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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ranke als Tagespolitiker.

sich sowohl auf die innere Verfassungsfrage Preußens wie insbesondre auf sein
Verhältnis zu dem nach Einheit ringenden Deutschland. Mit ihnen berührt
Ranke die brennendsten Fragen der Tagespolitik, aber auch hier zeigt sich der
Meister, der von dem geschichtlichen Boden aus nicht zögert, seine Meinung
über die Gestaltung der politischen Dinge von ebenso großer Tragweite als
Verantwortlichkeit abzugeben. Nach beiden Richtungen zieht sich ein Grund¬
gedanke durch alle diese Schriften; das preußische Königtum und die preußische
Armee sind die Grundpfeiler jeder Neuordnung in Preußen wie in seinen Be¬
ziehungen zu Deutschland. Ranke rät dazu, daß Preußen eine Verfassung er¬
halte, aber er will, daß das Königtum wie bisher in Preußen das Ureigne,
Unabgeleitete und Ursprüngliche bleibe und nicht auf dem Boden der Volks-
souverünität umgewandelt werde. Mit einem Schlagwort wird dieses moderne
auf der Volkssouveränität beruhende Königtum gekennzeichnet; es ist eine "Un-
ehrlichkeit." Da es auf dem Volkswillen beruht, so macht es alle Schwankungen
desselben durch. Es ist eine "Unwahrheit," denn dieses moderne Konstitntions-
wesen hat eine natürliche republikanische Tendenz und behält das Königtum nur
als den Notbehelf bei, unter dessen Deckmantel die Parteien abwechselnd den
Staat bequemer regieren können. Wenn man die Verhältnisse in den romanische"
Staaten seit den Tagen betrachtet, wo Ranke diesem Gedanken Ausdruck gab,
so wird man von der Nichtigkeit desselben betroffen werden. Man wird aber
noch mehr die staatsmännische Weisheit des Mannes bewundern, wenn man sich
in die Erinnerung zurückruft, daß sein Programm von der selbständigen Stellung
des Königtums innerhalb des Verfassungsrahmens in schweren Zeiten vom
Kaiser Wilhelm und seinem mutigen Minister Bismarck verwirklicht worden ist.
Noch die Botschaft, in welcher den Bestrebungen der Fortschrittspartei gegenüber
König Wilhelm hervorhebt, daß in Preußen der Herrscher auch thatsächlich
regiert und seinen Willen zur Geltung bringt, hat diesem Rankeschen Stand¬
punkte volle Anerkennung widerfahren lassen.

Eine weitere höchst interessante Beleuchtung erhält die soziale Frage in
diesen Ncuckcschen Denkschriften. Der große Geschichtsforscher weiß, daß die
Masse" eigentlich nur von den Führern zu deren eignen politischen Zwecken
gemißbraucht werden. Er hat nicht nötig, um die Stimmen der Wähler zu
werben, und darf deshalb mit der ihm eigentümlichen Offenheit aussprechen,
daß die Massen glücklicherweise kein politisches, sondern nur ein soziales
Interesse, die Erleichterung ihres Zustandes haben, wodurch ihr Lebensunterhalt
gesichert werde. Dieses Interesse hielt Ranke für ein durchaus berechtigtes,
zumal in Preußen wegen der allgemeinen Dienstpflicht. Hier kommt Ranke
zu dem bemerkenswerten Satz: "Wer mit seinem Leben dem Staat dient, hat
auch für seinen Unterhalt ein Anrecht an denselben." Aus diesem Gedanken
folgert er dann weiter, "daß der Staat unter gewissen Bedingungen, nament¬
lich mit Wahrung der privaten Thätigkeit, die Arbeit organistren und viel-


Ranke als Tagespolitiker.

sich sowohl auf die innere Verfassungsfrage Preußens wie insbesondre auf sein
Verhältnis zu dem nach Einheit ringenden Deutschland. Mit ihnen berührt
Ranke die brennendsten Fragen der Tagespolitik, aber auch hier zeigt sich der
Meister, der von dem geschichtlichen Boden aus nicht zögert, seine Meinung
über die Gestaltung der politischen Dinge von ebenso großer Tragweite als
Verantwortlichkeit abzugeben. Nach beiden Richtungen zieht sich ein Grund¬
gedanke durch alle diese Schriften; das preußische Königtum und die preußische
Armee sind die Grundpfeiler jeder Neuordnung in Preußen wie in seinen Be¬
ziehungen zu Deutschland. Ranke rät dazu, daß Preußen eine Verfassung er¬
halte, aber er will, daß das Königtum wie bisher in Preußen das Ureigne,
Unabgeleitete und Ursprüngliche bleibe und nicht auf dem Boden der Volks-
souverünität umgewandelt werde. Mit einem Schlagwort wird dieses moderne
auf der Volkssouveränität beruhende Königtum gekennzeichnet; es ist eine „Un-
ehrlichkeit." Da es auf dem Volkswillen beruht, so macht es alle Schwankungen
desselben durch. Es ist eine „Unwahrheit," denn dieses moderne Konstitntions-
wesen hat eine natürliche republikanische Tendenz und behält das Königtum nur
als den Notbehelf bei, unter dessen Deckmantel die Parteien abwechselnd den
Staat bequemer regieren können. Wenn man die Verhältnisse in den romanische»
Staaten seit den Tagen betrachtet, wo Ranke diesem Gedanken Ausdruck gab,
so wird man von der Nichtigkeit desselben betroffen werden. Man wird aber
noch mehr die staatsmännische Weisheit des Mannes bewundern, wenn man sich
in die Erinnerung zurückruft, daß sein Programm von der selbständigen Stellung
des Königtums innerhalb des Verfassungsrahmens in schweren Zeiten vom
Kaiser Wilhelm und seinem mutigen Minister Bismarck verwirklicht worden ist.
Noch die Botschaft, in welcher den Bestrebungen der Fortschrittspartei gegenüber
König Wilhelm hervorhebt, daß in Preußen der Herrscher auch thatsächlich
regiert und seinen Willen zur Geltung bringt, hat diesem Rankeschen Stand¬
punkte volle Anerkennung widerfahren lassen.

