Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kleine und große Schulplagen.

möchten. Und kannst du ohne Voreingenommenheit dich überzeugen, daß in
dem, was ich hier gesagt habe, etwas Wahres liege, so schaffe Wandel! Du
kannst ja viel.

Und weil dn so mächtig bist, hohes Provinzialschulkollegium. so komme ich
noch mit einer andern Bitte. Vor Jahren gab es in Berlin eine Schule, in
welcher die bekannten Leßhaftschen Schreibhefte eingeführt waren. Wöchentlich
ein- oder zweimal wurden da Übungen im Schnellschreiben abgehalten, und wer
am schnellsten, d. h. in der gegebenen Zeit die meisten Seiten voll geschrieben
hatte, der wurde Erster. Im Umsehen war so ein Heft vollgeschrieben, und
der Vater mußte ein neues Heft kaufen, wobei natürlich Herr Leßhaft den
meisten Vorteil hatte. Derartiges ist mir zwar aus neuerer Zeit nicht wieder
zu Ohren gekommen; aber wenn ein Schüler bei Versetzung in eine höhere
Klasse sein eben begonnenes Heft nicht weiterführen darf, wenn ferner ein neues
Heft gekauft werden muß, weil ein Mitschüler sein Tintenfaß über den Umschlag
des alten ausgegossen hat, so kostet auch dies unnützes Geld.*) Welcher Vater
endlich hätte nicht über die endlosen Ausgaben für gedruckte Schulbücher zu
klagen! Sie sind ja zum Teil unerläßlich, zum Teil aber auch sehr wohl zu
vermeiden. Als ich kürzlich mit meinen drei Geschwistern in meinem alten
Vaterhause zusammentraf, fanden wir in einer Ecke des Bücherschrankes noch
unser altes "Lesebuch für preußische Schulen," herausgegeben von den Lehrern
der höheren Bürgerschule zu Potsdam. Obgleich wir als Kinder verschiedene
Schulen unsrer Vaterstadt besucht hatten, waren wir doch alle mit demselben
schönen Lesebuche groß geworden. Nach vielen Jahren war es jetzt für uns
eine ordentliche Erbauung, gemeinschaftlich die lieben alten Geschichten noch
einmal durchzulesen und uns in unsre Kinderzeit zurückzudenken.

Jetzt ist das alles anders; in jeder Stadt andre Lehrmittel, in verschiednen
auf gleicher Stufe stehenden Schulen der nämlichen Stadt verschiedne Schul¬
bücher. Mir ist eine Familie bekannt, in welcher in Zeit von zwei Jahren für
vier Kinder an demselben Orte nicht weniger als fünf neue Atlanten haben an¬
geschafft werden müsse"! Für kinderreiche Eltern, welche noch obendrein Ver¬
setzungen aus einer Stadt in die andre unterworfen sind, ist das eine harte
Ausgabe. Auf die in manchen Schulen vorhandenen, nur für gänzlich Unbe¬
mittelte bestimmten Büchervorräte zurückzugreifen, steht doch nicht jedem an.
Dabei schwellen in den höhern Klassen die für einen Tag erforderlichen Bücher



D. Red.
Noch ärger wird in dieser Beziehung auf Gymnasien in den Geldbeutel der Eltern
gewüstet. Hier besteht die Einrichtung, daß Persa und Extemporalia nur auf die linke Seite
des Heftes geschrieben werden dürfen, die rechte für das sogenannte Emcndatum (die Fchler-
verbesseruug) freigelassen werden muß. Diese Fohlerverbesserung beschränkt sich aber oft
seitenlang auf zwei, drei Wörter auf der Seite. Über solche Papicroerschwendung beklagen
sich nicht bloß die Eltern, sondern die Jungen selbst sind unwillig darüber.
Kleine und große Schulplagen.

möchten. Und kannst du ohne Voreingenommenheit dich überzeugen, daß in
dem, was ich hier gesagt habe, etwas Wahres liege, so schaffe Wandel! Du
kannst ja viel.

