Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch einmal die Tonleiter.

im Tonwesen, gewisse Dinge gebiete oder fordere, andere erlaube oder zulasse,
noch andere aber verwehre und verbiete.

Sie fordert vor allem andern gegliederte Bewegung, d. h. Rhythmus (der
mir immer wie ein geistiges oder seelisches Schreiten oder Tanzen erscheint),
und wie sehr diese Forderung als allererste voransteht, sieht man daran, daß
dazu nicht einmal die gewöhnliche Bewegung auf und ab durchaus nötig ist,
denn auch die Bewegung auf einer Linie, das Verharren auf einem Tone kann
aus dem unendlichen Bereich der bloßen Geräusche schon über die Schwelle in
den Garten des musikalischen Klangwesens eintreten, sobald der eine Ton in
Absätzen gegliedert auftritt. Eine Dmnpfpfeifc, die ihren einen Ton langsm
klingen läßt, ist noch fern vom Klangreiche, so fest auch der Ton in sich
auftrete und auf bestimmter Stelle der Tonleiter stehe; sobald aber die Pfeife
einmal wie ermüdet atmend Absätze macht, kommt sie auf den Weg zum Klang¬
reiche wie durch einen unbewußten und ungewollten Versuch einer Gliederung
des einen Tones. Was aber ein Ton durch kunstgerechte Gliederung Musika-
kcilisches vermag, das zeigt die Trommel; wenn da der eine Ton durch die
Macht des wechselnden und gemischten Rhythmus schon den Eindruck einer Me¬
lodie macht, ob auch nur als schattenhafte Skizze, so kann da, wenn die beiden
Klöppel verschieden arbeiten in kunstgerecht verschiedenem Rhythmus, wobei zwei
rhythmische Bewegungen sich widersprechen und gleichsam bekämpfen und doch
ebeu dadurch ein höheres, schönes Ganze herstellen -- da kann mit der Trom¬
mel für das Ohr sogar schon ein Vorgefühl von Harmonie und Fugenkunst
gegeben werden, alles in und mit einem Tone. So entschieden und unaus¬
weichlich ist der Rhythmus der erste und oberste Maßstab alles Tonlebens nach
dem Willen der Natur, und mit diesem Maßstabe habe ich die alte Tonleiter
gemessen, anfangs im Gefühl (in dem die Natur zu uns spricht oder flüstert),
später zugleich mit wissenschaftlicher Erkenntnis. Gerade das aber ist es, was bei
meinen Herren Erwiderern doch nicht zu ganzer Geltung gekommen ist und was
ich deshalb schärfer dargelegt wiederholen muß oder müßte. Aber Freunde, die
auch in der Musikwissenschaft genügend eingeweiht sind, haben mir daneben in
der Sache vollständig Recht gegeben, das beruhigt mich.

Mutter Natur ist übrigens auch hier in gewissen Grenzen gar mild und
nachsichtig gegenüber der Freiheit des Menschenwillens, die ihren Kindern nun
einmal notwendig ist, damit sie sich durch eignes Wollen und Erfahren in die
von ihr gewollten besten Wege finden lernen. Denn wenn sie z. B. für den
Verlauf der einfachen Tvnreihe gewisse Abstände fest gebietet, so willkürlich diese
dem Verstände angesetzt erscheinen mögen, der ganz frei nur seinem Rechnen und
nicht dem Ohre folgend, die Einteilung der Tönemasse wohl ganz anders und
richtiger zu machen glauben müßte, so erlaubt sie doch mancherlei Abweichungen
von diesen Abständen, wenn der frei werdende Menschenwille links und rechts
wegstrebt in andre benachbarte Tongänge, falls er nur am Schlüsse in das vou

//


Noch einmal die Tonleiter.

im Tonwesen, gewisse Dinge gebiete oder fordere, andere erlaube oder zulasse,
noch andere aber verwehre und verbiete.

