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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Freiwillige Krankenpflege im Kriege.

lichen Pflegepersonals sich bemühen. Jenes ist um vieles leichter als dieses,
da einesteils Diakonissenhäuser und Klöster schon eine bedeutende Anzahl be¬
währtester Helferinnen bereit haben, anderseits eine halbjährige Ausbildung ge¬
eigneter Mädchen, auf die mau für den Kriegsfall rechnen kann, nicht allzugroßen
Schwierigkeiten zu begegnen pflegt. Männer ausfindig zu machen, ist ungeheuer
schwer, weil von vornherein von allen denen abgesehen werden muß, die in irgend
einem unmittelbaren Militärverhältnis stehen, und weil eine zeitweilige Unter¬
brechung des Bcrufswirkens bei vielen willigen und tüchtigen Kräften geradezu
unmöglich erscheint. Auch sind sehr viele nicht militärpflichtige Männer während
eines Krieges im Staatsdienst oder im Handel als unabkömmlich zu betrachten.

Es ist daher gar nicht verwunderlich, daß auf den Vereinstagen der deutschen
Vereine zur Pflege verwundeter und erkrankter Krieger, öfter fast im Tone der
Resignation über die Hemmnisse, welche der Ausbildung von Männern entgegen¬
stehen, geklagt worden ist. Man konnte wohl Anfänge von Krankenträgerkolonnen
aufweisen, aber keine Pfleger. Drei Vorschläge sind in dieser Hinsicht gemacht
worden: entweder man wollte Vonseiten der Vereine vom roten Kreuz die in
Privatkundschaft arbeitenden Berufskrankenpfleger sittlich heben und so organi-
siren, daß sie für den Krieg eine regelmäßige Sanitätstruppe zu bilden im¬
stande wären, oder man wollte Angehörige andrer Berufe auf ein oder zwei
Jahr in Lazarete einstellen, dann aber wieder in ihren bürgerlichen Kreis zurück¬
kehren lassen, oder man wollte die Brüderhäuser und Diakonissenanstalten ver¬
anlassen, ihr Personal, ähnlich wie es nicht wenige Diakonissenhäuser thun, für
den Kriegsfall dem roten Kreuz zur Verfügung zu stellen. Vou diesen Vor¬
schlägen kann der zweite deshalb am wenigsten in Frage kommen, weil sich
ohne Zweifel fast nur verfahrene Existenzen zu längerer Berufsunterbrechung
bereit finden ließen, der erste und der dritte aber sind darum unpraktisch, weil
die Zahl und der Wert frei praltizirender Krankenwärter verhältnismäßig gering
ist, die evangelischen Brüderhäuser aber die Krankenpflege nur als Nebenarbeit
ansehen und infolgedessen kaum mehr als siebzig geschulte Pfleger ausweisen,
von denen etwa ein Drittel selbst militärpflichtig, ein andres Drittel unab¬
kömmlich sein dürste. Alle drei Vorschläge haben außerdem den Fehler, daß
sie der geistig und sittlich befähigtsten Helfer, d. i. der Angehörigen der Bil¬
dungsstände, nicht gedenken. Wer aber weiß, wie unbeschreiblich großen Wert
es hat, wenn der Helfer des Verwundeten in allen Beziehungen sein Freund,
Ratgeber und Tröster werden kann, wird sich von den Leistungen der freiwilligen
Krankenpflege in dem Maße mehr versprechen, als er Einsicht, Thatkraft, Takt
und Sittlichkeit in ihr vereinigt sieht.

Endlich seit dem Frühjahr 1886 scheint ein Weg gefunden zu sein, auf
dem sich die Aufgabe der männlichen Pflegkräfte lösen läßt. Das Zentralkomitee
der deutschen Vereine vom roten Kreuz wandte sich nämlich mit der Aufforderung,
eine freie Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger zu bilden, an das größte und


Freiwillige Krankenpflege im Kriege.

lichen Pflegepersonals sich bemühen. Jenes ist um vieles leichter als dieses,
da einesteils Diakonissenhäuser und Klöster schon eine bedeutende Anzahl be¬
währtester Helferinnen bereit haben, anderseits eine halbjährige Ausbildung ge¬
eigneter Mädchen, auf die mau für den Kriegsfall rechnen kann, nicht allzugroßen
Schwierigkeiten zu begegnen pflegt. Männer ausfindig zu machen, ist ungeheuer
schwer, weil von vornherein von allen denen abgesehen werden muß, die in irgend
einem unmittelbaren Militärverhältnis stehen, und weil eine zeitweilige Unter¬
brechung des Bcrufswirkens bei vielen willigen und tüchtigen Kräften geradezu
unmöglich erscheint. Auch sind sehr viele nicht militärpflichtige Männer während
eines Krieges im Staatsdienst oder im Handel als unabkömmlich zu betrachten.

Es ist daher gar nicht verwunderlich, daß auf den Vereinstagen der deutschen
Vereine zur Pflege verwundeter und erkrankter Krieger, öfter fast im Tone der
Resignation über die Hemmnisse, welche der Ausbildung von Männern entgegen¬
stehen, geklagt worden ist. Man konnte wohl Anfänge von Krankenträgerkolonnen
aufweisen, aber keine Pfleger. Drei Vorschläge sind in dieser Hinsicht gemacht
worden: entweder man wollte Vonseiten der Vereine vom roten Kreuz die in
Privatkundschaft arbeitenden Berufskrankenpfleger sittlich heben und so organi-
siren, daß sie für den Krieg eine regelmäßige Sanitätstruppe zu bilden im¬
stande wären, oder man wollte Angehörige andrer Berufe auf ein oder zwei
Jahr in Lazarete einstellen, dann aber wieder in ihren bürgerlichen Kreis zurück¬
kehren lassen, oder man wollte die Brüderhäuser und Diakonissenanstalten ver¬
anlassen, ihr Personal, ähnlich wie es nicht wenige Diakonissenhäuser thun, für
den Kriegsfall dem roten Kreuz zur Verfügung zu stellen. Vou diesen Vor¬
schlägen kann der zweite deshalb am wenigsten in Frage kommen, weil sich
ohne Zweifel fast nur verfahrene Existenzen zu längerer Berufsunterbrechung
bereit finden ließen, der erste und der dritte aber sind darum unpraktisch, weil
die Zahl und der Wert frei praltizirender Krankenwärter verhältnismäßig gering
ist, die evangelischen Brüderhäuser aber die Krankenpflege nur als Nebenarbeit
ansehen und infolgedessen kaum mehr als siebzig geschulte Pfleger ausweisen,
von denen etwa ein Drittel selbst militärpflichtig, ein andres Drittel unab¬
kömmlich sein dürste. Alle drei Vorschläge haben außerdem den Fehler, daß
sie der geistig und sittlich befähigtsten Helfer, d. i. der Angehörigen der Bil¬
dungsstände, nicht gedenken. Wer aber weiß, wie unbeschreiblich großen Wert
es hat, wenn der Helfer des Verwundeten in allen Beziehungen sein Freund,
Ratgeber und Tröster werden kann, wird sich von den Leistungen der freiwilligen
Krankenpflege in dem Maße mehr versprechen, als er Einsicht, Thatkraft, Takt
und Sittlichkeit in ihr vereinigt sieht.

Endlich seit dem Frühjahr 1886 scheint ein Weg gefunden zu sein, auf
dem sich die Aufgabe der männlichen Pflegkräfte lösen läßt. Das Zentralkomitee
der deutschen Vereine vom roten Kreuz wandte sich nämlich mit der Aufforderung,
eine freie Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger zu bilden, an das größte und


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[0371] Freiwillige Krankenpflege im Kriege. lichen Pflegepersonals sich bemühen. Jenes ist um vieles leichter als dieses, da einesteils Diakonissenhäuser und Klöster schon eine bedeutende Anzahl be¬ währtester Helferinnen bereit haben, anderseits eine halbjährige Ausbildung ge¬ eigneter Mädchen, auf die mau für den Kriegsfall rechnen kann, nicht allzugroßen Schwierigkeiten zu begegnen pflegt. Männer ausfindig zu machen, ist ungeheuer schwer, weil von vornherein von allen denen abgesehen werden muß, die in irgend einem unmittelbaren Militärverhältnis stehen, und weil eine zeitweilige Unter¬ brechung des Bcrufswirkens bei vielen willigen und tüchtigen Kräften geradezu unmöglich erscheint. Auch sind sehr viele nicht militärpflichtige Männer während eines Krieges im Staatsdienst oder im Handel als unabkömmlich zu betrachten. Es ist daher gar nicht verwunderlich, daß auf den Vereinstagen der deutschen Vereine zur Pflege verwundeter und erkrankter Krieger, öfter fast im Tone der Resignation über die Hemmnisse, welche der Ausbildung von Männern entgegen¬ stehen, geklagt worden ist. Man konnte wohl Anfänge von Krankenträgerkolonnen aufweisen, aber keine Pfleger. Drei Vorschläge sind in dieser Hinsicht gemacht worden: entweder man wollte Vonseiten der Vereine vom roten Kreuz die in Privatkundschaft arbeitenden Berufskrankenpfleger sittlich heben und so organi- siren, daß sie für den Krieg eine regelmäßige Sanitätstruppe zu bilden im¬ stande wären, oder man wollte Angehörige andrer Berufe auf ein oder zwei Jahr in Lazarete einstellen, dann aber wieder in ihren bürgerlichen Kreis zurück¬ kehren lassen, oder man wollte die Brüderhäuser und Diakonissenanstalten ver¬ anlassen, ihr Personal, ähnlich wie es nicht wenige Diakonissenhäuser thun, für den Kriegsfall dem roten Kreuz zur Verfügung zu stellen. Vou diesen Vor¬ schlägen kann der zweite deshalb am wenigsten in Frage kommen, weil sich ohne Zweifel fast nur verfahrene Existenzen zu längerer Berufsunterbrechung bereit finden ließen, der erste und der dritte aber sind darum unpraktisch, weil die Zahl und der Wert frei praltizirender Krankenwärter verhältnismäßig gering ist, die evangelischen Brüderhäuser aber die Krankenpflege nur als Nebenarbeit ansehen und infolgedessen kaum mehr als siebzig geschulte Pfleger ausweisen, von denen etwa ein Drittel selbst militärpflichtig, ein andres Drittel unab¬ kömmlich sein dürste. Alle drei Vorschläge haben außerdem den Fehler, daß sie der geistig und sittlich befähigtsten Helfer, d. i. der Angehörigen der Bil¬ dungsstände, nicht gedenken. Wer aber weiß, wie unbeschreiblich großen Wert es hat, wenn der Helfer des Verwundeten in allen Beziehungen sein Freund, Ratgeber und Tröster werden kann, wird sich von den Leistungen der freiwilligen Krankenpflege in dem Maße mehr versprechen, als er Einsicht, Thatkraft, Takt und Sittlichkeit in ihr vereinigt sieht. Endlich seit dem Frühjahr 1886 scheint ein Weg gefunden zu sein, auf dem sich die Aufgabe der männlichen Pflegkräfte lösen läßt. Das Zentralkomitee der deutschen Vereine vom roten Kreuz wandte sich nämlich mit der Aufforderung, eine freie Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger zu bilden, an das größte und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/371>, abgerufen am 23.07.2024.