Und weil dn so mächtig bist, hohes Provinzialschulkollegium. so komme ich
noch mit einer andern Bitte. Vor Jahren gab es in Berlin eine Schule, in
welcher die bekannten Leßhaftschen Schreibhefte eingeführt waren. Wöchentlich
ein- oder zweimal wurden da Übungen im Schnellschreiben abgehalten, und wer
am schnellsten, d. h. in der gegebenen Zeit die meisten Seiten voll geschrieben
hatte, der wurde Erster. Im Umsehen war so ein Heft vollgeschrieben, und
der Vater mußte ein neues Heft kaufen, wobei natürlich Herr Leßhaft den
meisten Vorteil hatte. Derartiges ist mir zwar aus neuerer Zeit nicht wieder
zu Ohren gekommen; aber wenn ein Schüler bei Versetzung in eine höhere
Klasse sein eben begonnenes Heft nicht weiterführen darf, wenn ferner ein neues
Heft gekauft werden muß, weil ein Mitschüler sein Tintenfaß über den Umschlag
des alten ausgegossen hat, so kostet auch dies unnützes Geld.*) Welcher Vater
endlich hätte nicht über die endlosen Ausgaben für gedruckte Schulbücher zu
klagen! Sie sind ja zum Teil unerläßlich, zum Teil aber auch sehr wohl zu
vermeiden. Als ich kürzlich mit meinen drei Geschwistern in meinem alten
Vaterhause zusammentraf, fanden wir in einer Ecke des Bücherschrankes noch
unser altes „Lesebuch für preußische Schulen," herausgegeben von den Lehrern
der höheren Bürgerschule zu Potsdam. Obgleich wir als Kinder verschiedene
Schulen unsrer Vaterstadt besucht hatten, waren wir doch alle mit demselben
schönen Lesebuche groß geworden. Nach vielen Jahren war es jetzt für uns
eine ordentliche Erbauung, gemeinschaftlich die lieben alten Geschichten noch
einmal durchzulesen und uns in unsre Kinderzeit zurückzudenken.

Jetzt ist das alles anders; in jeder Stadt andre Lehrmittel, in verschiednen
auf gleicher Stufe stehenden Schulen der nämlichen Stadt verschiedne Schul¬
bücher. Mir ist eine Familie bekannt, in welcher in Zeit von zwei Jahren für
vier Kinder an demselben Orte nicht weniger als fünf neue Atlanten haben an¬
geschafft werden müsse»! Für kinderreiche Eltern, welche noch obendrein Ver¬
setzungen aus einer Stadt in die andre unterworfen sind, ist das eine harte
Ausgabe. Auf die in manchen Schulen vorhandenen, nur für gänzlich Unbe¬
mittelte bestimmten Büchervorräte zurückzugreifen, steht doch nicht jedem an.
Dabei schwellen in den höhern Klassen die für einen Tag erforderlichen Bücher



