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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

schieben, ob sie das zufrieden wäre? Schwerlich, sie braucht und liebt ja
die Küchlein selber, nicht ihre Zahl, wie der Mensch ihr leicht von sich aus
unterlegen mag. Wenn aber dem Knaben von seinen Soldaten welche verloren
gingen und würden durch andere ersetzt, die nähme er gern an; denn die Zahl
wäre ja wieder voll, die ihm nötiger geworden ist, als die lieben Mannen
selber, dem Freunde gegenüber oder auch dem Begriff zu Gefallen, der sich
über die Gestalten hinaus in ihm als Hauptsache festgesetzt hat.

Mir ist es von jeher ein eigenes Privatvergnügen, ja ein stiller Drang,
von den Dingen in Gedanken gleichsam reinlich abzuschälen, was der Mensch
aus sich hinzuthut; gelingt das einmal, so giebt es eine eigentümlich klare Ruhe.
Daher noch etwas, das zeigen kann, wie gerade die Zahl, die im Kampf des
Lebens eine so mächtige Rolle spielt, genau besehen samt dem Zählen nur ein
menschlich begriffliches Ding ist, das er den Dingen selber gleichsam anklebt,
das aber diese selbst eigentlich nichts angeht, in und an ihnen selber nichts ist.

Nirgends im Leben ist die Zahl wichtiger, als in Anwendung auf Geld
und Geldcswert, von dem gewiß die Kunst des Zählens und des Rechnens,
dieser erhöhten und fein durchgebildeten Form des Zählens zuerst ausgegangen
ist im Bedürfnis des Handels und Wandels, wo das Mein lind Dein genau
festzustellen ist. Man braucht sich aber nur den Inhalt einer Geldrolle, in
der gleichwertige Stücke genau abgezählt stecken, geöffnet zu denken und die
Stücke in einen Kreis gelegt, statt wie gewöhnlich in eine Linie zum nachzählen,
so hat das Zählen ein ganz anderes Gesicht. Die Anzahl zwar ist dieselbe,
aber die Zahl, die man den einzelnen Stücken so sicher zuspricht oder anheftet,
das eins, zwei, drei U- s- W. ist auf einmal unsicher geworden, denn jedes Stück
im Kreise kann das eins, zwei, drei sein, die Stücke tourner gleichsam wieder zu
ihrem Rechte und Wesen, das jedes an sich hat, man ist unsicher, wo man zu
zählen anfangen soll und kommt leicht zu dein Gefühle, wie fremd die Zahl
den gelben Dingern selbst ist, deren Wert für uns doch sonst in der Zahl ganz
aufgeht.

Das ist ja freilich Spielerei, die im Ernst des Lebens keine Stelle hat, aber
doch zugleich anregend und von Wert für tieferes Denken, das nach dem Wesen
der Dinge an sich und des Menschenweseus im Verhältnis zu ihnen sucht. Auch
hier liegt im kindschen Spiel ein tiefer Sinn. Was übrigens das Spielen
anlangt, so kann man sogar weiter spielen und den Spieß umkehren: könnten
die Goldstücke es merken, wie der geldzühlcnde Geschäftsmann mit ihnen nach
Zufall und Willkür umspringt, und sich darüber äußern (was im Mährchen
möglich wäre), so könnten sie ihm vorhalten, sein Zählen sei ein Spiel, das er
so ernst betreibt, worauf er freilich auch mit dem Dichter antworten könnte:
Mir liegt der tiefste Sinn in diesem Spiel.

Das Verhältnis läßt sich aber auch im Ernst des Lebens wiederfinden.
Denkt man sich eine Mutter mit einer Kinderschar, im Kreise ihrer Kinder,


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

schieben, ob sie das zufrieden wäre? Schwerlich, sie braucht und liebt ja
die Küchlein selber, nicht ihre Zahl, wie der Mensch ihr leicht von sich aus
unterlegen mag. Wenn aber dem Knaben von seinen Soldaten welche verloren
gingen und würden durch andere ersetzt, die nähme er gern an; denn die Zahl
wäre ja wieder voll, die ihm nötiger geworden ist, als die lieben Mannen
selber, dem Freunde gegenüber oder auch dem Begriff zu Gefallen, der sich
über die Gestalten hinaus in ihm als Hauptsache festgesetzt hat.

Mir ist es von jeher ein eigenes Privatvergnügen, ja ein stiller Drang,
von den Dingen in Gedanken gleichsam reinlich abzuschälen, was der Mensch
aus sich hinzuthut; gelingt das einmal, so giebt es eine eigentümlich klare Ruhe.
Daher noch etwas, das zeigen kann, wie gerade die Zahl, die im Kampf des
Lebens eine so mächtige Rolle spielt, genau besehen samt dem Zählen nur ein
menschlich begriffliches Ding ist, das er den Dingen selber gleichsam anklebt,
das aber diese selbst eigentlich nichts angeht, in und an ihnen selber nichts ist.

