveränen Menge eine wohlgefülltc

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/447>, abgerufen am 03.07.2024.