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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Zinn Kapitel der Friedhofsdenkmäler.

die Dissonanz. Sie muß sich stark und mutig durchsetzen. Man stelle sich
irgend ein Denkmal vor, bei welchem die Figur oder die Büste dessen, dem es
gewidmet ist, nicht oben thront, sondern sich dem frei und ideal gestalteten
allegorischen Teile des Werkes unterordnen muß: schon in der bloßen Vor¬
stellung wendet man sich von einer solchen Schöpfung ab.

Es wäre hier nun der Platz, an den Denkmälern von Personen, welche
nicht eigentlichen Anspruch auf ein tiefgehendes allgemeineres Interesse erheben
konnten, den Nachweis zu führen, daß ihnen durch entsprechend bescheiden ge¬
haltene Monumente der bessere Dienst erwiesen worden wäre. Aber die Acht¬
losigkeit, mit welcher bisher die monumentale Seite unsrer Friedhöfe dem Zufall
einer mehr oder minder verständigen Beratung der Denkmalbesteller überlassen
worden ist, trägt denn doch an den allerorten sich dem Beschauer aufdrängenden
Geschmacklosigkeiten die Hauptschuld, und so wäre es unbillig, Werke, welche
der gute Wille, häufig mit erheblichen Opfern, stiftete, einer strengen Prüfung
mit Namennennung zu unterziehen. Dahin ist, wie allerorten, auch auf den
Münchner Friedhöfen eine nicht geringe Anzahl größerer, ideal gehaltener
Marmorskulpturen zu zählen, welche die Grabstätten von Brauereibesitzern,
Gußwerkinhabern und Männern ähnlicher ehrenhafter, aber von idealen Zielen
weitabliegender Betriebe zu verherrlichen bestimmt sind. Ein sinnreicher Künstler
wird auch für die Ruhestätten solcher Verstorbenen monumentale Pläne vor¬
zulegen imstande sein, die den Überlebenden zur Befriedigung gereichen, zumal
da die christliche Kunst, wie für deutsche Gemüter ja schon die Votivbilder
Hans Holbeins und andrer heimischer Meister beweisen, das bürgerliche Leben
in mannichfacher Weise mit den heiligen Gestalten aus dem Jenseits künstlerisch
zu verknüpfen weiß. Nach dieser Richtung empfiehlt sich eine Betrachtung der
"August Stürzerschen Familiengrabstelle," welche durch ein Votivdeukmal mit
knieenden Familienangehörigen geschmückt ist, vor allem inmitten einer über¬
wiegend katholischen Bevölkerung immer noch eine mit Recht sich behauptende
Überliefcruugskunstform. Auch das Grab von Josef Görres mag man sich
darauf in ruhiger Sammlung ansehen, indem man sich in das Wesen dieses
merkwürdigen Mystikers hineindenkt. Unter Glas erblickt man hoch oben in
den Wolken die Mutter Gottes mit dem Christuskinde, zu ihr aufblickend
den Apostel, dessen Attribut das Schwert ist, und ihm gegenüber einen
Knieenden im geistlichen Ornat, das Gebetbuch in der Linken. Etwa ein Dutzend
Namen der Familien Görres, Jochner und Steingau bekunden darunter ohne
weitere Zusätze, daß die Familienglieder hier beisammen ruhen. Solche Arbeiten
sind auch für den Andersgläubigen ein wahres Labsal, verglichen mit jenen
großen klagenden allegorischen Gestalten, wie die fabrikmäßig arbeitenden
Steinmetzwerkstätten sie für jedermann feil haben, handle sich's nun um
einen Helden, der den Tod fürs Vaterland auf dem Schlachtfelde fand,
um einen Liebling der Musen, der in den Herzen unzähliger die veredelnde


Zinn Kapitel der Friedhofsdenkmäler.

die Dissonanz. Sie muß sich stark und mutig durchsetzen. Man stelle sich
irgend ein Denkmal vor, bei welchem die Figur oder die Büste dessen, dem es
gewidmet ist, nicht oben thront, sondern sich dem frei und ideal gestalteten
allegorischen Teile des Werkes unterordnen muß: schon in der bloßen Vor¬
stellung wendet man sich von einer solchen Schöpfung ab.