Nirgends im Leben ist die Zahl wichtiger, als in Anwendung auf Geld
und Geldcswert, von dem gewiß die Kunst des Zählens und des Rechnens,
dieser erhöhten und fein durchgebildeten Form des Zählens zuerst ausgegangen
ist im Bedürfnis des Handels und Wandels, wo das Mein lind Dein genau
festzustellen ist. Man braucht sich aber nur den Inhalt einer Geldrolle, in
der gleichwertige Stücke genau abgezählt stecken, geöffnet zu denken und die
Stücke in einen Kreis gelegt, statt wie gewöhnlich in eine Linie zum nachzählen,
so hat das Zählen ein ganz anderes Gesicht. Die Anzahl zwar ist dieselbe,
aber die Zahl, die man den einzelnen Stücken so sicher zuspricht oder anheftet,
das eins, zwei, drei U- s- W. ist auf einmal unsicher geworden, denn jedes Stück
im Kreise kann das eins, zwei, drei sein, die Stücke tourner gleichsam wieder zu
ihrem Rechte und Wesen, das jedes an sich hat, man ist unsicher, wo man zu
zählen anfangen soll und kommt leicht zu dein Gefühle, wie fremd die Zahl
den gelben Dingern selbst ist, deren Wert für uns doch sonst in der Zahl ganz
aufgeht.

Das ist ja freilich Spielerei, die im Ernst des Lebens keine Stelle hat, aber
doch zugleich anregend und von Wert für tieferes Denken, das nach dem Wesen
der Dinge an sich und des Menschenweseus im Verhältnis zu ihnen sucht. Auch
hier liegt im kindschen Spiel ein tiefer Sinn. Was übrigens das Spielen
anlangt, so kann man sogar weiter spielen und den Spieß umkehren: könnten
die Goldstücke es merken, wie der geldzühlcnde Geschäftsmann mit ihnen nach
Zufall und Willkür umspringt, und sich darüber äußern (was im Mährchen
möglich wäre), so könnten sie ihm vorhalten, sein Zählen sei ein Spiel, das er
so ernst betreibt, worauf er freilich auch mit dem Dichter antworten könnte:
Mir liegt der tiefste Sinn in diesem Spiel.

Das Verhältnis läßt sich aber auch im Ernst des Lebens wiederfinden.
Denkt man sich eine Mutter mit einer Kinderschar, im Kreise ihrer Kinder,


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[0039] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. schieben, ob sie das zufrieden wäre? Schwerlich, sie braucht und liebt ja die Küchlein selber, nicht ihre Zahl, wie der Mensch ihr leicht von sich aus unterlegen mag. Wenn aber dem Knaben von seinen Soldaten welche verloren gingen und würden durch andere ersetzt, die nähme er gern an; denn die Zahl wäre ja wieder voll, die ihm nötiger geworden ist, als die lieben Mannen selber, dem Freunde gegenüber oder auch dem Begriff zu Gefallen, der sich über die Gestalten hinaus in ihm als Hauptsache festgesetzt hat. Mir ist es von jeher ein eigenes Privatvergnügen, ja ein stiller Drang, von den Dingen in Gedanken gleichsam reinlich abzuschälen, was der Mensch aus sich hinzuthut; gelingt das einmal, so giebt es eine eigentümlich klare Ruhe. Daher noch etwas, das zeigen kann, wie gerade die Zahl, die im Kampf des Lebens eine so mächtige Rolle spielt, genau besehen samt dem Zählen nur ein menschlich begriffliches Ding ist, das er den Dingen selber gleichsam anklebt, das aber diese selbst eigentlich nichts angeht, in und an ihnen selber nichts ist. Nirgends im Leben ist die Zahl wichtiger, als in Anwendung auf Geld und Geldcswert, von dem gewiß die Kunst des Zählens und des Rechnens, dieser erhöhten und fein durchgebildeten Form des Zählens zuerst ausgegangen ist im Bedürfnis des Handels und Wandels, wo das Mein lind Dein genau festzustellen ist. Man braucht sich aber nur den Inhalt einer Geldrolle, in der gleichwertige Stücke genau abgezählt stecken, geöffnet zu denken und die Stücke in einen Kreis gelegt, statt wie gewöhnlich in eine Linie zum nachzählen, so hat das Zählen ein ganz anderes Gesicht. Die Anzahl zwar ist dieselbe, aber die Zahl, die man den einzelnen Stücken so sicher zuspricht oder anheftet, das eins, zwei, drei U- s- W. ist auf einmal unsicher geworden, denn jedes Stück im Kreise kann das eins, zwei, drei sein, die Stücke tourner gleichsam wieder zu ihrem Rechte und Wesen, das jedes an sich hat, man ist unsicher, wo man zu zählen anfangen soll und kommt leicht zu dein Gefühle, wie fremd die Zahl den gelben Dingern selbst ist, deren Wert für uns doch sonst in der Zahl ganz aufgeht. Das ist ja freilich Spielerei, die im Ernst des Lebens keine Stelle hat, aber doch zugleich anregend und von Wert für tieferes Denken, das nach dem Wesen der Dinge an sich und des Menschenweseus im Verhältnis zu ihnen sucht. Auch hier liegt im kindschen Spiel ein tiefer Sinn. Was übrigens das Spielen anlangt, so kann man sogar weiter spielen und den Spieß umkehren: könnten die Goldstücke es merken, wie der geldzühlcnde Geschäftsmann mit ihnen nach Zufall und Willkür umspringt, und sich darüber äußern (was im Mährchen möglich wäre), so könnten sie ihm vorhalten, sein Zählen sei ein Spiel, das er so ernst betreibt, worauf er freilich auch mit dem Dichter antworten könnte: Mir liegt der tiefste Sinn in diesem Spiel. Das Verhältnis läßt sich aber auch im Ernst des Lebens wiederfinden. Denkt man sich eine Mutter mit einer Kinderschar, im Kreise ihrer Kinder,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/39>, abgerufen am 23.07.2024.