Sie fordert vor allem andern gegliederte Bewegung, d. h. Rhythmus (der
mir immer wie ein geistiges oder seelisches Schreiten oder Tanzen erscheint),
und wie sehr diese Forderung als allererste voransteht, sieht man daran, daß
dazu nicht einmal die gewöhnliche Bewegung auf und ab durchaus nötig ist,
denn auch die Bewegung auf einer Linie, das Verharren auf einem Tone kann
aus dem unendlichen Bereich der bloßen Geräusche schon über die Schwelle in
den Garten des musikalischen Klangwesens eintreten, sobald der eine Ton in
Absätzen gegliedert auftritt. Eine Dmnpfpfeifc, die ihren einen Ton langsm
klingen läßt, ist noch fern vom Klangreiche, so fest auch der Ton in sich
auftrete und auf bestimmter Stelle der Tonleiter stehe; sobald aber die Pfeife
einmal wie ermüdet atmend Absätze macht, kommt sie auf den Weg zum Klang¬
reiche wie durch einen unbewußten und ungewollten Versuch einer Gliederung
des einen Tones. Was aber ein Ton durch kunstgerechte Gliederung Musika-
kcilisches vermag, das zeigt die Trommel; wenn da der eine Ton durch die
Macht des wechselnden und gemischten Rhythmus schon den Eindruck einer Me¬
lodie macht, ob auch nur als schattenhafte Skizze, so kann da, wenn die beiden
Klöppel verschieden arbeiten in kunstgerecht verschiedenem Rhythmus, wobei zwei
rhythmische Bewegungen sich widersprechen und gleichsam bekämpfen und doch
ebeu dadurch ein höheres, schönes Ganze herstellen — da kann mit der Trom¬
mel für das Ohr sogar schon ein Vorgefühl von Harmonie und Fugenkunst
gegeben werden, alles in und mit einem Tone. So entschieden und unaus¬
weichlich ist der Rhythmus der erste und oberste Maßstab alles Tonlebens nach
dem Willen der Natur, und mit diesem Maßstabe habe ich die alte Tonleiter
gemessen, anfangs im Gefühl (in dem die Natur zu uns spricht oder flüstert),
später zugleich mit wissenschaftlicher Erkenntnis. Gerade das aber ist es, was bei
meinen Herren Erwiderern doch nicht zu ganzer Geltung gekommen ist und was
ich deshalb schärfer dargelegt wiederholen muß oder müßte. Aber Freunde, die
auch in der Musikwissenschaft genügend eingeweiht sind, haben mir daneben in
der Sache vollständig Recht gegeben, das beruhigt mich.

Mutter Natur ist übrigens auch hier in gewissen Grenzen gar mild und
nachsichtig gegenüber der Freiheit des Menschenwillens, die ihren Kindern nun
einmal notwendig ist, damit sie sich durch eignes Wollen und Erfahren in die
von ihr gewollten besten Wege finden lernen. Denn wenn sie z. B. für den
Verlauf der einfachen Tvnreihe gewisse Abstände fest gebietet, so willkürlich diese
dem Verstände angesetzt erscheinen mögen, der ganz frei nur seinem Rechnen und
nicht dem Ohre folgend, die Einteilung der Tönemasse wohl ganz anders und
richtiger zu machen glauben müßte, so erlaubt sie doch mancherlei Abweichungen
von diesen Abständen, wenn der frei werdende Menschenwille links und rechts
wegstrebt in andre benachbarte Tongänge, falls er nur am Schlüsse in das vou