D. Red.
Noch ärger wird in dieser Beziehung auf Gymnasien in den Geldbeutel der Eltern
gewüstet. Hier besteht die Einrichtung, daß Persa und Extemporalia nur auf die linke Seite
des Heftes geschrieben werden dürfen, die rechte für das sogenannte Emcndatum (die Fchler-
verbesseruug) freigelassen werden muß. Diese Fohlerverbesserung beschränkt sich aber oft
seitenlang auf zwei, drei Wörter auf der Seite. Über solche Papicroerschwendung beklagen
sich nicht bloß die Eltern, sondern die Jungen selbst sind unwillig darüber.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201157"/>
          <fw type="header" place="top"> Kleine und große Schulplagen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1149" prev="#ID_1148"> möchten. Und kannst du ohne Voreingenommenheit dich überzeugen, daß in<lb/>
dem, was ich hier gesagt habe, etwas Wahres liege, so schaffe Wandel! Du<lb/>
kannst ja viel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1150"> Und weil dn so mächtig bist, hohes Provinzialschulkollegium. so komme ich<lb/>
noch mit einer andern Bitte. Vor Jahren gab es in Berlin eine Schule, in<lb/>
welcher die bekannten Leßhaftschen Schreibhefte eingeführt waren. Wöchentlich<lb/>
ein- oder zweimal wurden da Übungen im Schnellschreiben abgehalten, und wer<lb/>
am schnellsten, d. h. in der gegebenen Zeit die meisten Seiten voll geschrieben<lb/>
hatte, der wurde Erster. Im Umsehen war so ein Heft vollgeschrieben, und<lb/>
der Vater mußte ein neues Heft kaufen, wobei natürlich Herr Leßhaft den<lb/>
meisten Vorteil hatte. Derartiges ist mir zwar aus neuerer Zeit nicht wieder<lb/>
zu Ohren gekommen; aber wenn ein Schüler bei Versetzung in eine höhere<lb/>
Klasse sein eben begonnenes Heft nicht weiterführen darf, wenn ferner ein neues<lb/>
Heft gekauft werden muß, weil ein Mitschüler sein Tintenfaß über den Umschlag<lb/>
des alten ausgegossen hat, so kostet auch dies unnützes Geld.*) Welcher Vater<lb/>
endlich hätte nicht über die endlosen Ausgaben für gedruckte Schulbücher zu<lb/>
klagen! Sie sind ja zum Teil unerläßlich, zum Teil aber auch sehr wohl zu<lb/>
vermeiden. Als ich kürzlich mit meinen drei Geschwistern in meinem alten<lb/>
Vaterhause zusammentraf, fanden wir in einer Ecke des Bücherschrankes noch<lb/>
unser altes &#x201E;Lesebuch für preußische Schulen," herausgegeben von den Lehrern<lb/>
der höheren Bürgerschule zu Potsdam. Obgleich wir als Kinder verschiedene<lb/>
Schulen unsrer Vaterstadt besucht hatten, waren wir doch alle mit demselben<lb/>
schönen Lesebuche groß geworden. Nach vielen Jahren war es jetzt für uns<lb/>
eine ordentliche Erbauung, gemeinschaftlich die lieben alten Geschichten noch<lb/>
einmal durchzulesen und uns in unsre Kinderzeit zurückzudenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1151" next="#ID_1152"> Jetzt ist das alles anders; in jeder Stadt andre Lehrmittel, in verschiednen<lb/>
auf gleicher Stufe stehenden Schulen der nämlichen Stadt verschiedne Schul¬<lb/>
bücher. Mir ist eine Familie bekannt, in welcher in Zeit von zwei Jahren für<lb/>
vier Kinder an demselben Orte nicht weniger als fünf neue Atlanten haben an¬<lb/>
geschafft werden müsse»! Für kinderreiche Eltern, welche noch obendrein Ver¬<lb/>
setzungen aus einer Stadt in die andre unterworfen sind, ist das eine harte<lb/>
Ausgabe. Auf die in manchen Schulen vorhandenen, nur für gänzlich Unbe¬<lb/>
mittelte bestimmten Büchervorräte zurückzugreifen, steht doch nicht jedem an.<lb/>
Dabei schwellen in den höhern Klassen die für einen Tag erforderlichen Bücher</p><lb/>
          <note xml:id="FID_35" place="foot"> Noch ärger wird in dieser Beziehung auf Gymnasien in den Geldbeutel der Eltern<lb/>
