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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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im Alter selbst gegen Eckermann bekannt. Nicht der Bruch mit der Stein, wie
gefabelt wurde -- der Plan war längst gemacht, das Stück fast vollendet, als
jenes Ereignis eintrat, das Stück enthält zudem auch nichts von einem Znrück-
tritte des Mannes, vielmehr das gerade Gegenteil --, sondern sein Leben mit
ihr, dieses beständig sich erneuernde Anziehen und Abstoßen wird in geschlossener
Handlung versinnbildlicht, geschmückt mit allem, was Italien an Kunst und
Poesie, was es in seinen Lustgürten an berauschender Landschaft bot. Im
Boboligarten zu Florenz war der neue Plan durchgeführt worden. Tasso ist
das poetische Denkmal der italienischen Reise. Vielleicht hat die Vorstellung
der Trennung mit jener befreienden Wirkung, welche die Poesie auf Goethe
hatte, vorgcwirkt und so die wirkliche Trennung von der Geliebten erleichtert.

Nach der Rückkehr aus Italien geht bald eine große Veränderung in der
Art von Goethes Dichtungen vor sich, jene persönlichen Bekenntnisse, die vom
Werther bis zum Tasso vorherrschen, verschwinden. Das beginnende Ver¬
hältnis mit Christianer findet sich noch in den Römischen Elegien dargestellt,
seit er sie aber in sein Haus aufgenommen, mit ihr eine für sein Gewissen
giltige Ehe geschlossen hat, erscheint sie nicht mehr in seiner Poesie, das Glück
der Ehe ist kein Gegenstand der Mitteilung. Beruhigt und befriedigt, wie er
ist, sind ihm seine Zustände keine psychologischen Probleme mehr. Mit dem
Grvßkophta knüpft er wieder an ein Jugendwerk, die Mitschuldigen, an. Un¬
beteiligt, fast belustigt, sieht er darin dem Treiben hochstehenden Gesindels zu.
Dann folgt die Natürliche Tochter. Als wären die Menschen von Krystall,
sieht man ihnen bis in das Herz. Endlich die letzten Bücher des Wilhelm.
In der Zeit der Bekenntnispoesie erdacht, werden sie nur ausgeführt nach langer
Vorbereitung und Läuterung, als er auf jene Jahre des Entwerfeus schon
selbst wie ein Unbeteiligter hinsah. Hier erscheint die alte Freundin als Na-
talie. Nicht nur das ganze Wesen, selbst kleine Züge weisen auf diesen Zu¬
sammenhang. Wie in jener bedeutenden Nacht, wo Wilhelm und Natalie zu¬
sammen um Felix sorgen, diese Sorge um ein Kind ihre Herzen verbindet, um
ein Kind, das nur dem einen von ihnen angehört, so hatten Goethe und Char¬
lotte Fritzen zwischen sich gestellt, das Kind, das sie mit gleicher Liebe gemein¬
sam erzogen. Nun berichten auch noch die Briefe aus Italien, daß Goethe den
Knaben mit auf die Reise hatte nehmen wollen, wiederholt bedauert er, diesen
Plan uicht durchgeführt zu haben. Das führt auf Wilhelm zurück, der es zur
Bedingung seiner Abreise macht, Felix mitnehmen zu dürfen. Gewiß eine
Reminiscenz an jene ersten Ncisewochen, in denen Goethe das liebe Kind so schwer
entbehrte. Nicht Skizzen sind diese letzten Bücher des Wilhelm, sondern ein
wohlgestimmtes Bild, in dem das Einzelne sich bescheiden dem Gesamtkolorit
unterordnet. Wie von einem hohen Berge sieht man herab, wenn die weite
Landschaft unten liegt und alles Einzelne durch die zarten Schichten der da¬
zwischen liegenden Luft verbunden und halb verschleiert wird. Hatte er in der


Goethes Briefe aus Italien.

