Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Elisabeths Erinnerungen. großer innerer Erregung zu uns, und brachte die Nachricht, Schwanenburg Später machte Schwcmenburg bei uns Besuch und nahm an unsern Lese¬ Auf der Akademie gab ich mir unsägliche Mühe. Die Professoren und Als Wiedergeneseude folgte ich der Aufforderung eines Verwandten, seinem Als ich sah, daß ich entbehrlich wurde, kehrte ich zur Mutter zurück, in Als ich nun meine akademischen Studien wieder fortsetzte, gelangte ich Elisabeths Erinnerungen. großer innerer Erregung zu uns, und brachte die Nachricht, Schwanenburg Später machte Schwcmenburg bei uns Besuch und nahm an unsern Lese¬ Auf der Akademie gab ich mir unsägliche Mühe. Die Professoren und Als Wiedergeneseude folgte ich der Aufforderung eines Verwandten, seinem Als ich sah, daß ich entbehrlich wurde, kehrte ich zur Mutter zurück, in Als ich nun meine akademischen Studien wieder fortsetzte, gelangte ich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201134"/> <fw type="header" place="top"> Elisabeths Erinnerungen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058"> großer innerer Erregung zu uns, und brachte die Nachricht, Schwanenburg<lb/> habe den Glauben verloren und wolle Philologie studiren. Als er hörte,<lb/> daß sein Freund mir dies alles selbst bereits anvertraut habe, war er sehr<lb/> verwundert; merkwürdig war es ja auch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1060"> Später machte Schwcmenburg bei uns Besuch und nahm an unsern Lese¬<lb/> abenden Teil. An diese denke ich mit Entzücken. Unser Hauswirt, der Direktor,<lb/> führte den Vorsitz und gab dem Ganzen die Weihe. Auch übte er Kritik und<lb/> legte oft seine Freude über mein „Organ" an den Tag, worunter er meine<lb/> Aussprache verstand. Die andern nutzten dies aber auf und neckten mich mit<lb/> meinem „Organ." Der Direktor selbst las vorzüglich. Es war geradezu er¬<lb/> schütternd, wenn er, z. B. als Kreon in der Antigone, durch seine Stimme der<lb/> Leidenschaft Ausdruck lieh. Auch verstand er es meisterhaft, durch eine hin¬<lb/> geworfene Bemerkung unser Interesse für das Gelesene zu erhöhen. Und vor<lb/> allen Dingen besaß er eine rührende Geduld. Die Mutter schüttelte manchmal<lb/> den Kopf, wenn ich ihn so hartnäckig mit meinen Fragen belästigte, aber ich<lb/> fühlte, daß es ihm Freude machte, mir Rede und Antwort zu stehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1061"> Auf der Akademie gab ich mir unsägliche Mühe. Die Professoren und<lb/> Lehrer rühmten meinen Fleiß und behaupteten, ich machte Fortschritte. Ich<lb/> selbst merkte nichts davon. Plötzlich bekam ich kranke Finger und mußte mich<lb/> schmerzhafte» Operationen unterziehen. Nun konnte ich monatelang nicht malen.<lb/> Kaum war dieses Leiden gehoben, da verfiel ich einer innern Krankheit, die<lb/> einen guten Teil meiner Kräfte aufrieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_1062"> Als Wiedergeneseude folgte ich der Aufforderung eines Verwandten, seinem<lb/> Hausstande vorzustehen, da seine Frau und seine Kinder gleichzeitig darnieder¬<lb/> lägen. Plötzlich stand ich vor einem Wirkungskreise mit großer Verantwort¬<lb/> lichkeit, aber davor scheute ich mich nicht. Mit Gottvertrauen ging ich an die<lb/> Arbeit, und des Himmels Segen ruhte auf allem, was ich anordnete oder selbst<lb/> that. Meine Krankenpflege wurde vom schönsten Erfolge gekrönt, und des Onkels<lb/> Häuslichkeit ließ nach seiner Versicherung nichts zu wünschen übrig. Das<lb/> wollte aber etwas sagen, denn er war ein Pedant, wenn auch ein liebens¬<lb/> würdiger.</p><lb/> <p xml:id="ID_1063"> Als ich sah, daß ich entbehrlich wurde, kehrte ich zur Mutter zurück, in<lb/> deren Stillleben inzwischen als ein Ereignis der Weggang unsers täglichen<lb/> Gastes gefallen war. Herr Steffens hatte auswärts eine Stelle als Haus¬<lb/> lehrer angenommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1064"> Als ich nun meine akademischen Studien wieder fortsetzte, gelangte ich<lb/> von Tag zu Tag mehr zu der Überzeugung, daß ich Wohl eine gemachte, aber<lb/> keine geborne Künstlerin würde werden können. Der Gedanke drückte mich nieder.<lb/> Dies merkte die Mutter, und in ihrer feinen Herzensgüte bat sie mich, ihret¬<lb/> wegen von der künstlerischen Laufbahn zurückzutreten. Ich fügte mich diesem<lb/> Wunsche.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Elisabeths Erinnerungen.