gewüstet. Hier besteht die Einrichtung, daß Persa und Extemporalia nur auf die linke Seite<lb/>
des Heftes geschrieben werden dürfen, die rechte für das sogenannte Emcndatum (die Fchler-<lb/>
verbesseruug) freigelassen werden muß. Diese Fohlerverbesserung beschränkt sich aber oft<lb/>
seitenlang auf zwei, drei Wörter auf der Seite. Über solche Papicroerschwendung beklagen<lb/>
sich nicht bloß die Eltern, sondern die Jungen selbst sind unwillig darüber.</note><lb/>
          <note type="byline"> D. Red.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Kleine und große Schulplagen. möchten. Und kannst du ohne Voreingenommenheit dich überzeugen, daß in dem, was ich hier gesagt habe, etwas Wahres liege, so schaffe Wandel! Du kannst ja viel. Und weil dn so mächtig bist, hohes Provinzialschulkollegium. so komme ich noch mit einer andern Bitte. Vor Jahren gab es in Berlin eine Schule, in welcher die bekannten Leßhaftschen Schreibhefte eingeführt waren. Wöchentlich ein- oder zweimal wurden da Übungen im Schnellschreiben abgehalten, und wer am schnellsten, d. h. in der gegebenen Zeit die meisten Seiten voll geschrieben hatte, der wurde Erster. Im Umsehen war so ein Heft vollgeschrieben, und der Vater mußte ein neues Heft kaufen, wobei natürlich Herr Leßhaft den meisten Vorteil hatte. Derartiges ist mir zwar aus neuerer Zeit nicht wieder zu Ohren gekommen; aber wenn ein Schüler bei Versetzung in eine höhere Klasse sein eben begonnenes Heft nicht weiterführen darf, wenn ferner ein neues Heft gekauft werden muß, weil ein Mitschüler sein Tintenfaß über den Umschlag des alten ausgegossen hat, so kostet auch dies unnützes Geld.*) Welcher Vater endlich hätte nicht über die endlosen Ausgaben für gedruckte Schulbücher zu klagen! Sie sind ja zum Teil unerläßlich, zum Teil aber auch sehr wohl zu vermeiden. Als ich kürzlich mit meinen drei Geschwistern in meinem alten Vaterhause zusammentraf, fanden wir in einer Ecke des Bücherschrankes noch unser altes „Lesebuch für preußische Schulen," herausgegeben von den Lehrern der höheren Bürgerschule zu Potsdam. Obgleich wir als Kinder verschiedene Schulen unsrer Vaterstadt besucht hatten, waren wir doch alle mit demselben schönen Lesebuche groß geworden. Nach vielen Jahren war es jetzt für uns eine ordentliche Erbauung, gemeinschaftlich die lieben alten Geschichten noch einmal durchzulesen und uns in unsre Kinderzeit zurückzudenken. Jetzt ist das alles anders; in jeder Stadt andre Lehrmittel, in verschiednen auf gleicher Stufe stehenden Schulen der nämlichen Stadt verschiedne Schul¬ bücher. Mir ist eine Familie bekannt, in welcher in Zeit von zwei Jahren für vier Kinder an demselben Orte nicht weniger als fünf neue Atlanten haben an¬ geschafft werden müsse»! Für kinderreiche Eltern, welche noch obendrein Ver¬ setzungen aus einer Stadt in die andre unterworfen sind, ist das eine harte Ausgabe. Auf die in manchen Schulen vorhandenen, nur für gänzlich Unbe¬ mittelte bestimmten Büchervorräte zurückzugreifen, steht doch nicht jedem an. Dabei schwellen in den höhern Klassen die für einen Tag erforderlichen Bücher D. Red. Noch ärger wird in dieser Beziehung auf Gymnasien in den Geldbeutel der Eltern gewüstet. Hier besteht die Einrichtung, daß Persa und Extemporalia nur auf die linke Seite des Heftes geschrieben werden dürfen, die rechte für das sogenannte Emcndatum (die Fchler- verbesseruug) freigelassen werden muß. Diese Fohlerverbesserung beschränkt sich aber oft seitenlang auf zwei, drei Wörter auf der Seite. Über solche Papicroerschwendung beklagen sich nicht bloß die Eltern, sondern die Jungen selbst sind unwillig darüber.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/378>, abgerufen am 23.07.2024.