im Alter selbst gegen Eckermann bekannt. Nicht der Bruch mit der Stein, wie
gefabelt wurde — der Plan war längst gemacht, das Stück fast vollendet, als
jenes Ereignis eintrat, das Stück enthält zudem auch nichts von einem Znrück-
tritte des Mannes, vielmehr das gerade Gegenteil —, sondern sein Leben mit
ihr, dieses beständig sich erneuernde Anziehen und Abstoßen wird in geschlossener
Handlung versinnbildlicht, geschmückt mit allem, was Italien an Kunst und
Poesie, was es in seinen Lustgürten an berauschender Landschaft bot. Im
Boboligarten zu Florenz war der neue Plan durchgeführt worden. Tasso ist
das poetische Denkmal der italienischen Reise. Vielleicht hat die Vorstellung
der Trennung mit jener befreienden Wirkung, welche die Poesie auf Goethe
hatte, vorgcwirkt und so die wirkliche Trennung von der Geliebten erleichtert.

Nach der Rückkehr aus Italien geht bald eine große Veränderung in der
Art von Goethes Dichtungen vor sich, jene persönlichen Bekenntnisse, die vom
Werther bis zum Tasso vorherrschen, verschwinden. Das beginnende Ver¬
hältnis mit Christianer findet sich noch in den Römischen Elegien dargestellt,
seit er sie aber in sein Haus aufgenommen, mit ihr eine für sein Gewissen
giltige Ehe geschlossen hat, erscheint sie nicht mehr in seiner Poesie, das Glück
der Ehe ist kein Gegenstand der Mitteilung. Beruhigt und befriedigt, wie er
ist, sind ihm seine Zustände keine psychologischen Probleme mehr. Mit dem
Grvßkophta knüpft er wieder an ein Jugendwerk, die Mitschuldigen, an. Un¬
beteiligt, fast belustigt, sieht er darin dem Treiben hochstehenden Gesindels zu.
Dann folgt die Natürliche Tochter. Als wären die Menschen von Krystall,
sieht man ihnen bis in das Herz. Endlich die letzten Bücher des Wilhelm.
In der Zeit der Bekenntnispoesie erdacht, werden sie nur ausgeführt nach langer
Vorbereitung und Läuterung, als er auf jene Jahre des Entwerfeus schon
selbst wie ein Unbeteiligter hinsah. Hier erscheint die alte Freundin als Na-
talie. Nicht nur das ganze Wesen, selbst kleine Züge weisen auf diesen Zu¬
sammenhang. Wie in jener bedeutenden Nacht, wo Wilhelm und Natalie zu¬
sammen um Felix sorgen, diese Sorge um ein Kind ihre Herzen verbindet, um
ein Kind, das nur dem einen von ihnen angehört, so hatten Goethe und Char¬
lotte Fritzen zwischen sich gestellt, das Kind, das sie mit gleicher Liebe gemein¬
sam erzogen. Nun berichten auch noch die Briefe aus Italien, daß Goethe den
Knaben mit auf die Reise hatte nehmen wollen, wiederholt bedauert er, diesen
Plan uicht durchgeführt zu haben. Das führt auf Wilhelm zurück, der es zur
Bedingung seiner Abreise macht, Felix mitnehmen zu dürfen. Gewiß eine
Reminiscenz an jene ersten Ncisewochen, in denen Goethe das liebe Kind so schwer
entbehrte. Nicht Skizzen sind diese letzten Bücher des Wilhelm, sondern ein
wohlgestimmtes Bild, in dem das Einzelne sich bescheiden dem Gesamtkolorit
unterordnet. Wie von einem hohen Berge sieht man herab, wenn die weite
Landschaft unten liegt und alles Einzelne durch die zarten Schichten der da¬
zwischen liegenden Luft verbunden und halb verschleiert wird. Hatte er in der


Goethes Briefe aus Italien.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/344>, abgerufen am 23.07.2024.