großer innerer Erregung zu uns, und brachte die Nachricht, Schwanenburg
habe den Glauben verloren und wolle Philologie studiren. Als er hörte,
daß sein Freund mir dies alles selbst bereits anvertraut habe, war er sehr
verwundert; merkwürdig war es ja auch.
Später machte Schwcmenburg bei uns Besuch und nahm an unsern Lese¬
abenden Teil. An diese denke ich mit Entzücken. Unser Hauswirt, der Direktor,
führte den Vorsitz und gab dem Ganzen die Weihe. Auch übte er Kritik und
legte oft seine Freude über mein „Organ" an den Tag, worunter er meine
Aussprache verstand. Die andern nutzten dies aber auf und neckten mich mit
meinem „Organ." Der Direktor selbst las vorzüglich. Es war geradezu er¬
schütternd, wenn er, z. B. als Kreon in der Antigone, durch seine Stimme der
Leidenschaft Ausdruck lieh. Auch verstand er es meisterhaft, durch eine hin¬
geworfene Bemerkung unser Interesse für das Gelesene zu erhöhen. Und vor
allen Dingen besaß er eine rührende Geduld. Die Mutter schüttelte manchmal
den Kopf, wenn ich ihn so hartnäckig mit meinen Fragen belästigte, aber ich
fühlte, daß es ihm Freude machte, mir Rede und Antwort zu stehen.
Auf der Akademie gab ich mir unsägliche Mühe. Die Professoren und
Lehrer rühmten meinen Fleiß und behaupteten, ich machte Fortschritte. Ich
selbst merkte nichts davon. Plötzlich bekam ich kranke Finger und mußte mich
schmerzhafte» Operationen unterziehen. Nun konnte ich monatelang nicht malen.
Kaum war dieses Leiden gehoben, da verfiel ich einer innern Krankheit, die
einen guten Teil meiner Kräfte aufrieb.
Als Wiedergeneseude folgte ich der Aufforderung eines Verwandten, seinem
Hausstande vorzustehen, da seine Frau und seine Kinder gleichzeitig darnieder¬
lägen. Plötzlich stand ich vor einem Wirkungskreise mit großer Verantwort¬
lichkeit, aber davor scheute ich mich nicht. Mit Gottvertrauen ging ich an die
Arbeit, und des Himmels Segen ruhte auf allem, was ich anordnete oder selbst
that. Meine Krankenpflege wurde vom schönsten Erfolge gekrönt, und des Onkels
Häuslichkeit ließ nach seiner Versicherung nichts zu wünschen übrig. Das
wollte aber etwas sagen, denn er war ein Pedant, wenn auch ein liebens¬
würdiger.
Als ich sah, daß ich entbehrlich wurde, kehrte ich zur Mutter zurück, in
deren Stillleben inzwischen als ein Ereignis der Weggang unsers täglichen
Gastes gefallen war. Herr Steffens hatte auswärts eine Stelle als Haus¬
lehrer angenommen.
Als ich nun meine akademischen Studien wieder fortsetzte, gelangte ich
von Tag zu Tag mehr zu der Überzeugung, daß ich Wohl eine gemachte, aber
keine geborne Künstlerin würde werden können. Der Gedanke drückte mich nieder.
Dies merkte die Mutter, und in ihrer feinen Herzensgüte bat sie mich, ihret¬
wegen von der künstlerischen Laufbahn zurückzutreten. Ich fügte mich diesem
Wunsche.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |