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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert.

Wenn Wirklich etwas geschaffen werden sollte, z. B. die Vollziehung von
Friedensschlüssen, die Visitation der Reichsgerichte u, s. w., so half man sich
mit sogenannten Reichsdeputationen, deren Beschlüsse dann allgemein giltig
waren. Aber viel nützte das auch nicht. Kurz, es ist nicht übertrieben, zu
sagen, daß in den fast anderthalb Jahrhunderten seines Bestehens der Regens-
burger Reichstag überhaupt fast niemals etwas Wesentliches, Wichtiges und
Förderliches für die deutsche Nation zu stände gebracht hat.

Dagegen wurde mit der ernstesten und wichtigsten Miene um die thörichtsten
und lächerlichsten Kleinigkeiten gestritten, z. B. über Titulaturen, ob mir den
kurfürstlichen oder auch den fürstlichen Gesandten der Titel Exzellenz zustünde,
welche Gesandten das Recht hätten, auf roten, welche nur auf grünen Sesseln
zu sitzen, welchen ein Sitz auf dem Teppich zukäme, welche dagegen außerhalb
desselben sitzen müßten, oder schließlich, welche ihre Sessel wenigstens auf die
Fransen desselben setzen dürften, wie viele Schritte ein kurfürstlicher Gesandter
einem fürstlichen entgegenkommen müsse u. s. w. Man stritt mit größtem Ernste
darüber, wie viele Maien den Gesandten zu stecken seien, in welcher Reihe bei
Festmahlen die Gesundheiten ausgebracht werden müßten, über den Tafelrang,
über das Recht auf goldene und auf silberne Bestecke, über die Menge des
Ehrenweines, den die Stadt Regensburg bei festlichen Gelegenheiten zu
liefern hatte.

Kann man sich da Wundern, daß die fremden Nationen, namentlich die
Franzosen, über diese "jM'old^ Msirmnclizs spotteten und die Deutschen einfach
als <Mös (Zi>>rr"Z68 bezeichneten, daß dieser Reichstag, dem man schon lange den
Beinamen 1s. Lorbonus äixl0ius,tiauö as l'Duropö gegeben hatte, der Hohn und
das Gelächter von ganz Europa geworden war? In welchem Ansehen er im
eignen Lande stand, kann man daraus ersehen, daß es in dem größern Teile
von Deutschland hellen Jubel erregte, als der Gesandte Friedrichs des Großen,
der Freiherr von Plotho, den Neichsbvten, der ihm den Beschluß der Reichs¬
exekution gegen seinen Herrn überbrachte, einfach die Treppe hinunterwerfen ließ.

Von den übrigen Reichsbehörden sollen hier nur noch zwei kurz erwähnt
werden, damit das Bild von der Verfassung des alten Reiches nicht unvoll¬
ständig bleibe.

Das Reichsknmmergericht, süuriczrs. Inixerialis, hatte zu allererst seinen Sitz
in Frankfurt, dann längere Zeit in Speier, und nach dessen Verwüstung durch
die Franzosen, seit 1689, in Wetzlar. Es bestand aus einem Präsidenten (dem
Reichskammerrichter), zwei Vizepräsidenten und fünfundzwanzig Assessoren, die
teils vom Kaiser, teils von den Kurfürsten, teils von den Kreisen ernannt
wurden. Der Beiname dieses höchsten Gerichtshofes der deutschen Nation, die
"Neichsrnmpelkammer," kennzeichnet zur Genüge seine segensreiche Wirksamkeit.
Über die wahrhaft ungeheuerliche Verschleppung der Rechtsstreite dort trösteten
sich unsre Altvordern mit dem Scherzworte: ^in'ruu liess sM'-me, non sx-


Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert.

Wenn Wirklich etwas geschaffen werden sollte, z. B. die Vollziehung von
Friedensschlüssen, die Visitation der Reichsgerichte u, s. w., so half man sich
mit sogenannten Reichsdeputationen, deren Beschlüsse dann allgemein giltig
waren. Aber viel nützte das auch nicht. Kurz, es ist nicht übertrieben, zu
sagen, daß in den fast anderthalb Jahrhunderten seines Bestehens der Regens-
burger Reichstag überhaupt fast niemals etwas Wesentliches, Wichtiges und
Förderliches für die deutsche Nation zu stände gebracht hat.

Dagegen wurde mit der ernstesten und wichtigsten Miene um die thörichtsten
und lächerlichsten Kleinigkeiten gestritten, z. B. über Titulaturen, ob mir den
kurfürstlichen oder auch den fürstlichen Gesandten der Titel Exzellenz zustünde,
welche Gesandten das Recht hätten, auf roten, welche nur auf grünen Sesseln
zu sitzen, welchen ein Sitz auf dem Teppich zukäme, welche dagegen außerhalb
desselben sitzen müßten, oder schließlich, welche ihre Sessel wenigstens auf die
Fransen desselben setzen dürften, wie viele Schritte ein kurfürstlicher Gesandter
einem fürstlichen entgegenkommen müsse u. s. w. Man stritt mit größtem Ernste
darüber, wie viele Maien den Gesandten zu stecken seien, in welcher Reihe bei
Festmahlen die Gesundheiten ausgebracht werden müßten, über den Tafelrang,
über das Recht auf goldene und auf silberne Bestecke, über die Menge des
Ehrenweines, den die Stadt Regensburg bei festlichen Gelegenheiten zu
liefern hatte.

Kann man sich da Wundern, daß die fremden Nationen, namentlich die
Franzosen, über diese «jM'old^ Msirmnclizs spotteten und die Deutschen einfach
als <Mös (Zi>>rr«Z68 bezeichneten, daß dieser Reichstag, dem man schon lange den
Beinamen 1s. Lorbonus äixl0ius,tiauö as l'Duropö gegeben hatte, der Hohn und
das Gelächter von ganz Europa geworden war? In welchem Ansehen er im
eignen Lande stand, kann man daraus ersehen, daß es in dem größern Teile
von Deutschland hellen Jubel erregte, als der Gesandte Friedrichs des Großen,
der Freiherr von Plotho, den Neichsbvten, der ihm den Beschluß der Reichs¬
exekution gegen seinen Herrn überbrachte, einfach die Treppe hinunterwerfen ließ.

Von den übrigen Reichsbehörden sollen hier nur noch zwei kurz erwähnt
werden, damit das Bild von der Verfassung des alten Reiches nicht unvoll¬
ständig bleibe.

Das Reichsknmmergericht, süuriczrs. Inixerialis, hatte zu allererst seinen Sitz
in Frankfurt, dann längere Zeit in Speier, und nach dessen Verwüstung durch
die Franzosen, seit 1689, in Wetzlar. Es bestand aus einem Präsidenten (dem
Reichskammerrichter), zwei Vizepräsidenten und fünfundzwanzig Assessoren, die
teils vom Kaiser, teils von den Kurfürsten, teils von den Kreisen ernannt
wurden. Der Beiname dieses höchsten Gerichtshofes der deutschen Nation, die
„Neichsrnmpelkammer," kennzeichnet zur Genüge seine segensreiche Wirksamkeit.
Über die wahrhaft ungeheuerliche Verschleppung der Rechtsstreite dort trösteten
sich unsre Altvordern mit dem Scherzworte: ^in'ruu liess sM'-me, non sx-


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[0364] Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert. Wenn Wirklich etwas geschaffen werden sollte, z. B. die Vollziehung von Friedensschlüssen, die Visitation der Reichsgerichte u, s. w., so half man sich mit sogenannten Reichsdeputationen, deren Beschlüsse dann allgemein giltig waren. Aber viel nützte das auch nicht. Kurz, es ist nicht übertrieben, zu sagen, daß in den fast anderthalb Jahrhunderten seines Bestehens der Regens- burger Reichstag überhaupt fast niemals etwas Wesentliches, Wichtiges und Förderliches für die deutsche Nation zu stände gebracht hat. Dagegen wurde mit der ernstesten und wichtigsten Miene um die thörichtsten und lächerlichsten Kleinigkeiten gestritten, z. B. über Titulaturen, ob mir den kurfürstlichen oder auch den fürstlichen Gesandten der Titel Exzellenz zustünde, welche Gesandten das Recht hätten, auf roten, welche nur auf grünen Sesseln zu sitzen, welchen ein Sitz auf dem Teppich zukäme, welche dagegen außerhalb desselben sitzen müßten, oder schließlich, welche ihre Sessel wenigstens auf die Fransen desselben setzen dürften, wie viele Schritte ein kurfürstlicher Gesandter einem fürstlichen entgegenkommen müsse u. s. w. Man stritt mit größtem Ernste darüber, wie viele Maien den Gesandten zu stecken seien, in welcher Reihe bei Festmahlen die Gesundheiten ausgebracht werden müßten, über den Tafelrang, über das Recht auf goldene und auf silberne Bestecke, über die Menge des Ehrenweines, den die Stadt Regensburg bei festlichen Gelegenheiten zu liefern hatte. Kann man sich da Wundern, daß die fremden Nationen, namentlich die Franzosen, über diese «jM'old^ Msirmnclizs spotteten und die Deutschen einfach als <Mös (Zi>>rr«Z68 bezeichneten, daß dieser Reichstag, dem man schon lange den Beinamen 1s. Lorbonus äixl0ius,tiauö as l'Duropö gegeben hatte, der Hohn und das Gelächter von ganz Europa geworden war? In welchem Ansehen er im eignen Lande stand, kann man daraus ersehen, daß es in dem größern Teile von Deutschland hellen Jubel erregte, als der Gesandte Friedrichs des Großen, der Freiherr von Plotho, den Neichsbvten, der ihm den Beschluß der Reichs¬ exekution gegen seinen Herrn überbrachte, einfach die Treppe hinunterwerfen ließ. Von den übrigen Reichsbehörden sollen hier nur noch zwei kurz erwähnt werden, damit das Bild von der Verfassung des alten Reiches nicht unvoll¬ ständig bleibe. Das Reichsknmmergericht, süuriczrs. Inixerialis, hatte zu allererst seinen Sitz in Frankfurt, dann längere Zeit in Speier, und nach dessen Verwüstung durch die Franzosen, seit 1689, in Wetzlar. Es bestand aus einem Präsidenten (dem Reichskammerrichter), zwei Vizepräsidenten und fünfundzwanzig Assessoren, die teils vom Kaiser, teils von den Kurfürsten, teils von den Kreisen ernannt wurden. Der Beiname dieses höchsten Gerichtshofes der deutschen Nation, die „Neichsrnmpelkammer," kennzeichnet zur Genüge seine segensreiche Wirksamkeit. Über die wahrhaft ungeheuerliche Verschleppung der Rechtsstreite dort trösteten sich unsre Altvordern mit dem Scherzworte: ^in'ruu liess sM'-me, non sx-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/364>, abgerufen am 23.07.2024.