Eine weitere höchst interessante Beleuchtung erhält die soziale Frage in
diesen Ncuckcschen Denkschriften. Der große Geschichtsforscher weiß, daß die
Masse» eigentlich nur von den Führern zu deren eignen politischen Zwecken
gemißbraucht werden. Er hat nicht nötig, um die Stimmen der Wähler zu
werben, und darf deshalb mit der ihm eigentümlichen Offenheit aussprechen,
daß die Massen glücklicherweise kein politisches, sondern nur ein soziales
Interesse, die Erleichterung ihres Zustandes haben, wodurch ihr Lebensunterhalt
gesichert werde. Dieses Interesse hielt Ranke für ein durchaus berechtigtes,
zumal in Preußen wegen der allgemeinen Dienstpflicht. Hier kommt Ranke
zu dem bemerkenswerten Satz: „Wer mit seinem Leben dem Staat dient, hat
auch für seinen Unterhalt ein Anrecht an denselben." Aus diesem Gedanken
folgert er dann weiter, „daß der Staat unter gewissen Bedingungen, nament¬
lich mit Wahrung der privaten Thätigkeit, die Arbeit organistren und viel-


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[0411] Ranke als Tagespolitiker. sich sowohl auf die innere Verfassungsfrage Preußens wie insbesondre auf sein Verhältnis zu dem nach Einheit ringenden Deutschland. Mit ihnen berührt Ranke die brennendsten Fragen der Tagespolitik, aber auch hier zeigt sich der Meister, der von dem geschichtlichen Boden aus nicht zögert, seine Meinung über die Gestaltung der politischen Dinge von ebenso großer Tragweite als Verantwortlichkeit abzugeben. Nach beiden Richtungen zieht sich ein Grund¬ gedanke durch alle diese Schriften; das preußische Königtum und die preußische Armee sind die Grundpfeiler jeder Neuordnung in Preußen wie in seinen Be¬ ziehungen zu Deutschland. Ranke rät dazu, daß Preußen eine Verfassung er¬ halte, aber er will, daß das Königtum wie bisher in Preußen das Ureigne, Unabgeleitete und Ursprüngliche bleibe und nicht auf dem Boden der Volks- souverünität umgewandelt werde. Mit einem Schlagwort wird dieses moderne auf der Volkssouveränität beruhende Königtum gekennzeichnet; es ist eine „Un- ehrlichkeit." Da es auf dem Volkswillen beruht, so macht es alle Schwankungen desselben durch. Es ist eine „Unwahrheit," denn dieses moderne Konstitntions- wesen hat eine natürliche republikanische Tendenz und behält das Königtum nur als den Notbehelf bei, unter dessen Deckmantel die Parteien abwechselnd den Staat bequemer regieren können. Wenn man die Verhältnisse in den romanische» Staaten seit den Tagen betrachtet, wo Ranke diesem Gedanken Ausdruck gab, so wird man von der Nichtigkeit desselben betroffen werden. Man wird aber noch mehr die staatsmännische Weisheit des Mannes bewundern, wenn man sich in die Erinnerung zurückruft, daß sein Programm von der selbständigen Stellung des Königtums innerhalb des Verfassungsrahmens in schweren Zeiten vom Kaiser Wilhelm und seinem mutigen Minister Bismarck verwirklicht worden ist. Noch die Botschaft, in welcher den Bestrebungen der Fortschrittspartei gegenüber König Wilhelm hervorhebt, daß in Preußen der Herrscher auch thatsächlich regiert und seinen Willen zur Geltung bringt, hat diesem Rankeschen Stand¬ punkte volle Anerkennung widerfahren lassen. Eine weitere höchst interessante Beleuchtung erhält die soziale Frage in diesen Ncuckcschen Denkschriften. Der große Geschichtsforscher weiß, daß die Masse» eigentlich nur von den Führern zu deren eignen politischen Zwecken gemißbraucht werden. Er hat nicht nötig, um die Stimmen der Wähler zu werben, und darf deshalb mit der ihm eigentümlichen Offenheit aussprechen, daß die Massen glücklicherweise kein politisches, sondern nur ein soziales Interesse, die Erleichterung ihres Zustandes haben, wodurch ihr Lebensunterhalt gesichert werde. Dieses Interesse hielt Ranke für ein durchaus berechtigtes, zumal in Preußen wegen der allgemeinen Dienstpflicht. Hier kommt Ranke zu dem bemerkenswerten Satz: „Wer mit seinem Leben dem Staat dient, hat auch für seinen Unterhalt ein Anrecht an denselben." Aus diesem Gedanken folgert er dann weiter, „daß der Staat unter gewissen Bedingungen, nament¬ lich mit Wahrung der privaten Thätigkeit, die Arbeit organistren und viel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/411>, abgerufen am 23.07.2024.