//


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201169"/>
          <fw type="header" place="top"> Noch einmal die Tonleiter.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1185" prev="#ID_1184"> im Tonwesen, gewisse Dinge gebiete oder fordere, andere erlaube oder zulasse,<lb/>
noch andere aber verwehre und verbiete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1186"> Sie fordert vor allem andern gegliederte Bewegung, d. h. Rhythmus (der<lb/>
mir immer wie ein geistiges oder seelisches Schreiten oder Tanzen erscheint),<lb/>
und wie sehr diese Forderung als allererste voransteht, sieht man daran, daß<lb/>
dazu nicht einmal die gewöhnliche Bewegung auf und ab durchaus nötig ist,<lb/>
denn auch die Bewegung auf einer Linie, das Verharren auf einem Tone kann<lb/>
aus dem unendlichen Bereich der bloßen Geräusche schon über die Schwelle in<lb/>
den Garten des musikalischen Klangwesens eintreten, sobald der eine Ton in<lb/>
Absätzen gegliedert auftritt. Eine Dmnpfpfeifc, die ihren einen Ton langsm<lb/>
klingen läßt, ist noch fern vom Klangreiche, so fest auch der Ton in sich<lb/>
auftrete und auf bestimmter Stelle der Tonleiter stehe; sobald aber die Pfeife<lb/>
einmal wie ermüdet atmend Absätze macht, kommt sie auf den Weg zum Klang¬<lb/>
reiche wie durch einen unbewußten und ungewollten Versuch einer Gliederung<lb/>
des einen Tones. Was aber ein Ton durch kunstgerechte Gliederung Musika-<lb/>
kcilisches vermag, das zeigt die Trommel; wenn da der eine Ton durch die<lb/>
Macht des wechselnden und gemischten Rhythmus schon den Eindruck einer Me¬<lb/>
lodie macht, ob auch nur als schattenhafte Skizze, so kann da, wenn die beiden<lb/>
Klöppel verschieden arbeiten in kunstgerecht verschiedenem Rhythmus, wobei zwei<lb/>
rhythmische Bewegungen sich widersprechen und gleichsam bekämpfen und doch<lb/>
ebeu dadurch ein höheres, schönes Ganze herstellen &#x2014; da kann mit der Trom¬<lb/>
mel für das Ohr sogar schon ein Vorgefühl von Harmonie und Fugenkunst<lb/>
gegeben werden, alles in und mit einem Tone. So entschieden und unaus¬<lb/>
weichlich ist der Rhythmus der erste und oberste Maßstab alles Tonlebens nach<lb/>
dem Willen der Natur, und mit diesem Maßstabe habe ich die alte Tonleiter<lb/>
gemessen, anfangs im Gefühl (in dem die Natur zu uns spricht oder flüstert),<lb/>
später zugleich mit wissenschaftlicher Erkenntnis. Gerade das aber ist es, was bei<lb/>
meinen Herren Erwiderern doch nicht zu ganzer Geltung gekommen ist und was<lb/>
ich deshalb schärfer dargelegt wiederholen muß oder müßte. Aber Freunde, die<lb/>
auch in der Musikwissenschaft genügend eingeweiht sind, haben mir daneben in<lb/>
der Sache vollständig Recht gegeben, das beruhigt mich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1187"> Mutter Natur ist übrigens auch hier in gewissen Grenzen gar mild und<lb/>
nachsichtig gegenüber der Freiheit des Menschenwillens, die ihren Kindern nun<lb/>
einmal notwendig ist, damit sie sich durch eignes Wollen und Erfahren in die<lb/>
von ihr gewollten besten Wege finden lernen. Denn wenn sie z. B. für den<lb/>
Verlauf der einfachen Tvnreihe gewisse Abstände fest gebietet, so willkürlich diese<lb/>
dem Verstände angesetzt erscheinen mögen, der ganz frei nur seinem Rechnen und<lb/>
nicht dem Ohre folgend, die Einteilung der Tönemasse wohl ganz anders und<lb/>
richtiger zu machen glauben müßte, so erlaubt sie doch mancherlei Abweichungen<lb/>
von diesen Abständen, wenn der frei werdende Menschenwille links und rechts<lb/>
wegstrebt in andre benachbarte Tongänge, falls er nur am Schlüsse in das vou</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1188" next="#ID_1189"> //</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] Noch einmal die Tonleiter. im Tonwesen, gewisse Dinge gebiete oder fordere, andere erlaube oder zulasse, noch andere aber verwehre und verbiete. Sie fordert vor allem andern gegliederte Bewegung, d. h. Rhythmus (der mir immer wie ein geistiges oder seelisches Schreiten oder Tanzen erscheint), und wie sehr diese Forderung als allererste voransteht, sieht man daran, daß dazu nicht einmal die gewöhnliche Bewegung auf und ab durchaus nötig ist, denn auch die Bewegung auf einer Linie, das Verharren auf einem Tone kann aus dem unendlichen Bereich der bloßen Geräusche schon über die Schwelle in den Garten des musikalischen Klangwesens eintreten, sobald der eine Ton in Absätzen gegliedert auftritt. Eine Dmnpfpfeifc, die ihren einen Ton langsm klingen läßt, ist noch fern vom Klangreiche, so fest auch der Ton in sich auftrete und auf bestimmter Stelle der Tonleiter stehe; sobald aber die Pfeife einmal wie ermüdet atmend Absätze macht, kommt sie auf den Weg zum Klang¬ reiche wie durch einen unbewußten und ungewollten Versuch einer Gliederung des einen Tones. Was aber ein Ton durch kunstgerechte Gliederung Musika- kcilisches vermag, das zeigt die Trommel; wenn da der eine Ton durch die Macht des wechselnden und gemischten Rhythmus schon den Eindruck einer Me¬ lodie macht, ob auch nur als schattenhafte Skizze, so kann da, wenn die beiden Klöppel verschieden arbeiten in kunstgerecht verschiedenem Rhythmus, wobei zwei rhythmische Bewegungen sich widersprechen und gleichsam bekämpfen und doch ebeu dadurch ein höheres, schönes Ganze herstellen — da kann mit der Trom¬ mel für das Ohr sogar schon ein Vorgefühl von Harmonie und Fugenkunst gegeben werden, alles in und mit einem Tone. So entschieden und unaus¬ weichlich ist der Rhythmus der erste und oberste Maßstab alles Tonlebens nach dem Willen der Natur, und mit diesem Maßstabe habe ich die alte Tonleiter gemessen, anfangs im Gefühl (in dem die Natur zu uns spricht oder flüstert), später zugleich mit wissenschaftlicher Erkenntnis. Gerade das aber ist es, was bei meinen Herren Erwiderern doch nicht zu ganzer Geltung gekommen ist und was ich deshalb schärfer dargelegt wiederholen muß oder müßte. Aber Freunde, die auch in der Musikwissenschaft genügend eingeweiht sind, haben mir daneben in der Sache vollständig Recht gegeben, das beruhigt mich. Mutter Natur ist übrigens auch hier in gewissen Grenzen gar mild und nachsichtig gegenüber der Freiheit des Menschenwillens, die ihren Kindern nun einmal notwendig ist, damit sie sich durch eignes Wollen und Erfahren in die von ihr gewollten besten Wege finden lernen. Denn wenn sie z. B. für den Verlauf der einfachen Tvnreihe gewisse Abstände fest gebietet, so willkürlich diese dem Verstände angesetzt erscheinen mögen, der ganz frei nur seinem Rechnen und nicht dem Ohre folgend, die Einteilung der Tönemasse wohl ganz anders und richtiger zu machen glauben müßte, so erlaubt sie doch mancherlei Abweichungen von diesen Abständen, wenn der frei werdende Menschenwille links und rechts wegstrebt in andre benachbarte Tongänge, falls er nur am Schlüsse in das vou //

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/390>, abgerufen am 23.07.2024.