Es wäre hier nun der Platz, an den Denkmälern von Personen, welche
nicht eigentlichen Anspruch auf ein tiefgehendes allgemeineres Interesse erheben
konnten, den Nachweis zu führen, daß ihnen durch entsprechend bescheiden ge¬
haltene Monumente der bessere Dienst erwiesen worden wäre. Aber die Acht¬
losigkeit, mit welcher bisher die monumentale Seite unsrer Friedhöfe dem Zufall
einer mehr oder minder verständigen Beratung der Denkmalbesteller überlassen
worden ist, trägt denn doch an den allerorten sich dem Beschauer aufdrängenden
Geschmacklosigkeiten die Hauptschuld, und so wäre es unbillig, Werke, welche
der gute Wille, häufig mit erheblichen Opfern, stiftete, einer strengen Prüfung
mit Namennennung zu unterziehen. Dahin ist, wie allerorten, auch auf den
Münchner Friedhöfen eine nicht geringe Anzahl größerer, ideal gehaltener
Marmorskulpturen zu zählen, welche die Grabstätten von Brauereibesitzern,
Gußwerkinhabern und Männern ähnlicher ehrenhafter, aber von idealen Zielen
weitabliegender Betriebe zu verherrlichen bestimmt sind. Ein sinnreicher Künstler
wird auch für die Ruhestätten solcher Verstorbenen monumentale Pläne vor¬
zulegen imstande sein, die den Überlebenden zur Befriedigung gereichen, zumal
da die christliche Kunst, wie für deutsche Gemüter ja schon die Votivbilder
Hans Holbeins und andrer heimischer Meister beweisen, das bürgerliche Leben
in mannichfacher Weise mit den heiligen Gestalten aus dem Jenseits künstlerisch
zu verknüpfen weiß. Nach dieser Richtung empfiehlt sich eine Betrachtung der
„August Stürzerschen Familiengrabstelle," welche durch ein Votivdeukmal mit
knieenden Familienangehörigen geschmückt ist, vor allem inmitten einer über¬
wiegend katholischen Bevölkerung immer noch eine mit Recht sich behauptende
Überliefcruugskunstform. Auch das Grab von Josef Görres mag man sich
darauf in ruhiger Sammlung ansehen, indem man sich in das Wesen dieses
merkwürdigen Mystikers hineindenkt. Unter Glas erblickt man hoch oben in
den Wolken die Mutter Gottes mit dem Christuskinde, zu ihr aufblickend
den Apostel, dessen Attribut das Schwert ist, und ihm gegenüber einen
Knieenden im geistlichen Ornat, das Gebetbuch in der Linken. Etwa ein Dutzend
Namen der Familien Görres, Jochner und Steingau bekunden darunter ohne
weitere Zusätze, daß die Familienglieder hier beisammen ruhen. Solche Arbeiten
sind auch für den Andersgläubigen ein wahres Labsal, verglichen mit jenen
großen klagenden allegorischen Gestalten, wie die fabrikmäßig arbeitenden
Steinmetzwerkstätten sie für jedermann feil haben, handle sich's nun um
einen Helden, der den Tod fürs Vaterland auf dem Schlachtfelde fand,
um einen Liebling der Musen, der in den Herzen unzähliger die veredelnde


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[0434] Zinn Kapitel der Friedhofsdenkmäler. die Dissonanz. Sie muß sich stark und mutig durchsetzen. Man stelle sich irgend ein Denkmal vor, bei welchem die Figur oder die Büste dessen, dem es gewidmet ist, nicht oben thront, sondern sich dem frei und ideal gestalteten allegorischen Teile des Werkes unterordnen muß: schon in der bloßen Vor¬ stellung wendet man sich von einer solchen Schöpfung ab. Es wäre hier nun der Platz, an den Denkmälern von Personen, welche nicht eigentlichen Anspruch auf ein tiefgehendes allgemeineres Interesse erheben konnten, den Nachweis zu führen, daß ihnen durch entsprechend bescheiden ge¬ haltene Monumente der bessere Dienst erwiesen worden wäre. Aber die Acht¬ losigkeit, mit welcher bisher die monumentale Seite unsrer Friedhöfe dem Zufall einer mehr oder minder verständigen Beratung der Denkmalbesteller überlassen worden ist, trägt denn doch an den allerorten sich dem Beschauer aufdrängenden Geschmacklosigkeiten die Hauptschuld, und so wäre es unbillig, Werke, welche der gute Wille, häufig mit erheblichen Opfern, stiftete, einer strengen Prüfung mit Namennennung zu unterziehen. Dahin ist, wie allerorten, auch auf den Münchner Friedhöfen eine nicht geringe Anzahl größerer, ideal gehaltener Marmorskulpturen zu zählen, welche die Grabstätten von Brauereibesitzern, Gußwerkinhabern und Männern ähnlicher ehrenhafter, aber von idealen Zielen weitabliegender Betriebe zu verherrlichen bestimmt sind. Ein sinnreicher Künstler wird auch für die Ruhestätten solcher Verstorbenen monumentale Pläne vor¬ zulegen imstande sein, die den Überlebenden zur Befriedigung gereichen, zumal da die christliche Kunst, wie für deutsche Gemüter ja schon die Votivbilder Hans Holbeins und andrer heimischer Meister beweisen, das bürgerliche Leben in mannichfacher Weise mit den heiligen Gestalten aus dem Jenseits künstlerisch zu verknüpfen weiß. Nach dieser Richtung empfiehlt sich eine Betrachtung der „August Stürzerschen Familiengrabstelle," welche durch ein Votivdeukmal mit knieenden Familienangehörigen geschmückt ist, vor allem inmitten einer über¬ wiegend katholischen Bevölkerung immer noch eine mit Recht sich behauptende Überliefcruugskunstform. Auch das Grab von Josef Görres mag man sich darauf in ruhiger Sammlung ansehen, indem man sich in das Wesen dieses merkwürdigen Mystikers hineindenkt. Unter Glas erblickt man hoch oben in den Wolken die Mutter Gottes mit dem Christuskinde, zu ihr aufblickend den Apostel, dessen Attribut das Schwert ist, und ihm gegenüber einen Knieenden im geistlichen Ornat, das Gebetbuch in der Linken. Etwa ein Dutzend Namen der Familien Görres, Jochner und Steingau bekunden darunter ohne weitere Zusätze, daß die Familienglieder hier beisammen ruhen. Solche Arbeiten sind auch für den Andersgläubigen ein wahres Labsal, verglichen mit jenen großen klagenden allegorischen Gestalten, wie die fabrikmäßig arbeitenden Steinmetzwerkstätten sie für jedermann feil haben, handle sich's nun um einen Helden, der den Tod fürs Vaterland auf dem Schlachtfelde fand, um einen Liebling der Musen, der in den Herzen unzähliger die veredelnde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/434>, abgerufen am 23.07.2024.